Grundrechte-Report
2010 (Fischer-TB, Ffm 2010)
Schon dreimal mussten wir über den
Berufsverbotsfall des Heidelberger Realschullehrers Michael Csaszkóczy berichten,
dem das Land Baden-Württemberg 2004 die Einstellung in den staatlichen
Schuldienst verweigert hatte (Elke Steven, GRR 2005, S. 139 ff.; Rolf Gössner,
GRR 2007, S. 112 ff.; ders., GRR 2008, S. 145 ff.). Nun ging dieser Fall in die
vermutlich letzte Runde, die dem Betroffenen endlich auch eine Wiedergutmachung
für die erlittenen Nachteile bescherte. Der lange Atem des Lehrers hat sich
gelohnt, hätte aber ohne Rechtsschutz der GEW, die Anstrengungen seines Anwalts
Martin Heiming und des Solidaritätskomitees gegen Berufsverbote (www.gegen-berufsverbote.de)
wohl nicht so lange gereicht.
Zur
Erinnerung: Michael Csaszkóczy war von der obersten Schulbehörde vorgeworfen worden,
dass er sich in der vom Verfassungsschutz beobachteten „Antifaschistischen
Initiative Heidelberg“ (AIHD) politisch betätigt habe – einer legalen
Initiative, die sich gegen fremdenfeindliche und neonazistische Bestrebungen
engagiert. Erst in zweiter Instanz hob der Verwaltungsgerichtshof (VGH) in
Mannheim den Bescheid des Oberschulamtes, die Einstellung in den Schuldienst
des Landes wegen Zweifeln an seiner Verfassungstreue zu verweigern, auf (Urteil
des VGH v. 13.03.07, Az. 4 S 1805/06) und kassierte damit auch das
erstinstanzliche Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe, das den Bescheid
noch abgesegnet hatte.
Als höchstes Verwaltungsgericht
Baden-Württembergs hatte der VGH dem Oberschulamt in aller Deutlichkeit
vorgehalten, dass Zweifel an der Verfassungstreue nicht berechtigt waren,
weshalb das Gericht das Land dazu
verurteilte, den Antrag des Klägers auf Einstellung in den öffentlichen
Schuldienst unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.
Daraufhin musste der Realschullehrer – nach nervenaufreibenden Jahren
politischer und juristischer Auseinandersetzungen - in den öffentlichen
Schuldienst aufgenommen werden. Seit 1.09.2007 unterrichtet er an
einer Realschule.
Daraufhin
klagte der Betroffene vor dem Landgericht Karlsruhe gegen das Land Baden-Württemberg
auf Ersatz des materiellen Schadens, der ihm durch das rechtswidrige
dreieinhalbjährige Berufsverbot entstanden ist. Michael Csaszkóczy war in Folge des Berufsverbots arbeitslos
und von Arbeitslosengeld (ALG) II abhängig, bis er schließlich 2006 ein Promotionsstipendium
erhielt.
Alle Bemühungen seines Anwalts Martin Heiming, im Vorfeld eine Einigung
mit der Schulbehörde per Vergleich zu erreichen, waren gescheitert. Der
zuständige Kultusminister und die leitenden Beamten seines ihm unterstellten
Oberschulamtes blieben stur und ohne jegliches Unrechtsbewusstsein, so dass der
Betroffene ein weiteres Mal vor Gericht ziehen musste, um zu seinem Recht zu
kommen. Auch die Güteverhandlung vor dem Landgericht am 25.11.2008, in der sich
das beklagte Land von einer renommierten Karlsruher Anwaltskanzlei vertreten
ließ, scheiterte, obwohl die Richter bereits überraschend deutlich erkennen
ließen, wie sie die Geschichte einschätzen: Das Land habe nicht nur
rechtswidrig, sondern auch schuldhaft gehandelt und damit den Betroffenen um
dreieinhalb Jahre seines Berufslebens als Lehrer gebracht, wodurch diesem ein
materieller Schaden entstanden sei, für den das Land einzustehen habe.
Zwar gebe es,
so die Zivilrichter, den allgemeinen Grundsatz, dass Beamte in der Verwaltung
nicht klüger sein müssten als ein Gericht, das später in Kammerbesetzung über
den Sachverhalt zu urteilen hat - und, wie im vorliegenden Fall das Verwaltungsgericht
Karlsruhe, zum selben Ergebnis kommt. Doch dieser Grundsatz, auf den das
beklagte Land gepocht hatte, gelte nicht umstandslos: Er gelte dann nicht, wenn
– wie im Fall Csaszkóczy –
leitende Beamte einer zentralen Behörde
und hochkarätige Juristen des
faktisch federführenden Kultusministeriums – in ständiger Abstimmung mit der
damaligen Kultusministerin und späteren Bundesministerin Annette Schavan -
lange und intensiv mit dem Fall befasst waren. Erschwerend komme hinzu, dass
nicht nur deren rechtliche Bewertung fehlerhaft gewesen sei, sondern bereits
die Feststellung und Würdigung des zugrunde liegenden Sachverhalts. So beweise
die dem engagierten Antifaschisten Csaszkóczy vorgehaltene
„Sündenliste“, die vom Verfassungsschutz zusammengestellt worden war, praktisch
nichts – außer die nie bestrittene Mitarbeit
in der AIHD sowie die Wahrnehmung verfassungsrechtlich verbriefter
Grundrechte. Eine wirkliche Prüfung des Einzelfalls habe im Übrigen nie stattgefunden,
wie bereits der VGH festgestellt hatte. In diesem sorgfaltswidrigen Verhalten
liege ein Verschulden, das zu Schadensersatzleistungen verpflichte.
Am Ende hat das Landgericht Karlsruhe dem
Kläger mit Urteil vom 28.04.2009 insgesamt 32.777 Euro zugesprochen; das
beklagte Land wurde darüber hinaus verpflichtet, dem Kläger auch den Schaden zu
ersetzen, der ihm hinsichtlich künftiger Alterversorgungsbezüge entstehen wird,
weil er erst mit dreijähriger Verzögerung eingestellt wurde (Az. 2 O 362/08).
Diese Entscheidung liegt weit unter den geltend gemachten Ansprüchen, wofür das
Gericht zugunsten des Landes tief in die juristische Trickkiste gegriffen hat.
Es hat beispielsweise unterstellt, dass der Kläger nur eine halbe Stelle
angetreten hätte, ihm also auch nur halbe Bezüge entgangen seien. Außerdem
werden Hartz-IV-Leistungen abgezogen, von denen er zeitweise gelebt hatte. Und
schließlich werden sogar für einen weiteren Zeitraum, in dem der Kläger von
Erspartem und solidarischer Unterstützung gelebt hatte, hypothetische
Hartz-IV-Leistungen abgezogen – schließlich sei er selbst schuld, so das
Gericht, wenn er Leistungen, die ihm zugestanden hätten, nicht in Anspruch
genommen habe.
Trotz des gerichtlichen Kleinrechnens der klägerischen Ansprüche ist das Urteil dem Grunde nach zu begrüßen: Das Landgericht hat unmissverständlich klargestellt, dass das grundrechtswidrige Handeln von Kultusministerium und Oberschulamt kein Betriebsunfall war, sondern dass diese Stellen mit ihrem politisch motivierten Berufsverbot gegen einen anders Denkenden auch schuldhaft handelten: Sie hatten die im amtlichen Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen und sie hätten die Unrechtmäßigkeit ihres Handelns erkennen können und müssen. Dafür muss nun das Land Baden-Württemberg die Konsequenzen tragen und Wiedergutmachung leisten. Es ist allerdings in höchstem Maße beschämend, wie uneinsichtig, renitent und verantwortungslos sich die politisch und fachlich Verantwortlichen in dieser Angelegenheit über Jahre hinweg und bis zuletzt verhalten haben.
Stichworte:
Berufsverbot, Kultusministerium,
Schadensersatz, Sorgfaltspflichtverletzung, Schuldienst (öffentlicher),
Verfassungsschutz, Verfassungstreue, Wiedergutmachung
Autorenangaben:
Rolf Gössner, geb. 1948, Dr.
jur.; Rechtsanwalt, Publizist und parlamentarischer Berater. Vizepräsident der
„Internationalen Liga für Menschenrechte“ (Berlin). Stellv. Richter am
Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen sowie Mitglied/stellv. Sprecher
der Deputation für Inneres der Bremer Bürgerschaft. Mitherausgeber der
Zweiwochenschrift "Ossietzky", Mitglied der Jury zur jährlichen Verleihung
des Negativpreises „BigBrotherAward“ sowie der Carl-von-Ossietzky-Medaille.
Sachverständiger in Gesetzgebungsverfahren des Bundestages und von Landtagen.
Autor zahlreicher Sachbücher zu Bürger- und Menschenrechtsthemen, zuletzt:
"Menschenrechte in Zeiten des Terrors – Kollateralschäden an der Heimatfront“,
Hamburg 2007. Internet: www.rolf-goessner.de.