Grundrechte-Report 2010 (Fischer-TB, Ffm
2010)
Die Bundespolizei, der Zoll sowie vier
Bundesländer haben jeweils landesweit eine neue und „moderne“
Polizeischlagwaffe für den täglichen Dienst und für Demonstrationseinsätze
eingeführt: das SPD-regierte Rheinland-Pfalz (2006), das rot-grüne Bremen (ab
2008), das schwarz-grüne Hamburg (ab 2009) und das schwarzgelb regierte
Baden-Württemberg (ab 2009). Weitere Bundesländer sollen folgen.
Es handelt sich dabei um einen
Teleskopschlagstock aus Stahl mit der amtlichen Bezeichnung EKA für
„Einsatzschlagstock – kurz – ausziehbar“. Er ist im Ruhezustand etwa 20
Zentimeter kurz und kann bequem, auch verdeckt, in einem Holster am Gürtel
getragen werden. Im Einsatzfall kann ihn der Anwender unbemerkt ausziehen oder
aber durch eine Schlagbewegung aus dem Handgelenk blitzartig und fast
geräuschlos auf etwa 50 Zentimeter ausfahren. Kosten: ab 120 Euro pro Stück.
Der gute alte, aber sperrige „Gummiknüppel“
hat offenbar ausgedient und ist reif fürs Polizeimuseum. Viele Polizisten
bezeichnen ihn als unhandlich und häufig wirkungslos, wenn es darum geht, einen
Störer angriffsunfähig zu machen. Nicht selten trafen die Schläge auf Gelenke,
Wirbel, Nieren oder auch Köpfe von Delinquenten und Demonstranten, was mitunter
zu starken Verletzungen führte.
Der neue Teleskopschlagstock dürfte
tatsächlich nicht nur handlicher sein, sondern auch weit effektiver – aber höchst
wahrscheinlich auch gefährlicher, denn er ist weder nachgiebig wie Hartgummi
noch hat er eine Sollbruchstelle wie Holzknüppel. Er ist aus „Vergütungsstahl
hoher Festigkeit“ (Werbung: „hohe Belastbarkeit“) und hat ein Gewicht von über
einem halben Kilogramm – eine Kombination, die zu schweren, ja lebensgefährlichen
Verletzungen führen kann. Damit lasse sich mühelos eine Kokosnuss zertrümmern,
schreibt die „Deutsche Polizei“ (2/07, S. 25), das Fachblatt der Gewerkschaft
der Polizei, beeindruckt – also auch ein menschlicher Schädel.
Mit dem neuen Stahlknüppel soll die Lücke zwischen Reizgas/Pfefferspray und Schusswaffe geschlossen und der Mehrzweckeinsatzstock (MES) ergänzt werden. In einigen Ländern verfügen geschlossenen Einheiten wie Mobile Einsatzkommandos oder Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten der Bereitschaftspolizei bereits über den asiatischen Kampfstock „Tonfa“ – in Fachkreisen auch „Knochenbrecher“ genannt; sein Einsatz hat bereits zu schweren Verletzungen geführt. Außerdem verwenden Spezialeinsatzkommandos in mehreren Bundesländern eine andere angeblich nichttödliche Waffe: den „Taser“, eine Spezialpistole, die Metalldrähte mit Elektroden und Widerhaken verschießt und damit der getroffenen Person schmerzhafte und gefährliche Elektroschocks mit bis zu 50.000 Volt verpasst, um sie außer Gefecht zu setzen. Wegen der immensen Gesundheitsrisiken und zahlreicher Todesfälle in anderen Staaten warnt Amnesty International vor dieser Waffe und fordert, deren Gebrauch auszusetzen.
Für den täglichen Polizeieinsatz wird nun
der EKA-Teleskopstock eingeführt – steigende Jugendkriminalität und zunehmende
Gewaltbereitschaft gegenüber Polizisten, so die Polizeiführungen, machten dies
notwendig. Dabei wirke der EKA am Gürtel keinesfalls aggressiv, erzeuge aber im
Moment des schnellen Ausfahrens durch einfachen Handgelenksschwung eine
„beeindruckende und damit abschreckende Wirkung“, schwärmt die „Deutsche
Polizei“ (2/2007, S. 25).
Diese Waffe sei weit wirkungsvoller als der
alte Gummiknüppel – schon ein Schlag auf den Oberarm mache den Angreifer
angriffs- und kampfunfähig, so dass man nicht mehrmals nachschlagen müsse.
Knochen- und Gelenkbrüche sind dabei nicht auszuschließen. Schläge und Stöße
gegen Angreifer sollten zwar vorzugsweise – so heißt es in einer „Gebrauchsanweisung“
eines Herstellers (Bonowi) - gegen die großen Muskelgruppen geführt werden.
Schläge in Richtung Kopf seien nur in Notwehrsituationen zulässig, auf das
Lymph- und Nervengeflecht dürfe mit dem Stock nur geschlagen, nie gestochen
werden, das Schlagen und Stechen auf Kopf, Wirbel und Genitalien sei zu
unterlassen. Dagegen seien freiliegende Knochen und Gelenke bei einem bewaffneten
Gegenüber zulässige Ziele und die Oberflächenmuskulatur am gesamten Körper eine
zu bevorzugende Angriffsfläche. Trotz dieser Vorgaben erfordere der EKA nach
Angaben des Herstellers „kein oder nur sehr geringes Training“. Er sei „sofort
und ohne Vorkenntnisse einsetzbar.“ Da bleibt nur zu hoffen, dass sich die
Polizisten wenigstens in Grundzügen mit der menschlichen Anatomie auskennen –
und sich auch im „Eifer des Gefechts“ nicht vertun.
Seit 2009 wird die Bremer Polizei für den Streifen- und Zivilen Einsatzdienst mit dem EKA ausgerüstet. So beschloss es die Mehrheit der Innendeputation - bei nur einer Gegenstimme von der Linksfraktion. Diese Entscheidung ist hochproblematisch, weil sie ohne ausreichende Informationsgrundlage erfolgte: Die Verletzungsrisiken im Vergleich zu herkömmlichen Schlagstöcken sind bis heute nicht wirklich erforscht - weder die Gefahr von Knochenbrüchen, Schulter-Kopf-, Gelenks- und Rückgrat-Verletzungen noch die Gefahr tödlicher Folgen. Kein unabhängiger Sachverständiger ist zuvor über Beschaffenheit, Handhabung und Wirkungen des EKA gehört worden – trotz des Antrags eines Deputierten.
Der sechsmonatige Probelauf, an dem 93 Polizeibeamte beteiligt waren, erbrachte nach nur sechs Vorfällen kaum praktische Erkenntnisse – nur dass allein das Ziehen der Stahlknüppel auf potentielle Störer abschreckend wirke. Die Beurteilung des EKA und des Probelaufs erfolgte allein aus Sicht der Hersteller, Anwender und ihrer Dienstherren. Fürsorgepflicht, effektive Eigensicherung, Praktikabilität und hohe Akzeptanz bei der Polizei sind die Stichworte, mit denen diese Nachrüstung im Wesentlichen begründet wird.
Doch im regulären Polizeialltag kann sich die Gefährlichkeit des EKA für Betroffene rasch erweisen, was auch die amtliche Handlungsanleitung der Bremer Polizei belegt (S. 4): „Zur Vermeidung gefährlicher Körperverletzungen“ dürften Schläge gegen Personen nicht „oberhalb der Schultern“ und damit insbesondere nicht gegen den Kopf erfolgen. Doch wie rasch ist eine solche „zwingende Handlungseinschränkung“ im Alltag vergessen - zumal in unübersichtlichen Lagen wie etwa bei Demo-Einsätzen. Allein die bundesweiten Erfahrungen mit dem alten Gummiknüppel lassen Böses ahnen.
Die Bremer Polizisten werden fünf
Stunden lang rechtlich und praktisch eingewiesen und an der Waffe ausgebildet.
Dabei soll in erster Linie das „Vertrauen“ der Beamten „in die Effektivität und
Sicherheit des Einsatzmittels“ gestärkt werden. Das Training soll verhindern,
dass der polizeiliche Hieb „im Handgelenk der Schlaghand“ schmerzt und gleichzeitig
garantieren, dass sich dennoch „die gewünschte Wirkung beim Gegenüber
entfaltet“ (alle Zitate aus: Handlungsanleitung der Bremer Schutzpolizei, S.
4).
Bei dieser eher einseitigen Unterweisung gerät leicht aus dem Blick, dass es sich letztlich um eine gefährliche Schlagwaffe mit neuer Qualität für den Polizeialltag handelt, die beim Einsatz gegen Personen zu schweren und schwersten Verletzungen führen kann. Sie widerspricht deshalb gerade für den Einsatz im Polizeialltag und bei Demonstrationen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Konsequenterweise müsste sie deshalb dort, wo sie bereits eingeführt wurde, schnellstens wieder ausgemustert werden und für andere Bundesländer schlichtweg tabu sein.
Literatur/Dokumente
Bonowi,
EKA – Einsatzstock kurz–ausziehbar, Multiplikatoren-Einweisung, Mainz 2005
(www.bonowi.de)
Oehling,
EKA – neuer Einsatzstock bei der Polizei, in: Deutsche Polizei 2/2007, S. 25.
Polizei Bremen/Direktion Schutzpolizei,
Handlungsanleitung für den Probelauf des Einsatzstocks – kurz / ausziehbar
(EKA), Bremen 2007/2008
Technische Richtlinie: Einsatzstöcke, kurz und lang, Polizeitechnisches Institut der Polizei-Führungsakademie, Münster 2006.
Schlagworte
EKA – Einsatzstock, kurz, ausziehbar
Gummiknüppel
Mehrzweckeinsatzstock (MES)
Polizei
Polizeiwaffe
Spezialeinsatzkommandos
Teleskopschlagstock
Tonfa-Kampfstock
Taser
Verletzungsgefahr durch Polizei-Schlagstock
Autorenangaben
(wie 2009):
Rolf Gössner, Dr. jur., geb. 1948,
Rechtsanwalt, Publizist und parlamentarischer Berater. Vizepräsident der
„Internationalen Liga für Menschenrechte“ (Berlin). Stellv. Richter am Staatsgerichtshof
der Freien Hansestadt Bremen sowie Mitglied/stellv. Sprecher der Deputation für
Inneres der Bremer Bürgerschaft. Mitherausgeber der Zweiwochenschrift
"Ossietzky", Mitglied der Jury zur jährlichen Verleihung des Negativpreises
„BigBrotherAward“ sowie der Carl-von-Ossietzky-Medaille. Sachverständiger in
Gesetzgebungsverfahren des Bundestages und von Landtagen. Autor zahlreicher
Sachbücher zu Bürger- und Menschenrechtsthemen, zuletzt: "Menschenrechte
in Zeiten des Terrors – Kollateralschäden an der Heimatfront“, Hamburg 2007. Internet:
www.rolf-goessner.de.