Da wächst zusammen, was nicht zusammengehört
„Bundesabhörzentrale“ als Baustein einer entgrenzten
Sicherheitsarchitektur
Das
Bundesinnenministerium (BMI) betreibt mit Vehemenz eine Modernisierung der
Telekommunikationsüberwachung (TKÜ). Geplant ist die Einrichtung einer
zentralen Abhöranlage beim Bundesverwaltungsamt in Köln. Was bislang die einzelnen,
insgesamt 38 Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder mit fast 80
Abhöranlagen in eigener Regie betreiben, soll in einem Zentrum konzentriert
werden. Als erstes wird ein technisches TKÜ-„Servicezentrum“ mit zunächst 33
Bediensteten für das Bundeskriminalamt (BKA), die Bundespolizei und das Bundesamt
für Verfassungsschutz eingerichtet, das durch weitere polizeiliche und
geheimdienstliche Sicherheitsbehörden ergänzt werden kann. Hier wird der
überwachte Datenverkehr – via Telefon, Fax, Mail und Internet – zusammengeführt
und gespeichert.
Parallel dazu wird ein „Kompetenzzentrum“
eingerichtet mit zunächst zehn Experten aus BKA und BfV, die sich um Konzeption,
strategische Planung und Weiterentwicklung der TKÜ kümmern sollen.
„Nukleus“ einer
neuen Überwachungsbehörde
Mit der gemeinsamen Abhörzentrale, so das BMI, soll die
„zersplitterte TKÜ-Landschaft der Sicherheitsbehörden“ harmonisiert werden.
Diese Behörden seien mit ihrer zum Teil veralteten Technik überfordert und den
internationalen Datenströmen des Internets, der modernen Telekommunikationstechnik
sowie den Verschlüsselungsmöglichkeiten nicht mehr gewachsen. Zudem seien mit
der Bündelung Kostenersparnisse verbunden – was der Bundesrechnungshof jedoch
in einem vertraulichen Bericht vom 18.9.2008 zurückweist. Dort stößt das
Vorhaben ohnehin auf scharfe Kritik, nicht nur aus Kostengründen, sondern auch,
weil Konzeption und Bündelung beim Bundesverwaltungsamt „nicht nachvollziehbar“
seien. Der Rechnungshof empfiehlt stattdessen ein „Zwei-Säulen-Modell“: ein
gemeinsames Abhörzentrum aller Polizeien des Bundes und der Länder beim BKA
sowie eines für Verfassungsschützer aus Bund und Ländern.
Mit diesem
alternativen Ansatz verweist der Rechnungshof auf ein grundsätzliches Problem,
das mit den Plänen des BMI zwangsläufig verbunden ist: Denn diese laufen auf
ein neues zentrales Sicherheitsamt hinaus, in dem Polizeien und Geheimdienste
zusammenführt werden. Zwar sollen die beteiligten Behörden die TKÜ und die
Auswertung der Kommunikationsvorgänge in eigener Verantwortung durchführen.
Doch die Planungen gehen weiter, wie eine interne BMI-Vorlage vom 5.3.2008
dokumentiert. Dort heißt es zur Dimension des Projekts: „(Es) bestehen Überlegungen
(dass das Service- und Kompetenzzentrum) den Nukleus einer neuen Behörde bilden
würden. Damit eine solche Behörde auch mit der immer stärkeren
Internationalisierung der Telekommunikation umzugehen vermag, wird auch über
neue Wege zur Verknüpfung der Methode der inländischen TKÜ mit der
internationalen TKÜ (BND-Fernmeldeaufklärung) nachzudenken sein. Vorbilder
einer solchen Behörde können die amerikanische National Security Agency (NSA)
oder das britische Governement Communication Headquarter sein.“ Zur
Verschleierung solcher Absichten verlegt man sich auf Salamitaktik: „Aufgrund
der politischen Sensibilität einer neuen deutschen ‚Überwachungsbehörde’“, so
heißt es in dem Papier weiter, „ erscheint ein schrittweises Vorgehen zur
Umsetzung ... angezeigt“ (Bundestagsdrucksache 16/10137).
Neue
Sicherheitsarchitektur
Zentralisieren, vernetzen und verzahnen –
das sind die Stichworte, die diesen Prozess kennzeichnen: ein radikaler Umbau
des Sicherheitsapparates, der bereits seit längerem unter dem Stichwort „neue
Sicherheitsarchitektur“ Karriere macht. Es ist ein Prozess der Entgrenzung
rechtsstaatlicher Prinzipien, staatlicher Gewalten und Machtbefugnisse. Dabei
spielen zwei Strukturentwicklungen eine zentrale Rolle: Seit Jahren erleben wir eine Militarisierung der „Inneren Sicherheit“, in deren
Mittelpunkt der Einsatz der Bundeswehr als nationale Sicherheitsreserve im
Inland steht – obwohl hierzulande Polizei und Militär, innere und äußere Sicherheit
aus historischen Gründen sowie nach der Verfassung strikt zu trennen sind
(siehe auch die Beiträge von Burkhard Hirsch und Jürgen Rose in diesem
Grundrechte- Report). Mit der zweiten Strukturveränderung ist eine Zentralisierung
der Sicherheitsbehörden und die verstärkte Verzahnung von Polizei und
Geheimdiensten verbunden. Dazu gehört etwa der Umbau des BKA zu einem zentralen
deutschen FBI mit geheimpolizeilichen Befugnissen zur Vorfeldausforschung und Gefahrenabwehr[s1]. Dazu gehören auch das gemeinsame
Antiterrorzentrum mit fast 40 Sicherheitsbehörden unter einem Dach, die
gemeinsamen Lagezentren von Polizei und Geheimdiensten zur Terrorbekämpfung in
Bund und Ländern sowie die Antiterrordatei, die von allen Polizeien und allen
Geheimdiensten des Bundes und der Länder bestückt und genutzt wird.
Vom Ende des Trennungsgebots
Die Bundesabhörzentrale ist ein weiterer
Baustein in dieser neuen Sicherheitsarchitektur. Mit der Zentralisierung der
TKÜ wird das machtbegrenzende Föderalprinzip nach Artikel 20 Absatz GG
ausgehöhlt – schließlich sind Polizeiangelegenheiten und damit die polizeiliche
Gefahrenabwehr prinzipiell Ländersache. Mit der Ämterverquickung und Verzahnung von Polizei und Geheimdiensten
wird ein weiteres machtbegrenzendes Prinzip gekippt: das verfassungskräftige
Gebot der Trennung von Polizei und Geheimdiensten – immerhin eine bedeutsame
Konsequenz aus den bitteren Erfahrungen mit Reichssicherheitshauptamt und
Gestapo der Nazizeit, die sowohl geheimdienstlich als auch polizeilich tätig
waren.
Dieses Gebot,
das auf den „Polizeibrief“ der
Westalliierten und auf das Genehmigungsschreiben der Militärgouverneure (1949)
zum Grundgesetz zurückgeht, gilt als verfassungskräftiges
„essential“, obwohl es entgegen der historischen Erwartungen keine direkte
Aufnahme ins Grundgesetz fand. Nach Auffassung des Verfassungsrechtlers Erhard
Denninger kommt dem Gebot als einer Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips nach
Art. 20 GG zwar nicht formell, aber materiell Verfassungsrang zu (Zeitschrift
für Rechtspolitik 1981, 231 ff.[s2]). Mit der Trennung von Vollzugspolizei und
Geheimdiensten sollte in Westdeutschland eine unkontrollierbare Machtkonzentration
der Sicherheitsapparate sowie eine neue Geheimpolizei verhindert werden. Das Trennungsgebot verpflichtet nicht nur
zu einer organisatorischen und funktionalen Trennung, sondern es bestimmt auch
die Grenzen der informationellen Zusammenarbeit. Oder, wie es der Polizeirechtler
Christoph Gusy formuliert: „Wer (fast) alles weiß, soll nicht alles dürfen; und
wer (fast) alles darf, soll nicht alles wissen.“
Obwohl an dem Prinzip offiziell
festgehalten wird, müssen wir schon lange eine bedenkliche Erosionsentwicklung
verzeichnen, die systemsprengende Kraft entfaltet. Längst haben sich Polizeibehörden,
ihre Aufgaben, Befugnisse und Methoden betreffend, den Geheimdiensten angeglichen,
längst gibt es organisatorische Zusammenschlüsse und Vernetzungen – so dass das
Trennungsgebot als machtbegrenzendes Prinzip schon gehörig verletzt, ja
regelrecht zur Disposition gestellt worden ist. Die neuere Entwicklung nach
9/11 und die weiteren Verzahnungspläne dürften die Trennung vollends zum Kippen
bringen. Damit konkretisiert sich die Gefahr, dass die kaum kontrollierbaren
Geheimdienste zum verlängerten nachrichtendienstlichen Arm der Vollzugspolizei
mutieren und diese zum verlängerten Exekutiv-Arm der Geheimdienste.
Letztlich
wächst zusammen, was nicht zusammen gehört, werden wichtige demokratische Lehren
aus der deutschen Geschichte entsorgt und rechtsstaatliche Begrenzungen einer
grenzenlosen Prävention geopfert. Dieser
Verschmelzungsprozess im Staatsgefüge lässt die staatliche Machtfülle wachsen
und deren Kontrollierbarkeit schwinden – mit schwerwiegenden Auswirkungen auf
die Situation der Bürgerrechte.
Literatur
Denninger, Die Trennung von
Verfassungsschutz und Polizei und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, Zeitschrift für Rechtspolitik 1981, S.
231 ff.
Holzberger, Bundesverwaltungsamt als
Schnittstelle für Polizei und Geheimdienste, Bürgerrechte & Polizei 2/08,
62
Huber, Quellen zum Staatsrecht der Neuzeit, Bd. II, 1951, S. 216
(Polizeibrief)
Antwort der Bundesregierung auf die
Kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen, Bundestagsdrucksache 16/10137 v.
10.08.2008.
Beitrag aus:
Müller-Heidelberg/Finckh/Steven/Assall/Pelzer/Würdinger/Kutscha/Gössner/Engelfried
(Hg.)
hrg.
von Humanistische Union, Gustav Heinemann-Initiative, Komitee
für Grundrechte und Demokratie, Bundesarbeitskreis Kritischer Juragruppen, PRO
ASYL, Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein, Vereinigung
demokratischer Juristinnen und Juristen, Internationale Liga für
Menschenrechte, Neue Richtervereinigung; Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt
2009.