Westdeutscher Rundfunk Köln Anstalt des öffentlichen Rechts

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Sendemanuskript-Hörfunk

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Datum

15.09.05

Tag

Dienstag

Woche

37

Uhrzeit - von

17:05 Uhr

bis

19:45 Uhr

von

bis

Dauer

Sendereihe Resonanzen

Titel : Ungehaltene Wahlkampfreden – Zukunft der Bürgerrechte

Folge / Untertitel : Eine zehnteilige Serie vom 05.-16.09.2005, Teil 9

AutorIn: Rolf Gössner, Rechtsanwalt und Publizist

ModeratorIn: Andrea Gerk

Bearbeiter(in):

Verantwortliche(r) Redakteur(in) Gabriele Gillen

Übernahme

Programmbereich WDR 3 Kultur

Koproduktion

Programmgruppe PG Wort HF

Verlag

©

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Rolf Gössner

Die Zukunft der Bürgerrechte

Im Wahlkampf scheinen Bürgerrechte kaum der Rede wert – stattdessen gibt es einen wahren Wettbewerb um Vorschläge für deren Aushöhlung. Insbesondere Günter Beckstein, der Möchte-gern-Bundesinnenminister der CDU/CSU, und der noch Amtierende Sozialdemokrat Otto Schily schaukeln sich immer wieder gegenseitig hoch mit ihren extremistischen Forderungen. Einsatz der Bundeswehr im Innern – das heißt: auf Krieg gedrillte Soldaten als Hilfspolizisten; Verzahnung von Polizei und Geheim-diensten – also eine Machtkonzentration, die kaum noch kontrollierbar sein wird; präventive Sicherungshaft für „gefährliche“ Personen – letztlich eine Maßnahme aus dem Arsenal von Diktaturen; verstärkte Videoüber-wachung im öffentlichen Raum, obwohl damit allenfalls Sicherheit vorge-täuscht würde...

Angesichts der Terrorgefahr scheinen allzu viele diesen unhaltbaren Si-cherheitsversprechen Glauben zu schenken. „Angst ist das Schmieröl der Staatstyrannei“ – ein Motto, das drohend über dem Niedergang der Bür-gerrechte schwebt. Die Deutschen gelten als ängstliches Volk mit einem ausgeprägten Sicherheitsbedürfnis. Schon seit längerem erleben wir einen Niedergang ihres „Sicherheitsgefühls“. Doch Angstgefühle und reale Si-cherheitslage fallen weit auseinander – denn Deutschland zählt bekannt-lich zu den sichersten Ländern der Welt. Trotzdem gilt das „Sicherheitsge-fühl“ als Gradmesser der herrschenden Sicherheitspolitik, an dem kein Po-litiker und keine Partei glaubt vorbeizukommen, wenn sie denn gewählt werden wollen. Allzu oft tritt massenmediale Emotion an die Stelle von Vernunft – insbesondere nach spektakulären Kriminalfällen oder Gewaltak-ten. So wird der in weiten Teilen der Bevölkerung ohnehin vorhandene Hang zu einfachen und autoritären „Lösungen“ verstärkt; ständig werden wir mit Gesetzesverschärfungen und Aufrüstungsmaßnahmen konfrontiert – eine staatsgewaltige Spirale ohne Ende, doch das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung lässt sich auch damit allenfalls kurzzeitig besänftigen. Gleichwohl ist eine erkleckliche Mehrheit der Bevölkerung allzu leicht be-reit, für vermeintlich mehr Sicherheit treuherzig eigene Freiheitsrechte zu opfern – nach dem schlichten Motto: “Ich hab’ ja nichts zu verbergen.”

Vor dem massenmedial inszenierten Schreckensbild vom „Tatort Deut-schland“ haben politische Hardliner aller Couleur schon in den 90er Jahren eine populistische „Sicherheitspolitik“ betrieben – eine Politik, die nicht nur den aufgeputschten bürgerlichen Angsthaushalt bediente, sondern gleich auch die passenden Feindbilder und Sündenböcke präsentierte. Waren es früher „Kommunisten“, später „Linksextremisten“, Terroristen und ihre Sympathisanten, so gelten seit den 90er Jahren als Bedrohungspotentiale vor allem „Organisierte Kriminelle“ und „kriminelle Ausländer“; aber auch „Asylanten“, Punks, Drogenabhängige, aggressive Bettler und Obdachlose – einfach Fremde, Ausgegrenzte und unliebsame Minderheiten, denen auch weite Teile der Bevölkerung mit Argwohn begegnen. Inzwischen, nach dem 11.9.2001, sind „islamistische Extremisten“ und der „internatio-nale Terrorismus“ hinzugekommen. Solche Bedrohungsszenarien dienen als publikumswirksame Legitimationen für weitere staatliche Nachrüs-tungsmaßnahmen – obwohl an ihrer Effizienz zu zweifeln ist. Demgegen-über ist von einer Bekämpfung der Ursachen und Bedingungen von Krimi-nalität, Gewalt und Konflikten kaum noch die Rede.

Menschenrechte in Zeiten des Terrors – ein wahrlich finsteres Kapitel: Der „Antiterror-Krieg“ nach dem 11. September 2001 hat nicht nur außenpoli-tisch eine Periode des permanenten „Ausnahmezustands“ eingeläutet, sondern auch im Inneren der westlichen Demokratien. Wir sind Zeugen einer Demontage hergebrachter Standards des Völkerrechts, der Bürger-rechte und rechtsstaatlicher Prinzipien – vieler zivilisatorischer Errungen-schaften also, die über Jahrhunderte mühsam, unter schweren Opfern er-kämpft worden sind. Als Reaktion auf den Terror sind hierzulande die um-fangreichsten „Sicherheitsgesetze“ in der bundesdeutschen Rechtsge-schichte in Kraft gesetzt worden – mit zahlreichen Befugniserweiterungen für Polizei und Geheimdienste.

Nur ein Beispiel: Künftig werden biometrische Daten wie digitale Gesichts-bilder und Fingerabdrücke in die Ausweispapiere aller Einwohner aufge-nommen und auf Chips gespeichert. Alle, die künftig einen Ausweis bean-tragen, werden also biometrisch vermessen – müssen sich behandeln las-sen, wie bislang nur Tatverdächtige oder Kriminelle für eine Erkennungs-dienstliche Behandlung. Eine grandiose Misstrauenserklärung an die Be-völkerung, die den Menschen zum bloßen Objekt staatlicher Sicherheitspo-litik degradiert.

Da wird uns das Lachen noch vergehen, denn ein solches wird auf den Di-gitalfotos verboten sein – offene Münder oder blitzende Zähne könnten nämlich die Scanner irritieren. Lediglich ein leichtes Grinsen mit geschlos-senen Lippen und bei ansonsten neutralem Gesichtsausdruck wird noch statthaft sein.

Die meisten Gesetzesverschärfungen taugen nur wenig zur Bekämpfung eines religiös-aufgeladenen, selbstmörderischen Terrors; sie schaffen kaum mehr Sicherheit, gefährden aber die Freiheitsrechte um so mehr. Mit den sogenannten Otto-Katalogen des Herrn Schily hat sich ein Trend fortgesetzt, der schon längere Zeit zu beobachten ist: nämlich die Erhö-hung der Kontrolldichte in Staat und Gesellschaft. Die meisten Antiterror-maßnahmen folgen einer Präventionsstrategie, die allmählich jedes Maß übersteigt: Die Unschuldsvermutung, eine der wichtigsten rechtsstaatli-chen Errungenschaften, verliert in dieser Sicherheitskonzeption ihre machtbegrenzende Funktion. Der Mensch wird zum potentiellen Sicher-heitsrisiko, der seine Harmlosigkeit und Unschuld nachweisen muss – ein paar Brocken arabisch und ein Rucksack, wie kürzlich in Hamburg, können Menschen schon in eine solche Situation bringen. Und die „Sicherheit“ wird zum Supergrundrecht, das die tatsächlichen Grundrechte der Bürger in den Schatten stellt.

Doch in schwieriger Zeit scheint alles erlaubt, was angeblich nützt. Seit den Terroranschlägen vom 11.09. scheint es keine Tabus mehr zu geben. So können seit kurzem auf Befehl des Verteidigungsministers gekaperte Passagierflugzeuge durch das Militär präventiv abgeschossen werden, um mögliche Anschläge aus der Luft zu verhindern – eine staatliche Lizenz zum gezielten Töten. Längst sind auch hierzulande rechtsstaatliche Däm-me geborsten, bürgerrechtliche Tabus gebrochen. Wo soll das alles en-den? Wer stoppt den sicherheitsextremistischen Wahnsinn?

Die Antwort: Weder eine schwarz-gelbe noch eine rot-grüne Koalition – und genau hier liegt das Problem der anstehenden Wahl. Aus Bürger-rechtssicht müssen wir vor Schily und seinem „3. Otto-Katalog“ ebenso warnen wie vor Becksteins „Folterinstrumenten“. Oder glaubt jemand tat-sächlich, das seien alles nur wahltaktische Extremforderungen, die mit den Grünen oder der FDP als Juniorpartner nicht durchzusetzen wären? Nein, mit der FDP war unter Kohl & Kanther so ziemlich alles möglich. Sie hat ihren Ruf als Bürgerrechtspartei schon damals ramponiert. Und auch nach sieben Jahren grüner Regierungsbeteiligung müssen wir erkennen, dass sich der kleine Grüne dem Zuchtmeister Otto Schily und der großen SPD-Domina besonders tief beugen musste und oft genug gebeugt hat. Letzt-lich hat Rot-grün bereits Becksteinsche Politik betrieben – worunter viele Grüne enorm gelitten haben. Sie hatten in der Regierung einen Ruf zu verlieren: den, eine Bürgerrechtspartei zu sein. Jetzt sind sie ihn erst mal los, ohne es selbst wahrhaben zu wollen.

Eines dürfte feststehen: Weder in einer hochtechnisierten Risikogesell-schaften, in der wir leben, noch in einer liberalen und offenen Demokratie kann es einen absoluten Schutz vor Gefahren und Gewalt geben. Unhalt-bare Sicherheitsversprechen und das Streben nach totaler Sicherheit ber-gen vielmehr totalitäre Züge. Sie können zerstören, was sie zu schützen vorgeben: nämlich die Freiheit. Die Frage stellt sich wirklich: Könnte es nicht sein, dass die sicherheitspolitischen Reaktionen auf die Terroran-schläge weit größeren, nachhaltigeren Schaden an Demokratie und Frei-heit anrichten, als es die Anschläge selbst vermochten?

Eine liberale und demokratische Gesellschaft und ein ebensolcher Rechts-staat dürfen sich deshalb nicht allein auf Symptome des Terrors und auf polizeiliche, geheimdienstliche oder gar militärische Antiterror-Reaktionen konzentrieren. Wir brauchen stattdessen einen umfassenderen Sicher-heitsbegriff, der auch an den Ursachen und Bedingungen von Terror und Gewalt ansetzt. Es geht um politische Lösungsansätze, um Aufklärung, kluge Entwicklungshilfe- und Außenpolitik. Wir müssen aber unseren Blick auch über Parlament, Partei- und Regierungspolitik hinausrichten auf eine sich formierende außerparlamentarische Opposition. Denn es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Verteidigung und Inanspruch-nahme elementarer Freiheits- und Bürgerrechte – und damit eben auch um die Aktionsbedingungen von nationalen und internationalen Protest- und Widerstandsbewegungen, die für eine andere, für eine gerechtere Welt kämpfen. Und nur eine solche Welt kann sowohl dem internationalen Terror als auch dem staatlichen Gegenterror den Nährboden entziehen.