2.11.2005
Liga fordert Einstellung des Strafverfahrens wegen „Beleidigung der türkischen Streitkräfte“ gegen die Menschenrechtsanwältin Eren Keskin
Liga-Präsident Rolf Gössner:
“Das Strafverfahren gegen Eren Keskin ist ein internationaler Skandal, der
umgehend bei den EU-Beitrittsverhandlungen zur Sprache kommen muss“
Die „Internationale Liga für Menschenrechte“ ist empört über die
zeitweise Festnahme der international bekannten türkisch-kurdischen Anwältin
und Menschenrechtlerin Eren Keskin. Die Vorsitzende des angesehenen
Menschenrechtsvereins IHD ist angeklagt wegen „Beleidigung (des moralischen
Charakters) der türkischen Streitkräfte“ – ein Straftatbestand, der mit dem
europäischen Grundrechte-Standard der Europäischen Menschenrechtskonvention
unvereinbar ist. Es handelt sich um ein politisches Meinungsäußerungsdelikt,
das gegen die Meinungs- und Pressefreiheit verstößt. Die Anklage stützt sich
auf Keskins Äußerungen, die sie bei einer Diskussion in Köln zur Rolle des
türkischen Militärs in Staat und Gesellschaft sowie zu Folterungen in der
Türkei gemacht hatte. Ihr drohen dafür bis zu drei Jahren Haft.
Liga-Präsident Dr. Rolf Gössner – der Anfang des Jahres im Rahmen einer
Menschenrechtsdelegation in der Türkei auch Eren Keskin getroffen hat, um sich
über die dortige Menschenrechtslage zu informieren – fordert die Einstellung
des Strafverfahrens. „Dieses Verfahren gegen Eren Keskin ist ein
internationaler Skandal. Er reiht sich ein in weitere skandalöse Prozesse, die
gegenwärtig von der türkischen Justiz gegen Kritiker des türkischen Staates und
der türkischen Politik geführt werden – so etwa der Strafprozess gegen den
international ausgezeichneten Romancier Orhan Pamuk oder die absurde Anklage
gegen Kurden, weil sie den verbotenen Buchstaben ‚W’ gebraucht haben, den es im
türkischen Alphabet nicht gibt, wohl aber in der kurdischen Sprache.“
In der Türkei werden nach wie vor Menschen kriminalisiert, denen nichts
anderes vorgeworfen wird, als sich zu Themen wie der kurdischen Frage, dem
Völkermord an den Armeniern, zu Foltermaßnahmen und zur Situation der
Menschenrechte ihre kritische Meinung geäußert zu haben. Die Liga fordert, dass
diese systematischen Menschenrechtsverletzungen, aber auch die nach wie vor
ungelöste kurdische Frage während der EU-Beitrittsverhandlungen umgehend zur
Sprache gebracht werden – und zwar solange, bis jene Gesetze abgeschafft sind,
die die „Beleidigung des Militärs“ und die „Herabwürdigung des Türkentums“ mit
Haftstrafen bedrohen, bis der Gebrauch der kurdischen Sprache und die kurdische
Kultur legalisiert werden und bis die Folterer strafrechtlich verfolgt werden,
und nicht diejenigen, die Folterungen dokumentieren.
Als Vorsitzende des Menschenrechtsvereins IHD deckt Eren Keskin seit
vielen Jahren Menschenrechtsverletzungen auf, die von türkischen
Sicherheitskräften begangen werden. Wegen ihrer konsequenten
Menschenrechtsarbeit und als engagierte Anwältin in politischen Strafverfahren
ist sie den türkischen Behörden schon lange ein Dorn im Auge. Seit Jahren
überzieht sie die Justiz mit Prozessen. Auch Morddrohungen ist sie immer wieder
ausgesetzt. 2004 ist Eren Keskin mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet
worden, 2005 mit dem „Theodor-Haecker-Preis für politischen Mut und
Aufrichtigkeit“.