17. Mai 2005

„Internationale Liga für Menschenrechte“ fordert historische Aufarbeitung
in allen Ministerien – insbesondere dem Bundesverteidigungsministerium
und den Innen- und Justizministerien des Bundes und der Länder

Liga-Präsident Dr. Rolf Gössner: „Bei der notwendigen Aufarbeitung der Ministerien-Geschichte dürfen auch nachgeordnete Behörden wie Bundeskriminalamt, Bundesnachrichtendienst und Bundesamt für Verfassungsschutz nicht ausgespart werden“

 

Die „Internationale Liga für Menschenrechte“ begrüßt die Initiative der Minister Joschka Fischer und Renate Künast, Historikerkommissionen zur Aufarbeitung der NS-Vergan­genheit und personeller Kontinuitäten im Außen- und Landwirtschaftsministerium einzusetzen. Eine solche systematische Aufarbeitung der Ministeriumsgeschichte ist überfällig.

Bundesinnenminister Otto Schily disqualifiziert sich selbst, wenn er sich im Namen der Bundesregierung weiterhin kategorisch weigert, die Bundesministerien einer solchen Aufarbeitung zu unterziehen – obwohl doch etwa ein Drittel der Bundesbeamten in der frühen Bundesrepublik ehemalige Mitglieder der NSDAP waren. Liga-Präsident Rolf Gössner: „Damit leugnet Schily personelle und mentale Kontinuitäten, die bis heute offiziell nicht wirklich systematisch aufgearbeitet worden sind. Das gilt in besonderem Maße auch für die dem Bundesinnenministerium nachgeordneten Behörden wie Bundeskriminalamt und Bundesamt für Verfassungsschutz. Denn selbst ehemalige Gestapo-Beamte und SS-Angehörige hatten in der Nachkriegszeit zum Teil hohe Posten bei Polizei und Geheimdiensten erklommen. Selbst die furchtbarsten Juristen der NS-Sonder­gerichte kehrten in Amt und Würden zurück und besetzten Schlüsselpositionen. Ausgerechnet diese ‚bewährten’ Fachleute hielt man damals für berufen, die neue bundesdeutsche Verfassung zu schützen.“

Diese personellen „Altlasten“ in den Ministerien, in Polizei, Geheimdiensten und Justiz wirkten bei der inneren Aufrüstung der Bundesrepublik im Kalten Krieg eifrig mit. Sie hatten prägenden Einfluss auf die „innere Sicherheit“ und die einseitige politische Ausrichtung und Feindbildpflege der Sicherheitsorgane gegen Links. So kam es in den 50er und 60 Jahren zu politischer Verfolgung großen Ausmaßes – gerichtet nicht etwa gegen Alt- und Neonazis, sondern gegen etwa 200.000 Antifaschisten, Kommunisten und andere Linke, und zwar zumeist wegen gewaltfreier Oppositionsarbeit. Die neuen Strafverfolger in Polizei und Justiz waren nicht selten die alten Nazi-Täter, die systematisch wieder in den Staatsdienst eingegliedert worden sind. Und auch die Opfer blieben oft die gleichen: nämlich Menschen, die am Widerstand gegen den Faschismus beteiligt und in der NS-Zeit mit äußerster Härte verfolgt worden waren. Vielen NS-Opfern sind in der Bundesrepublik sämtliche Wiedergutmachungsansprüche verweigert worden – unter anderem wegen politischer „Unwürdigkeit“.

Angesichts dieser Auswirkungen, die bis heute nachwirken, fordert die „Internationale Liga für Menschenrechte“, endlich die gesamte personelle und mentale Kontinuität zwischen Naziregime und Bundesregierung, inklusive der nachgeordneten Behörden der Nachkriegszeit, offiziell und systematisch aufzuarbeiten. Auch die Landesregierungen sind aufgerufen, ihre Ministerien und nachgeordneten Behörden einer entsprechenden historischen Aufarbeitung zu unterziehen. Rolf Gössner: „Trotz jahrzehntelanger Verspätung: Nicht allein die Geschichte der DDR ist es wert, aufgearbeitet zu werden, auch die dunklen Flecken der westdeutschen Geschichte müssen auch auf höchster politischer Ebene endlich der Verdrängung entzogen werden.“