Pressemitteilung
Sperrfrist:
Sonntag, den 28. März 1999, 18 Uhr
Internationale Initiative
zur Beobachtung
des Öcalan-Prozesses in Bremen gestartet
Der Bremer Rechtsanwalt und Publizist Dr. Rolf Gössner hat zusammen mit der Menschenrechtsorganisation medico international eine unabhängige politische Initiative zur Beobachtung des Prozesses gegen den Kurdenführer Abdullah Öcalan gestartet. Seit der Verschleppung Öcalans in die Türkei und seiner Inhaftierung auf einer evakuierten Insel unter weitgehenden Isolationshaftbedingungen wurden internationale Anstrengungen unternommen, um Unterstützer zu gewinnen
Bis heute haben die wichtigsten bundesdeutschen Bürgerrechtsorganisationen sowie bedeutende Juristenvereinigungen und Einzelpersönlichkeiten des In- und Auslandes einen entsprechenden Aufruf (von Anfang März 1999) unterzeichnet bzw. sich bereit erklärt, an einer Delegation teilzunehmen. Der Aufruf, der als Anlage beigefügt ist, wird im Laufe der kommenden Woche bundesweit veröffentlicht werden.
Zu den Organisationen, die eine Prozeßbeobachtung unterstützen, gehören
u.a.: Humanistische Union, Internationale Liga für Menschenrechte, medico international,
Neue Richtervereinigung, Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und
Staatsanwälte in der ötv, Strafverteidiger-Vereinigungen, Vereinigung Demokratischer
Juristinnen und Juristen, BAG Kritische Polizistinnen und Polizisten, Europäische
Vereinigung von Juristen für Demokratie u. Menschenrechte in der Welt. Darüber hinaus hat der Strafverteidigertag 1999 in Bremen in einer Resolution die Initiative
zur Prozeßbeobachtung unterstützt.
Zu den Einzelpersönlichkeiten gehören u.a. die Bremer Juristen Dr. Heinrich
Hannover (Rechtsanwalt), Prof. Dr.
Ronald Mönch (Rektor der Technischen Hochschule), Renate und Eberhard Schultz
(Rechtsanwälte), Prof. Dr. Norman Paech
(Völkerrechtler, Hamburg), Jürgen
Schär (Staatsanwalt); die Journalisten und Schriftsteller Edgar Auth (”Frankfurter Rundschau”), Doris Gercke (TV-Drehbuchautorin), Eckart Spoo (Hannover); die
Wissenschaftler Prof. Dr. Helmut Dahmer
(Soziologe), Prof. Dr. med. Ulrich
Gottstein (IPPNW-Ehrenvorstand), Prof. Dr. Joachim Hirsch (Universität Frankfurt/M.); die Kriminal- bzw.
Polizeibeamten Martin Herrnkind und Thomas Wüppesahl (beide: BAG Kritische
PolizistInnen), die Europaparlamentarier Ozan
Ceyhun und Winfried Telkämper,
der Bremer Bürgerschaftsabgeordnete Dr. Arendt
Hindriksen u.v.a.m.
Aus dem Ausland haben
unterzeichnet: der israelische Publizist Uri
Avnery, die amerikanische Bürgerrechtlerin Angela Davis, der italienische Bühnenautor und Nobelpreisträger Dario Fo, der ehemalige dänische
Ministerpräsident Anker Joergensen,
die UNESCO-Friedenspreisträgerin Prof. Helena
Kekkonen, die französische Menschenrechtlerin Danielle Mitterand, der frühere US-Justizminister Dr. J. Ramsey-Clark, der Literaturnobelpreisträger
Wole Soynka, der Vorsitzende der
südafrikanischen Truth Commission und Nobelpreisträger Bishop Desmond Tutu u.v.a.
Die Initiative ist politisch unabhängig, sie ist ausgerichtet an den internationalen Menschenrechtsstandards. Da sämtliche Zeichen darauf hindeuten, daß im Verfahren gegen Öcalan vor dem türkischen Staatssicherheitsgericht rechtsstaatliche und menschenrechtliche Prinzipien nicht gewährleistet werden, sind internationale Beobachtung und Öffentlichkeit umso dringlicher. Nachdem erst kürzlich zahlreiche Delegationen zum Newroz-Fest von türkischen Sicherheitskräften festgenommen bzw. abgeschoben wurden, hängt die Teilnahme-Chance der Prozeßbeobachterdelegation entscheidend von einer energischen Intervention der Bundesregierung und der EU gegenüber der türkischen Regierung ab. Bislang ist noch nicht einmal gewährleistet, daß der Öcalan-Verteidiger RA Hans-Eberhard Schultz aus Bremen seiner Verteidigertätigkeit angemessen nachkommen, Öcalan im Gefängnis besuchen sowie an dem Strafverfahren teilnehmen kann. Der Prozeß soll voraussichtlich Ende April/Anfang Mai 1999 beginnen.
hs/rg
Hinweis:
Rolf Gössner steht für evtl. Nachfragen nur noch
heute, 27. März 1999, bis 19 Uhr telefonisch oder per Fax zur Verfügung (ab
dann bis ca. Mitte April befindet er sich auf Auslandsreise).
Aufruf
zur internationalen Beobachtung des Öcalan-Prozesses
Internationale Initiativen
im Fall Öcalan und zur friedlichen Lösung des Kurdistan-Konflikts
Der in die Türkei
verschleppte Generalsekretär der kurdischen Arbeiterpartei PKK, Abdullah
Öcalan, ist in höchster Gefahr. Ihm drohen als vorverurteiltem “Terrorist” und
”Staatsfeind Nr. 1” Mißhandlung und Folter in türkischen Gefängnissen, ein
inszenierter Schauprozeß vor einem Siegertribunal sowie die Verhängung der
Todesstrafe durch ein türkisches Staatssicherheitsgericht. Diese Gerichte,
denen auch Militärrichter angehören, verstoßen nach einer Entscheidung des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gegen die Europäische
Menschenrechtskonvention. Der Staatsanwalt hat soeben wegen Hochverrats,
Separatismus und Anstiftung zum Mord die Todesstrafe gefordert. Nicht auszuschließen
ist auch, daß dem Kurdenführer ein ”kurzer Prozeß” durch Ermordung zugedacht
wird, bevor es überhaupt zu einem Gerichtsverfahren kommt. Eine gigantische
Propaganda- und Hetzkampagne gegen kurdische Oppositionelle begleitet gegenwärtig
eine Großoffensive der türkischen Sicherheitskräfte und ein Verhaftungswelle,
die auf angebliche PKK-Sympathisanten zielt und auch vor Menschenrechtlern
nicht Halt macht.
I.
Internationale Prozeßbeobachtungskommission
Angesichts der schlimmen Erfahrungen,
die Oppositionelle mit der türkischen Justiz gemacht haben, angesichts der
Tatsache, daß Öcalan offenbar im Zusammenspiel mehrerer Geheimdienste und unter
Verstoß gegen geltendes Völkerrecht in die Türkei verschleppt worden ist und
bislang auf einer evakuierten Gefängnisinsel in Isolation und ohne Anwälte
verhört wird, angesichts auch der entwürdigenden Videoaufnahmen im Zusammenhang
mit der Verschleppung und der massiven öffentlichen Vorverurteilung, kann ein
rechtsstaatlich einwandfreies Gerichtsverfahren in der Türkei unter Wahrung der
Menschenrechte kaum erwartet werden. Aus diesem Grunde kommt einer unabhängigen
internationalen Prozeßbeobachtung eine ganz besondere Bedeutung zu.
Zur
Zusammensetzung der Kommission
Um eine solche Beobachtung zu
gewährleisten, ist geplant, in Kürze ein Komitee ins Leben zu rufen, in dem
u.a. VertreterInnen von bundesdeutschen und internationalen Menschen- und
Bürgerrechtsgruppen sowie geeignete Experten bzw. Persönlichkeiten des öffentlichen
Lebens vertreten sein und zusammenarbeiten sollten.
Zu den
Kern-Aufgaben der Kommission
Der Aufgabenbereich sollte keinesfalls auf den Fall
Öcalan bzw. auf den zu erwartenden Prozeß verengt werden, weil sonst die politische
Dimension des dahinter stehenden Kurdistan-Konflikts – genauso wie derzeit in
der öffentlichen Diskussion – verloren gehen könnte (dazu weiter unten). Im
Kern sollte die Kommission
1. sich im Vorfeld um die
Haftbedingungen Öcalans und seine Verteidigungssituation kümmern (u.a.
Aufhebung der Isolationshaft, Zulassung von kurdischen und internationalen
Anwälten, unkontrollierte Verteidigergespräche etc.),
2. die Bundesregierung
veranlassen, sich bei der türkischen Regierung für die Zulassung der deutschen
Anwälte Öcalans sowie für die Zulassung einer internationalen Beobachtung
einzusetzen,
3. den zu erwartenden ”Jahrhundert-Prozeß” kritisch
begleiten, dokumentieren und internationale Gegenöffentlichkeit organisieren.
Es müssen alle
Anstrengungen unternommen werden, um menschenwürdige Haftbedingungen und ein
rechtsstaatliches, faires Verfahren gegen Öcalan vor einem ordentlichen Gericht
unter Wahrung der in der Europäischen Menschenrechtskonvention normierten
Menschenrechte zu gewährleisten. Da dies in der Türkei bisher nicht
gewährleistet ist und zu befürchten ist, daß eine unabhängige Beobachtungskommission
an der Einreise in die Türkei und an der Prozeßteilnahme gehindert werden wird,
lautet die Forderung, den Fall Öcalan vor einem Internationalen Gericht bzw.
Tribunal zu verhandeln. In diesem Zusammenhang gehört allerdings auch die
Türkei für ihren verheerenden Krieg gegen die kurdische Bevölkerung und für
deren menschenrechtswidrige Behandlung auf die internationale Anklagebank.
II.
Unabhängige internationale Untersuchung der Verschleppung Öcalans
Darüber hinaus sollte das Komitee auch
eine unabhängige internationale Untersuchung(skommission) einfordern bzw.
initiieren, um die völkerrechtswidrige Geheimaktion, mit der Öcalan in die
Türkei verschleppt worden ist, rückhaltlos aufzuklären...
III.
Zum Politische Hintergrund des Falls Öcalan
Weil in der öffentlichen Debatte um den Fall Öcalan
zumeist der politische Hintergrund des Falles ausgeblendet wird, kommt der
Kommission auch die Aufgabe zu, dieser bornierten, interessegeleiteten
Sichtweise wirksam entgegenzusteuern. Der dahinter steckende Kurdistankonflikt,
der türkische Terror gegen die kurdische Bevölkerung im Südosten der Türkei
wird verdrängt. Die von Kurden jüngst verübten Gewaltakte und
Verzweiflungstaten in der Bundesrepublik werden vollkommen losgelöst von der
Kriegssituation in der Türkei debattiert, losgelöst von den bitter enttäuschten
Erwartungen an die Rolle Deutschlands und Europas bei einer friedlichen Lösung
der Kurdistankonflikts, losgelöst auch vom deutschen Beitrag zu diesem Krieg,
der auf Seiten der Türkei u.a. mit deutschen Waffen geführt wird, die von der
Bundesrepublik offiziell an die Türkei geliefert worden sind. Deutschland ist also
mitverantwortlich für Gewalt und Gegengewalt im Zusammenhang mit dem Kurdistankonflikt.
Aufgabe der Kommission wird es sein, auch an diese Zusammenhänge zu erinnern.
1. Längst hat sich die (Medien-) Debatte
in der Bundesrepublik auf die innenpolitische Dimension verengt, auf die
uniforme Geißelung der ”kurdischen Gewalt” als “Terror” und auf möglichst
harte staatliche Reaktionen. Es zeichnet sich wieder einmal eine Große
Koalition ”aller Demokraten” gegen die ”Terroristen” der nach Auffassung von
Polizei und Verfassungsschutz aktuell “gefährlichsten Terrororganiation” (PKK)
ab, eine politische Einheitsfront, die weder Deeskalation noch Differenzierung
kennt und die nicht gewillt ist, auch die Ursachen von Gewalt ins Kalkül zieht.
Einsperren, ausgrenzen und abschieben lautet die reflexartige Devise und die Strafgesetze
sollen mal wieder verschärft, Abschiebungen in den Folterstaat Türkei
erleichtert werden. Auch die rot-grüne Bundesregierung scheint sich diesem Sog
nur schwer entziehen zu können – einzelne Regierungsmitglieder stimmen in den
Chor der Hardliner ein.
Deshalb ist die neue Bundesregierung mit Nachdruck an
ihren eigenen Koalitionsvertrag zu erinnern, in dem sie der Bekämpfung der Ursachen
von Gewalt und Kriminalität einen hohen Stellenwert einräumt. Die
Bundesregierung darf die bisherige Politik der Ausgrenzung gegenüber Kurden
nicht länger fortsetzen. Und sie muß sich klar zu ihrer internationalen
Verpflichtungen bekennen, keine Kurden, die straffällig geworden sind, durch
eine Abschiebung in die Türkei der Gefahr der Folter oder Tötung auszusetzen.
2. Angesichts der festzustellenden Konstellation
internationaler (Wirtschafts- und Militär-) Interessen in Bezug auf die Türkei
ist eine europäische Intervention von menschenrechtsorientierten Kräften umso
notwendiger. Eine solche Initiative, die unabhängig sein muß und sich nicht,
von welcher Seite auch immer, instrumentalisieren lassen darf, muß die
europäischen Regierungen in die Pflicht nehmen, ihren politischen Einfluß auf
die Türkei energisch geltend zu machen, um eine umfassende demokratische,
friedliche und gerechte Lösung des Krieges in Türkisch-Kurdistan in die Wege
zu leiten. Die Kommission sollte alles in ihrer politisch-moralischen Kraft
stehende unternehmen, um die rot-grüne Bundesregierung, ihren
Menschenrechtsbeauftragten, den Menschenrechtsausschuß des Bundestages sowie
die EU (unter der derzeitigen Präsidentschaft Deutschlands) sowie die zuständigen
UN-Organe zu entsprechenden Initiativen zu bewegen. Das nächste Ziel: die
Einberufung einer Internationalen Kurdistan-Konferenz. Es ist an der Zeit,
endlich den Kampf der Kurden um ihre politischen und kulturellen Rechte, um
ihre Menschen- und Bürgerrechte zu unterstützen. Hier sind auch die Vereinten
Nationen als Vermittler gefragt.
Es
gilt, die politische ”Chance”, die der Fall Öcalan eröffnen könnte, offensiv zu
nutzen.
Für die
Beobachterinitiative
Dr. Rolf
Gössner Hans
Branscheidt
Herausgegeber:
medico international in Zusammenarbeit mit dem Appell von Hannover.