- Report 1/2005
Informationsbrief der INTERNATIONALEN LIGA FÜR MENSCHENRECHTE
Berlin, im Mai 2005
An die Mitglieder und Freunde der „Internationalen Liga für Menschenrechte“
Liebe
Mitstreiterinnen und Mitstreiter!
Dieses Mal mussten Sie länger auf den neuen Liga-Report warten als sonst – fast sechs Monate. Das lag u.a. daran, dass im Dezember die Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille stattgefunden hat, die immer viele Kräfte bindet. Das lag auch an unserer Beteiligung an einer Internationalen Prozessbeobachtung vor der Audienca Nacional in Madrid (November 2004) sowie an einer internationalen Menschenrechtsdelegation in die Türkei (Januar 2005); dabei ging es um die Frage, ob und inwieweit sich die dortige Menschenrechtslage im Zusammenhang mit den EU-Beitrittsverhandlungen zum Besseren entwickelt (Bericht s.u.). Und es lag nicht zuletzt daran, dass wir die Mitgliederversammlung (MV), die im März stattgefunden hat, vorbereiten mussten. Und im Vorfeld der MV gab es innerhalb des Vorstands sowohl personelle als auch finanzielle Probleme zu klären. Außerdem sind die beiden Vizepräsidenten Laurent Faasch-Ibrahim und Till Wilsdorf aus persönlichen Gründen von ihren Ehrenämtern zurückgetreten, so dass während der MV zwei neue Vizepräsidenten nachgewählt werden mussten.
An dieser Stelle möchte ich im Namen des Vorstands Laurent Faasch-Ibrahim und Till Wilsdorf für ihre Arbeit in der Liga danken und hoffe, dass sie sich weiterhin als Liga-Mitglieder engagieren. Die beiden neuen Vizepräsidenten – Kilian Stein und Yonas Endrias –, die auf der letzten MV gewählt worden sind, möchte ich im Namen aller Vorstandsmitglieder herzlich im Präsidium begrüßen.
Trotz mancher Widrigkeiten – insbesondere was die Geschäftsstellen-Arbeit und die Finanzverhältnisse angelangt – konnten im vergangenen Jahr und in den letzten Monaten wichtige Liga-Aktivitäten entfaltet und Kooperationen verwirklicht werden. Diese haben sich vielfach auch in den Medien widergespiegelt. Im folgenden können Sie die Liga-Aktivitäten der vergangenen sechs Monate nachlesen. In der Hoffnung, dass Sie einiges aus der Fülle interessieren möge, verbleibe ich bis zum nächsten Liga-Report mit solidarischen Grüßen
Rolf Gössner
Berlin/Bremen, Mai 2005
I n h a l t
Einleitung.............................................................1
Carl-v-Ossietzky-Medaillen-Verleihung 2004 ... 2
Hintergrund-Themen
Bundesrepublik
Überblick (Rolf Gössner)................................... 4
Alltäglicher Rassismus (Yonas Endrias)........... 5
EU – Europa
Nein zu dieser EU-Verfassung ......................... 7
Offener Brief an
Bundestagspräsident Thierse
(Elke Zwinge-Makamizile).................................. 8
Exterritoriale Flüchtlingslager der EU ..............10
Menschenrechte: Eine
Waffe des „Westens“?.. 12
(Marco Benzi)
Menschenrechts-Delegation
Türkei-Bericht einer Internat. Delegation ........ 13
Offener Brief an Bundeskanzler Schröder ....... 16
Liga-Prozessbeobachtung
Staatsschutz-Prozess ./. Berlinerin in Spanien...18
Liga-Ausschuss-Bericht
Bericht des „Eine-Welt-Ausschusses“ ............. 19
Liga-Presseerklärungen
(November 2004 – April 2005)
Prozessbeobachtung in Madrid ........................ 20
11 Jahre PKK-Verbot ...................................... 21
Mildes Urteil im Folterfall Daschner ............. 22
Tod durch Brechmitteleinsatz in Bremen........ 22
Massenhafte Asylwiderrufsverfahren ............. 24
Offene Liga-Briefe
Tag des Gedenkens an NS-Opfer (BT-Präs.)... 26
Grußwort an Medienrat-Institut ....................... 27
Kooperationen
& Aufrufe
Treffen mit Bürgerrechtsgruppen .................... 28
Rechtshilfefonds für Abschiebegefangene ...... 28
Manifest Illegalität ........................................... 30
Grundrecht-Report 2005................................... 32
Reaktionen-Leserbriefe
In Sachen Ossietzky-Medaillen-Verleihung..... 32
Termine/Literatur/Hinweise ab......................33
Impressum ........................................................ 36
Rede von Rolf Gössner zum 8. Mai in Berlin.. 37
Die Mitglieder des
neuen Liga-Präsidiums:
Dr. Rolf Gössner, Liga-Präsident, Kilian Stein und Yonas Endrias, Vizepräsidenten
***
Kilian
Stein, geb. 1933 in Würzburg, Studium der Rechte in Würzburg, Frankfurt und
Berlin, ab 1962 als Richter in Berlin tätig, hauptsächlich in der sog.
Wiedergutmachung, seit Ende der 60er-Jahre mit einer Unterbrechung von einigen
Jahren politisch tätig, so in der Bildungsarbeit der ÖTV und als Tutor in
Arbeitskreisen des Soziologischen Instituts der FU, seit 1999 Mitglied der Liga,
Sprecher des Rechtsausschusses.
Yonas Endrias, Studium economics, Bachelor of Science, an der University of Maryland; Studium der Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin, Dipl.-Politologe; seit 1998 bei der Liga, Sprecher des Eine-Welt-Ausschusses.
Ossietzky-Medaillen 2004
Liga verlieh im Dezember
2004 Carl-von-Ossietzky-Medaillen
an Percy MacLean, Esther Bejarano, Peter Gingold, Martin
Löwenberg
Herausragendes
Ereignis des Liga-Jahres 2004 war am 12. Dezember die feierliche Verleihung der
Carl-von-Ossietzky-Medaille im Haus der Kulturen der Welt – und zwar an die
Überlebenden des Naziterrors und die Antifaschisten Esther Bejarano, Peter
Gingold, Martin Löwenberg sowie an den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht
Berlin, Percy MacLean (s. Liga-Report 3/2004, S. 2 ff.)
Mit
der Medaillenverleihung haben wir den von allen vier Preisträgern auf
unterschiedliche Weise geführten politischen und rechtlichen Kampf gegen
Diskriminierung, Rassismus und Neonazismus in dieser Gesellschaft gewürdigt.
Wir wollten damit einerseits an die politische Verfolgung in den ersten beiden
Jahrzehnten der Bundesrepublik erinnern und an die bis heute nicht erfolgte Rehabilitierung
der bundesdeutschen Justizopfer des Kalten Krieges. Aber wir wollten zugleich
ganz aktuell ein Zeichen setzen gegen den fatalen Rechtsruck hierzulande, gegen
Antisemitismus, Islamophobie und rechte Gewalt. Diese Botschaft, so denke ich,
ist auch über die Medien in der Öffentlichkeit angekommen.
Die Reden und Laudationes, die während
der Medaillen-Verleihung gehalten wurden, werden in einer Liga-Broschüre
dokumentiert. Sie ist zu bestellen in der Liga-Geschäftstelle (s. Impressum),
ebenso wie die Dokumentation der Verleihung 2003. Einzusehen auch über www.ilmr.de.
BERLINER ZEITUNG vom 13. Dezember 2004
Ein unbequemer Geist
Internationale Liga für
Menschenrechte ehrt Percy MacLean
Marlies Emmerich
Die
Berliner Ausländerbehörde hat zahlreiche Dienstaufsichts- beschwerden gegen
Percy MacLean angestrengt. Und auch so mancher konservative Politiker ärgert
sich über die Urteile des Verwaltungsrichters zu Gunsten von politisch
Verfolgten und Bürgerkriegsflüchtlingen. Am Sonntag ist MacLean mit der
Carl-von-Ossietzky-Medaille 2004 ausgezeichnet worden.
Der
Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, Rolf Gössner, selbst
Jurist, sagte im Haus der Kulturen der Welt: "MacLean hat klare menschenrechtliche
Akzente gesetzt." Als "unbequemer Geist" habe er mit Hilfe der
Rechtssprechung versucht gegenzusteuern. Seit Beginn der 80er-Jahre sorgt Percy
MacLean für Aufsehen: In seinen Gerichtsentscheidungen hält der Nachkomme
schottischer Einwanderer der Politik entgegen, dass Flüchtlinge aus
Ex-Jugoslawien nicht als Sozialschädlinge in Deutschland leben, sondern als
Schutzbedürftige. Gegen den Willen des Senats setzte der Jurist befristete
Aufenthaltsduldungen für Bürgerkriegsflüchtlinge durch. Zuletzt machte MacLean
vor zwei Jahren als Direktor des neu ins Leben gerufenen Deutschen Instituts
für Menschenrechte von sich reden. Schon nach einem halben Jahr, so Gössner,
war MacLean "Opfer der politischen Widerstände" geworden, nachdem er
die Einhaltung der Menschenrechte in Deutschland im Vergleich zu anderen
Ländern überprüfen wollte. "Die Forderungen der Vereinten Nationen sind
ihm wichtiger als die Beamtenkarriere", sagte Gössner.
Die anderen Preisträger -
Ester Bejarano, Peter Gingold und Martin Löwenberg - stehen laut Gössner
stellvertretend für viele, die gegen das NS-Regime gekämpft hatten und in der
frühen Bundesrepublik wegen ihres antifaschistisch-sozialistischen Engagements
erneut verfolgt wurden. Gössner sprach von einem "dunklen Kapitel"
der Bundesrepublik. Erst dieses Jahr ist Löwenberg zu einer Geldstrafe verurteilt
worden. Der 78-Jährige hatte aufgerufen, sich Neonazis, den "Totengräbern
der Demokratie", entgegenzustellen. Weil die Nazi-Kundgebung genehmigt
worden war, hätte er laut Amtsgericht München aber nicht protestieren dürfen.
Weitere Berichte über die Medaillen-Verleihung
(Auswahl)
Widerstand
gewürdigt. Am Sonntag werden in Berlin Esther Bejarano, Peter Gingold, Martin
Löwenberg und Percy MacLean mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille geehrt, in: JUNGE
WELT 10.12.2004
„Zeichen gegen Antisemitismus,
Islamfeindlichkeit und rechte Gewalt“. Seit 1962 verleiht die Internationale
Liga für Menschenrechte eine Medaille für politisches Engagement, Zivilcourage
und kritische Aufklärung. Ein Gespräch mit Rolf Gössner, in: JUNGE WELT
vom 10.12.2004.
Ossietzky-Preis:
Berliner Richter und NS-Verfolgte geehrt, Filmbericht in: TAGESSCHAU.
Nachrichten der ARD 12.12.2004 (in fast allen Ausgaben)
Nowak,
Preis für Zivilcourage. Liga für Menschenrechte verlieh die
Carl-von-Ossietzky-Medaille, in: NEUES DEUTSCHLAND vom 13.12.2004.
Ehrungen
für Verfolgte des NS-Regimes, in: DER TAGESSPIEGEL vom 13.12.2004
Ein
unbequemer Geist. Internationale Liga für Menschenrechte ehrt Percy MacLean,
in: BERLINER ZEITUNG vom 13.12.2004.
Percy MacLean geehrt. Liga für Menschenrechte verleiht Ossietzky-Medaille an den Berliner
Verwaltungsrichter und drei NS-Verfolgte, in: DIE TAGESZEITUNG vom
13.12.2004
Berliner
Richter und NS-Verfolgte mit Ossietzky-Medaille geehrt, in: BERLINER
MORGENPOST vom 13.12.2004.
Über die Unwürdigkeit. Früher wie heute: Nicht die
Nazis, nur ihre Gegner haben in der BRD etwas zu befürchten. Das nennt man dann
„Versammlungsstörung“. Auszüge aus der Rede von R. Gössner anlässlich der
Carl-von-Ossietzky-Medaillenverleihung 2004, in: JUNGE WELT 15.12.04
___________________________________
Wie
jedes Jahr verleiht die Liga
zum Tag der Menschenrechte die
Carl-von-Ossietzky-Medaille
an
Personen und Gruppen,
die sich im Kampf
für die Menschenrechte und den Frieden besondere Verdienste
erworben haben.
Wir
bitten um Vorschläge
für geeignete Kandidatinnen oder Kandidaten (Personen oder Gruppen) bis zum
15. August 2005
an die Liga-Adresse (s.
Impressum).
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Hintergrund-Themen
Bundesrepublik
Wir
haben 2004 und Anfang 2005 einige brisante Probleme aufgegriffen – erinnern
möchte ich etwa an unsere Stellungnahmen zu der unsäglichen „Folterdebatte“, zu
Polizeiübergriffen auf Migrantinnen und Migranten oder zu der leidigen Verbotsdebatte
im Kopftuchstreit.
1. Zwar ist Ende letzten Jahres im Fall Daschner immerhin eine Verurteilung der Folterandrohung erfolgt - doch setzt dieses ausgesprochen milde Urteil gegen den Frankfurter Vize-Polizeipräsidenten ein falsches Signal. Folgt man der Logik des Gerichts, wird die polizeiliche Androhung von Folter in Deutschland – wenn sie aus einer „ehrenwerten Gesinnung“ erfolgt – faktisch legitim. Es passt in eine Zeit, in der im Zuge eines verschärften "Antiterror"-Kampfes ein kräftiges Abrücken vom absoluten Folterverbot der internationalen Menschenrechtskonventionen zu verzeichnen ist. Dieses Urteil wird die fatale Debatte um die Zulässigkeit von Foltermaßnahmen kaum verstummen lassen. Die grausamen Folterszenen des Jahres 2004 in Abu Ghraib und Guantanamo strahlen weit hinein nach Europa, in die Bundesrepublik, auf ihre Polizei und Bundeswehr aus. Das zeigt nicht nur die öffentliche Debatte um den Fall Daschner, das zeigen auch die erschreckenden Folterübungen bei der Bundeswehr, die sich auf internationale Einsätze in aller Welt vorbereitet. Angesichts dieser fatalen Erosion des Folterverbots müssen wir weiterhin wachsam sein und ein energisches Gegensteuern anmahnen.
Der Liga-Rechtsausschuss hat sich zusammen u.a. mit der Humanistischen Union mehrfach zu der sog. Folterdebatte öffentlich gemeldet. Im Oktober 2004 hat der Ausschuss eine Republikanische Vesper unter dem Titel „Ein bisschen Folter?“ vorbereitet und mit durchgeführt.
2. Mit besonderer Sorge hat die Liga die neuere Praxis des bisherigen Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge beobachtet, vermehrt Asylanerkennungen zu widerrufen. Damit widerruft das Amt seine eigenen Beschlüsse, mit denen es politische Flüchtlinge wegen Verfolgungsgefahr vor vielen Jahren als asylberechtigt anerkannt hatte. Diese Behörde betätigt sich also zunehmend als Amt für die Aberkennung von Asylberechtigungen. Während 1998 knappe 700 Widerrufsverfahren bundesweit durchgeführt worden waren, sind es im Jahr 2004 mehr als 18.000 Verfahren. Betroffen sind insbesondere Asylberechtigte aus Afghanistan, aus dem Kosovo, dem Iran und Irak sowie aus der Türkei.
Diese
Widerrufsverfahren werden nach Erkenntnissen der Liga oftmals ohne ernsthafte
individuelle Überprüfung des Einzelfalls und jenseits völkerrechtlicher
Standards durchgeführt. Dabei werden die Kriterien der Genfer Flüchtlingskonvention
weitgehend ignoriert, die einen Widerruf der Flüchtlingseigenschaft nur unter
engen Voraussetzungen zulässt: Danach müssen sich die objektiven Verhältnisse
und die Menschenrechtssituation in den jeweiligen Herkunftsländern grundlegend
und dauerhaft geändert haben, die ursprüngliche Verfolgungsgefahr muss weggefallen
und ein wirksamer staatlicher Menschenrechtschutz gewährleistet sein. Davon
kann jedoch in den genannten Ländern, insbesondere im Irak und im Iran,
objektiv nicht die Rede sein.
Der
Entzug des Asylstatus’ beschädigt die soziale Existenz der Betroffenen und
schwächt ihren Schutz vor Auslieferung an Verfolgerstaaten, wo sie der Gefahr
von Folter, Misshandlung und Mord ausgesetzt wären.
Viele
Widerrufsverfahren werden auf die seit 2002 geltenden „Anti-Terror-Gesetze“
gestützt, mit denen die Anerkennung von Asylbewerbern erschwert sowie
Ausweisungen erleichtert worden sind. Zusätzlich werden die Widerrufsbescheide
auf die sog. Terrorliste der EU gestützt, deren Zusammensetzung keiner
demokratischen Kontrolle unterliegt.
3.
Die bürgerrechtliche Situation von Migranten hat sich mit den
„Anti-Terror“-Gesetzen von 2002 ohnehin gravierend verschlechtert: Gehörten sie
schon bislang zu der am intensivsten überwachten Bevölkerungsgruppe, so werden
sie nun unter Generalverdacht gestellt und einem noch rigideren
Überwachungssystem unterworfen, was für viele existentielle Folgen haben kann.
Diese Gesetzesverschärfungen, die kaum mehr Sicherheit schaffen, erklären
Ausländer zu erhöhten Sicherheitsrisiken, grenzen sie aus und schüren
fremdenfeindliche Ressentiments. Das ist das Gegenteil von Integration.
Migranten, unter ihnen besonders Muslime, gehören zu den eigentlichen
Verlierern des staatlichen „Anti-Terror-Kampfes“. Nach dem Mord an Theo van
Gogh hat die Islamismus-Debatte auch hierzulande geradezu hysterische Züge
angenommen. Nach einer jüngst veröffentlichen Langzeituntersuchung nimmt die
Islam- und Fremdenfeindlichkeit in Deutschland ohnehin dramatisch zu. Diesem
Problemkomplex hat sich die Liga etwa auf internationalen Konferenzen, in
Veranstaltungen, Interviews und Veröffentlichungen im vorigen Jahr kritisch
gewidmet und sie wird sich ihm weiterhin widmen.
4. In Baden-Württemberg versucht ein junger Mann seit Jahren, neonazistischen Bestrebungen entgegen zu wirken. Die Strafe: Berufsverbot. Dem Heidelberger Realschullehrer Michael Csaszkóczy hat kürzlich die baden-württembergische Kultusministerin Annette Schavan (CDU) die Einstellung in den Staatsdienst verweigert. Begründung: Der Lehrer engagiere sich in einer Antifaschistischen Initiative gegen fremdenfeindliche und neonazistische Bestrebungen. Eigentlich ja ein anerkannt löbliches Tun, rufen doch auch Politiker zuweilen einen „Aufstand der Anständigen“ aus. Doch diese legale Antifa-Initiative zählt nicht zu den offiziell anerkannten "Anständigen". Denn sie sei linksextremistisch, so der definitionsmächtige Verfassungsschutz. Mit diesem neuen Berufsverbotsfall wird ein Antifaschist aus Gesinnungsgründen vom Schuldienst ferngehalten, dem persönlich kein Fehlverhalten vorzuwerfen und der für den Lehrerberuf bestens qualifiziert ist. Die Liga hat sich dem Protest gegen diese Neuauflage der unsäglichen Berufsverbotepolitik auf unterschiedliche Weise angeschlossen.
***
Straßenumbenennungsaktion
Berlin
Alltäglicher
Rassismus
Von Yonas Endrias
Eine
Mail an die Liga:
Guten
Tag, habe von Ihrem Vorschlag gehört, die Mohrenstr. umzubenennen. Selten so gelacht,
selten so einen Schwachsinn gelesen. Wäre ich ein Diktator, würde ich mich
freuen über so eine harmlose, dilletantische Organisation, die sich mit solchen
nebensächlichkeiten befasst, anstatt die wichtigen Dinge anzugehen. So, das
wars. Gut, dass C.v.O, den ich sehr schätze, diesen Schwachsinn derer nicht
mehr mitbekommt, die in seinem Namen Unsinn verbreiten. mfg J.Baier (28.01.05)
Die
Liga-Antwort:
Sehr
geehrter Herr Bauer, vielen
Dank für Ihre e-mail. Die Internationale Liga für Menschenrechte kämpft konsequent
seit ihrer Gründung gegen Militarismus, Faschismus und Rassismus. Dazu gehört
der Kampf gegen jegliche Form von Diskriminierung und Entwürdigung. Wie in den
Jahren zuvor setzen wir uns auch für die Umbenennung von Straßen ein, die einen
militaristischen, faschistischen oder rassistischen Hintergrund haben. In der
von Ihnen erwähnten aktuellen Arbeit geht es darum, Straßen umzubenennen, die
nach kolonialen Verbrechern benannt sind, und/oder für einen Teil der Bevölkerung
diskriminierend, abwertend oder entwürdigend sind. Afrikaner bzw. Schwarze
fühlen sich durch die Bezeichnung "Mohr" diskriminiert bzw.
entwürdigt.
Was
oder wer ist eigentlich der "Mohr"? Oder der "Neger"? In
der Regel bezeichnet man Menschen nach ihrem Kontinent, Gebiet, oder manchmal
auch der Sprache. Der "Neger" genauso wie der "Mohr" ist
Produkt und Projektionsfläche europäischer kolonialer Phantasie. Nach dieser
ist der "Mohr" ein Diener, ein Sklave, dumm, kindisch, unzivilisiert,
kulturlos, geschichtslos - ein Wesen, das nur dazu da ist, Weißen zu dienen,
also à la "Sarotti-Mohr". Ein Bewohner des afrikanischen Kontinents
heißt Afrikaner oder Afrikanerin oder je nach Land Senegalese, Nigerianer, oder
Kenianer oder nach politischer Hautfarbe Schwarzer.
Woher
kommt das Wort "Mohr"? Ursprünglich kommt es in der deutschen Sprache
von der Bezeichnung für die Bewohner Nordafrikas, den Mauren. Das Wort leitet
sich wiederum aus dem Griechischen "moros" ab und bedeutet
"einfältig", "töricht" "dumm".
Laut
"Wahrig Deutsche Rechtschreibung" kommt "mo|ros [lat.]:
mürrisch, verdrießlich" hinzu. Daraus leiten sich noch viel mehr negative
Bezeichnungen ab, die in Wissenschaft und Literatur einen festen Platz gefunden
haben, z.B. aus der Psychologie die Bezeichnung "moron", ein
retarierter Erwachsener mit dem mentalen Alter eines Kindes zwischen 7 und 12.
Sie kennen sicherlich das "Oxymoron" aus der Literatur usw.
Historisch
gibt es mindestens fünf Versionen, wie die "Mohrenstraße" zu ihrem
Namen kommt. Eine ist, dass die Straße vor 300 Jahren nach Afrikanern benannt
wurde, die als Sklaven, als Beigabe für einen Gebietsaustausch zwischen
Deutschland und den Niederlanden Kaiser Wilhelm I geschenkt wurden, und in der
Straße gewohnt haben sollen, etc.
Was die
U-Bahn-Station "Mohrenstraße" angeht, ist es ein neues Phänomen. 1907
hieß sie "Kaiserhof", benannt nach dem Hotel. 1950 wurde sie
Thälmannplatz genannt, dann 1986 Otto-Grotewohl-Straße. Erst 1991 wurde sie in
"Mohrenstraße" umbenannt. Eine unsinnige Umbenennung, die unbedingt
korrigiert werden muss.
Auch
wenn es in der Presse verkürzt und zum Teil falsch dargestellt wurde, geht
unser Vorschlag zur Umbenennung über die "Mohrenstraße" hinaus und
behinhaltet eine Liste von Straßennamen in Berlin, die nach kolonialen
Verbrechern und Mördern benannt worden sind. Das beinhaltet u.a.
"Petersallee", benannt nach einem vielfachen Mörder in Ostafrika und
später von den Nazis hochbejubelten Verbrecher. Das gleiche gilt auch für die
Straßennamen "Nachtigall", "Lüderitz", "Wissmann"
oder "Swakopmund". Letztere wurde benannt nach dem Ort des ersten
Völkermordes des 20. Jahrhunderts, begangen von deutschen Truppen an den Herero
und Nama usw.
Wie
Sie sehen, ist unser Vorschlag zur Umbenennung weder lachhaft noch
schwachsinnig wie Sie es bezeichnen. Es war immer das Anliegen der Liga gegen
Diskriminierung von Minderheiten zu kämpfen. Wenn die afrikanische Community
bzw. Schwarze zu Recht gegen Diskriminierung protestieren, wird dies selbstverständlich
auch von der Liga unterstützt.
In
der Hoffnung, dass Sie auch unseren Kampf gegen Rassismus, Diskriminierung,
entwürdigende und Sklaverei und Kolonialismus verherrlichende Straßennamen
unterstützen, verbleiben wir mit freundlichen Grüßen
Yonas Endrias, Vorstandsmitglied, Sprecher des
Eine-Welt-Ausschusses
PS: Carl von Ossietzky wäre stolz auf unsere Arbeit
gewesen. Schauen Sie auf unsere Webseite und überzeugen Sie sich selbst von unserer
Arbeit. Übrigens, Einstein ein
ehemaliges Vorstandsmitglied der Liga,
hat sich in Briefen an den amerikanischen Präsidenten für die Rechte
schwarzer Amerikaner eingesetzt.
Wir kennen keine selektiven Menschenrechte. Wir
arbeiten auf der Grundlage der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und dem
GG "Die Würde des Menschen ist unantastbar."
die Tageszeitung vom
13.11.2004 (Berlin-Teil)
Das unrühmliche Erbe der Kolonien
Die Mohrenstraße erinnert an koloniale Fantasien und befördert
so rassistisches Denken. Deswegen wird jetzt
ihre Umbenennung gefordert. Aktivisten werfen der Gesellschaft vor, zu
unreflektiert mit Unrecht umzugehen
120 Jahre ist es her, dass Afrika offiziell
unter den europäischen Mächten aufgeteilt wurde. Vor genau 120 Jahren begann in
der Berliner Wilhelmstraße, im damaligen Reichskanzlerpalais, die so genannte
"Berliner Afrikakonferenz". Dieses Datum nahmen einige Menschenrechtsvereinigungen,
darunter die Internationale Liga für Menschenrechte und der Global Afrikan
Congress, sowie der Migrationsrat Berlin-Brandenburg zum Anlass, unweit vom
damaligen Tagungsort, im Berliner Abgeordnetenhaus, darauf aufmerksam zu
machen, dass Unrecht keineswegs verjährt. Die VertreterInnen erklärten daher
gestern, dass es inakzeptabel sei, die Mohrenstraße, ein Relikt der "Ein
Platz an der Sonne"-Ideologie Kaiser Wilhelms, nicht umzubenennen.
Zwar sind "Neger" oder
"Mohr" eigentlich im offiziellen deutschen Sprachgebrauch verpönt,
möchte man meinen. Doch Aktivisten der Black Community sehen noch zahlreiche Beispiele,
in denen diese kolonial geprägten Ausdrücke sich hartnäckig behauptet haben.
Zum Beispiel das gar nicht so harmlose Kinderlied "Zehn kleine
Negerlein", in denen in jeder Strophe ein Kind stirbt.
"In der Kolonialzeit wurden die
schwarzen, afrikanischen Menschen mit Begriffen wie Mohr oder Neger dehumanisiert.
Auf ihn wurden lediglich koloniale Fantasien projiziert. Dies wirkt bis heute
in einem antischwarzen Rassimus fort", sagt Yonas Endrias von der Internationalen
Liga für Menschenrechte. Die unterstützt den Antrag auf Umbenennung der
Mohrenstraße, den die PDS in der BVV Mitte gestellt hatte und der Ende November
dort verhandelt wird. Dabei sei die Mohrenstraße nur ein Symptom. Wichtig sei,
dass die Gesellschaft den Handlungsbedarf erkenne - und ihn ernst nimmt.
Das Problem, so die Aktivisten, sei der
deutsche Umgang mit Kolonialismus und den in seinem Namen begangenen
Gewalttaten. So gibt es im so genannten Afrikanischen Viertel im Wedding die
Swakopmunder Straße. Swakopmund ist einer der Orte des ersten Völkermords des
20. Jahrhunderts, dem an den Herero. Dort entstand 1907 das erste deutsche
Konzentrationslager. Die Auseinandersetzungen darüber werden in Deutschland nur
sehr zögerlich geführt und Problempunkte von offiziellen Stellen oft übersehen.
Gerade im Alltagsleben gebe es große
Blindheit. "Wir sehen nicht den nötigen Willen zur Anerkennung", so
Yonas Endrias, der davon überzeugt ist, dass gerade Sprache auch Denkweisen
enttarnt, und so auch im alltäglichen Rassismus eine direkte Folge der
kolonialen Idee sieht. Moctar Kamara, der für die afrikanische Community im Berlin-Brandenburgischen
Migrationsrat sitzt, klagt, dass es für Schwarze auch in Berlin
"No-go-Areas" gäbe.
Als weiteres Problem sieht er, dass
"Menschen afrikanischer Herkunft in vielen politischen Institutionen
einfach nicht vertreten sind. So gibt es kein Mahnmahl oder Denkmal für die
Opfer des Herero-Völkermordes in Berlin." Gleichzeitig attestieren beide
der Politik eine große Ignoranz gegenüber solchen Fragen. So wurde die
U-Bahn-Station an der Mohrenstraße erst 1991 so benannt, so dass ihr Name
keinesfalls als historisch gelten kann.
TORBEN IBS
taz Berlin lokal Nr. 7513 vom 13.11.2004.
EU -
Europa
Nein zu diesem
EU-Verfassungsvertrag –
Ja zu einem sozialen,
demokratischen und friedlichen Europa
Europa ist in schlechter
Verfassung. Die jüngsten anti-sozialen Zumutungen von Seiten der EU-Kommission
und des EU-Rates sprechen eine deutliche Sprache. So die Bolkestein-Richtlinie,
mit der die Dienstleistungsmärkte in der EU total liberalisiert werden, oder
die Arbeitszeitrichtlinie, mit der europaweite Arbeitszeitverlängerungen auf
den Weg gebracht werden sollen. Begleitet wird dies von einer andauernden
Aufrüstung der EU-Mitgliedstaaten hin zu einer weltweiten Kriegsführungsfähigkeit.
Der Verfassungsvertrag soll, wenn es nach dem Willen der Staats- und
Regierungschefs der EU geht, die Grundlage für die Politik in Europa in den
nächsten Jahrzehnten bilden.
Jetzt hat in den einzelnen Staaten der Ratifikationsprozess begonnen.
Wir, die
Unterzeichnerinnen und Unterzeichner, wenden uns gegen die Ratifizierung dieses
Verfassungsvertrags.
Denn mit diesem Vertrag wird kein soziales, friedliches und demokratisches Europa unterstützt.
Wirtschafts- und gesellschaftspolitisch wird die Europäische Union auf eine neoliberale Ausrichtung festgelegt
-
weil die Wirtschafts- und Währungspolitik der EU auf den "Grundsatz einer
offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb" (III-177, III-178) und
weltweiten Freihandel (III, 314) verpflichtet wird;
- weil die Beschäftigungs- und
Sozialpolitik den "Grundzügen der Wirtschaftspolitik" untergeordnet
wird (III-206, 179), die geprägt sind durch die einseitige Orientierung auf das
"vorrangige" Ziel der "Preisstabilität" (I-3, I-30,
III-177, 185) und durch den in Verfassungsrang erhobenen "Stabilitätspakt"
(III-184);
- weil die Etablierung der Marktfreiheiten (III, 130), eines Eigentumsrechts ohne soziale Bindungen (II, 77) und eine Stabilitätspolitik, die der internationalen Wettbewerbsfähigkeit dienen soll (u.a. III 185), Vorrang haben vor anderen Politikzielen.
Mit diesem Vertrag wird kein friedensfähiges Europa ermöglicht
- weil mit ihm die Militarisierung der Europäischen Union, bis hin zur globalen Kriegsführungsfähigkeit vorangetrieben wird (I-41, 1 und III-309);
- weil Aufrüstung zur Pflicht wird: "Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern" (Art. I-41 Abs. 3);
- weil eine Rüstungsagentur, die "Agentur für die Bereiche Entwicklung der Verteidigungsfähigkeiten, Forschung, Beschaffung und Rüstung" in der Verfassung festgeschrieben wird, um die Aufrüstung der Mitgliedstaaten zu überwachen und zudem "zweckdienliche Maßnahmen zur Stärkung der industriellen und technologischen Basis des Verteidigungssektors" durchzusetzen (III-311);
- weil eine Verpflichtung auf die UN-Charta als Ganzes nicht vorgesehen ist und somit auch Militärinterventionen, die nicht UN-mandatiert durch geführt werden, vom EU-Verfassungsvertrag gedeckt sind.
Mit diesem Vertrag werden die sozialen Grundrechte nicht gestärkt
- weil die sozialen und
gewerkschaftlichen Grundrechte in der EU-Grundrechtecharta durch beigefügte
Erläuterungen ausgehöhlt und praktisch ihrer Wirksamkeit beraubt werden
(II-112, 7, Erklärung Nr. 12). Zwar ist ein sozialer Dialog zwischen den Tarifparteien
vorgesehen (I 48; III 211). Doch werden den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
keine Mitbestimmungsrechte eingeräumt (II 87) Die Verfassungsartikel über eine
repräsentative und partizipative Demokratie
(I 46; I 47) können daher nur schwer mit Leben gefüllt werden;
- weil den europäischen Bürgerinnen und Bürgern anstelle eines "Rechts auf Arbeit" nur das "Recht zu arbeiten" gewährt (II-75) wird.
Mit diesem Vertrag wird kein demokratisches Europa geschaffen
- weil das Demokratiedefizit bestehen bleibt. Das Europäischen Parlament erhält nicht einmal die gleichen gesetzgeberischen Befugnisse wie der Ministerrat. Das parlamentarische Grundrecht auf eigene Gesetzesinitiativen bleibt den Abgeordneten weiterhin vorenthalten. Das Parlament hat in vielen und entscheidenden Bereichen lediglich ein Anhörungsrecht (III 173; III 304) und kann die EU-Kommission lediglich auffordern, „geeignete Vorschläge zu Fragen vorzulegen, die nach seiner Auffassung die Ausarbeitung eines Rechtsakts der Union zur Anwendung der Verfassung erfordern“ (Art. III-332). Die Wahl des Kommissionspräsidenten obliegt zwar den Abgeordneten, beschränkt sich aber auf Bestätigung oder Ablehnung eines einzigen, vom Europäischen Rat vorgeschlagenen Kandidaten (Art. I-27);
- weil die Entscheidungen in der Außen- und Sicherheitspolitik vom Europäischen Rat, Ministerrat und vom EU-Außenminister getroffen werden. Das Europaparlament wird lediglich „regelmäßig gehört“ und über die „Entwicklung auf dem Laufenden gehalten“ (Art. I-40);
- weil es keine Möglichkeit der Individualklage vor dem Europäischen Gerichtshof in den Bereichen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und in der Innen- und Rechtspolitik (Art. III-376 und III-377) gibt.
Mit diesem Vertrag entsteht keine zukunftsoffene Verfassung der Europäischen Union.
Es wäre für die demokratische Entwicklung
in Europa fatal, wenn diese Verfassung angenommen würde. Sie ist weder zukunftsoffen
noch zukunftsfähig. Eine Verfassung muss Raum für politische Alternativen offen
halten. Dies geschieht im vorliegenden Verfassungsvertrag nicht. Im Gegenteil:
Dieser Raum wird geschlossen. Eine Änderung des Verfassungsvertrages ist nur möglich,
wenn alle Mitgliedstaaten der EU einem neuen Vertrag zustimmen und ihn
ratifizieren (IV-443), keineswegs per Bürgerbegehren (I-47). In wenigen Jahren
wird die EU 30 und mehr Mitgliedstaaten haben. Vor diesem Hintergrund ist eine
spätere Änderung des Verfassungsvertrages wirklichkeitsfremd.
Um zu verhindern, dass dieser Vertrag in Kraft tritt, unterstützen wir öffentliche Kampagne, die die Bevölkerungen über die Inhalte dieses Vertrages aufklärt. Die einseitigen Informationskampagnen der Regierungen für die Zustimmung zum Verfassungsvertrag, die den Charakter von Propagandafeldzügen tragen, müssen eingestellt werden. Die dafür vorgesehenen Mittel sollten zur ausgewogenen Information von Bürgerinnen und Bürgern verwendet werden;.
Wir rufen die
Abgeordneten in den Parlamenten jener Länder, in denen die Ratifizierung per Parlamentsvotum
erfolgen soll, auf, gegen den EU-Verfassungsvertrag zu stimmen. Wir rufen die
Bürgerinnen und Bürger, die per Referendum über den Verfassungsvertrag
abstimmen können, auf, den Vertrag über die Verfassung abzulehnen.
Nein zu diesem Verfassungsvertrag! Ja
zu einem sozialen, friedensfähigen und demokratischen Europa!
Bei diesem Aufruf handelt es sich
um eine Initiative aus dem wissenschaftlichen Beirat von Attac-Deutschland. Sie
neben vielen anderen Organisationen und Personen auch von der Internationalen
Liga für Menschenrechte unterstüzt.
***
BRIEF AN DEN BUNDESTAGSPRÄSIDENTEN, HERRN
WOLFGANG THIERSE
Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident!
Im Rahmen der öffentlichen Sitzung des Ausschuss für
Europäische Angelegenheiten zur EU-Verfassung im Paul-Löbe-Haus am 9. März 2005 haben ich und andere unsere
ablehnende Haltung zur EU-Verfassung durch eine symbolische Aktion öffentlich gemacht. Weil
diese Aktion als Ordnungswidrigkeit bezeichnet wurde, möchte ich Ihnen als
Hausherrn des Deutschen Bundestages die Gründe für dieses Vorgehen erläutern.
Der EU- Verfassungsvertrag soll die gesetzliche und
einigende Grundlage für die BürgerInnen Europas der 25 Mitgliedsländer der EU
werden. Was aber haben die BürgerInnen von diesem Verfassungsentwurf zu
erwarten? Hält er den Standard unseres Grundgesetzes? Ist er
grundgesetzkonform?
Als Beamtin habe ich mich auf das Grundgesetz verpflichtet,
und mit seinem antifaschistischen, humanistischen, dem Frieden verpflichteten
Auftrag habe ich mich auch bei meiner Arbeit als Lehrerin stark verbunden
gefühlt.
Aber im EU-Verfassungsvertrag wird das Militär nicht
auf Verteidigungsaufgaben beschränkt wie im Grundgesetz (Art. 87a „Außer zur
Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses
Grundgesetz es ausdrücklich zulässt“) und es gibt auch kein ausdrückliches
Verbot von Angriffskriegen wie in Art. 26,1 GG ( „Handlungen, die geeignet sind
und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker
zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind
verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.“) Es gibt im
Verfassungsvertrag gar eine Verpflichtung zur schrittweisen Verbesserung der
militärischen Fähigkeiten mit Unterstützung einer Rüstungs-, bzw. Verteidigungsagentur
hereingenommen. Dieser Artikel I-41 Abs. 3 mit einer Aufrüstungsverpflichtung
ist einmalig in der Verfassungsgeschichte aller Länder. Kein Land in der Welt
hat jemals eine solche Verpflichtung in seine Verfassung hinein genommen!
Teil III der Verfassung wurde im Konvent
fast gar nicht diskutiert. Dieser Teil führt u.a. aus, aus welchen Gründen
Missionen (Interventionen) in Drittstaaten vorgenommen werden können. (Artikel
III-309 „Mit allen diesen Missionen kann zur Bekämpfung des Terrorismus
beigetragen werden, unter anderem auch durch die Unterstützung für Drittländer
bei der Bekämpfung des Terrorismus in ihrem Hoheitsgebiet.“)
Die USA-Administration hat völkerrechtswidrige Angriffskriege
mit der Begründung des Antiterrorkampfes geführt.
Mit der Hereinnahme der Terrorismusbekämpfung in den
Verfassungsvertrag wird keine europäische Alternative zum Ausdruck gebracht. Im
Gegenteil. Es werden Legitimierungen für mögliche Interventionen in Länder des
Südens gegeben.
Eine Parlamentsentscheidung des EU-Parlaments ist bei
Militäreinsetzen nicht einmal vorgesehen.
Auf Grund der angestrebten offenen
Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb dürfen öffentliche Dienstleistungen und
Einrichtungen nicht mehr besonders gefördert werden, weil dies den Wettbewerb
verzerre. Das ist ein Angriff auf das staatliche Bildungswesen und auf die
öffentlichen Leistungen insgesamt. Die Privatisierung von
Grundversorgungseinrichtungen( Wasser, Energie, Bildung, Gesundheit und
Transport) wird die Spaltung der Gesellschaft in Kaufkräftige und
Nicht-Kaufkräftige, d.h. in solche, die sich die Grundversorgung leisten oder
nicht leisten können, weiter verschärfen. Der Sozialstaat wird
demontiert.
Teil II, die
Grundrechte-Charta, allenthalben von den Politikern des bürgerlichen Spektrums
als Errungenschaft gepriesen, nimmt als Grundrecht die unternehmerische
Freiheit mit hinein.(Artikel II- 76). Dagegen formuliert Artikel II-75 nicht das Recht auf Arbeit, sondern
lediglich das Recht zu arbeiten.
Die anhängenden Protokolle und Erläuterungen in unverhältnismäßigem
Umfang von 14 Seiten Grundrechte-Charta und 39 Seiten Erläuterungen stufen die
Grundrechte zu Grundsätzen herunter. Beispiele hierfür sind die Bereiche
Nichtdiskriminierung, Verbot der Todesstrafe, soziale Sicherheit und soziale
Unterstützung.
Verglichen mit den rechtlichen Grundlagen in der UNO-Charta,
dem Zivil- und Sozialpakt, unserem Grundgesetz oder dem Zwei plus Vier- Vertrag
und der Pariser Charta ist dieser EU-Verfassungsvertrag ein enormer
Rückschritt.
Als Bürgerin und insbesondere als Beamtin bin ich
moralisch und rechtlich dazu verpflichtet, das Grundgesetz zu verteidigen und
seine Werte zu schützen! Dazu diente auch meine Aktion in Ihrem Hause.
Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident!
Wir Globalisierungskritiker und
Friedensaktivisten „träumen“ von einer anderen Zukunft, von einem Europa, das
wir uns friedlich wünschen. Wir wünschen uns ein Europa, das die Atomindustrie
abbaut, statt sie im Zusatzprotokoll der Verfassung durch den Euratom-Vertrag
weiter zu favorisieren, ein Europa, das kulturell reich ist und bleibt und das
nicht über Medien-Konzerne und Privatisierungen den kulturellen Abbau
vorantreibt.
Mit dem vorliegenden EU-Verfassungsvertrag, der
Maximen wie Aufrüstung und offene Marktwirtschaft mit freiem und unverfälschtem
Wettbewerb (Artikel I-3, Absatz 2 unter Ziele der Union!) enthält, wird für uns
Lehrkräfte die pädagogische Arbeit immer schwieriger. Unsere Arbeit wird
darauf verengt, vom Markt verwertbares
Wissen zu vermitteln. Das in der Präambel zitierte humanistische Erbe
Europas verkommt so zum schmückenden Beiwerk, um die dahinter wirkende
unternehmerische Gier zu verschleiern. Sie sehen: Wir hatten gute Gründe,
bei der öffentlichen Anhörung mit
unserer Aktion zu intervenieren. Eigentlich hätte der gesamte Bundestag und Sie
an unserer Seite stehen müssen, denn es geht um nichts Geringeres als die
Bewahrung des Grundgesetzes!
Mit der Hoffnung auf
Ihre Einsicht und einem „Nein zu dieser Verfassung“ verbleibe ich
mit
freundlichen Grüßen
Elke Zwinge-Makamizile, Berlin (Liga-Mitglied)
***
Internationaler Appell
Exterritoriale Flüchtlingslager der Europäischen Union
Wir fordern eine öffentliche Inspektion der
menschenrechtswidrigen Internierungslager von Flüchtlingen und MigrantInnen in
den Mittelmeerländern, um der Forderung nach ihrer Schließung Nachdruck zu verleihen.
Worum
geht es? Die EU wird im dritten
Anlauf voraussichtlich im Mai 2005 sondieren, ob sie in Nordafrika
exterritoriale Flüchtlingslager errichten kann. Der deutsche Innenminister Otto
Schily will die Regierungen Algeriens, Tunesiens, Libyens und Ägyptens besuchen,
um frühere „Missverständnisse“ in dieser Sache auszuräumen. Denn bis jetzt sind
die Regierungen dieser Länder nicht bereit, auf einen Wink aus Berlin, Rom oder
London hin, den Bau von EU-Lagern auf nordafrikanischem Territorium zu genehmigen.
In Zeitungskommentaren hieß es dort sarkastisch, Deutschland sei als
„Weltmeister“ im Bau von Lagern bekannt, und dieses Know-How brauche es nun wirklich
nicht zu exportieren. Die Idee, Flüchtlingslager zu externalisieren, hatte Tony
Blair zu Beginn des Irakkriegs (2003) aufgebracht. Die EU-Länder sollten Asylsuchende
zurück in Lager vor den EU-Außengrenzen bringen. Einige wenige Flüchtlinge
könnte man dort aussieben, die dann kontingentiert in die EU einreisen dürften.
Im letzten Sommer (2004) hatte Giuseppe Pisanu, der italienische Innenminister,
mit Otto Schily die Lager-Idee aufgegriffen, um von der EU-Verantwortung für
den tausendfachen Tod von Boat-People im Mittelmeer abzulenken. Der neue
Vorstoß Schilys im Mai 2005 wird vermutlich im Namen der „globalen Terrorismusbekämpfung“
geführt werden. Denn die europäische Sicherheitsdoktrin unterstellt, dass es
dieselben nordafrikanischen Netzwerke seien, über die der Terror und die
Boat-People-Migration organisiert werden.
Zahlreiche
Initiativen und Personen haben in einem europaweiten Appell vom 12.10.2004
bereits gefordert, die exterritorialen EU-Lager zu schließen beziehungsweise
keine weiteren Lager zu errichten (siehe http://no-camps.org/.).
Da Menschenrechtsgruppen der Zugang zu solchen Lagern verwehrt ist und einige
Indizien dafür sprechen, dass dennoch heimlich Lager entstehen, ist es nun an
der Zeit, die bestehenden Lager und Haftzentren rund ums Mittelmeer öffentlich
zu inspizieren.
Boat People im Fahndungsvisier. Ein senegalesischer oder algerischer Flüchtling
braucht nicht allzu viel Geld, aber viel Entschlossenheit, um auf eines der
Holzboote (pateras) zu steigen, das ihn nach Europa bringen soll. Dieser
Wagemut, mit dem die Armen ihr Leben riskieren, entfacht in Europa diffuse
Ängste. Seit der Errichtung des Visaregimes gegenüber den nordafrikanischen
Ländern (1992) sind schätzungsweise 10.000 Boat-People im Mittelmeer umgekommen.
Jedoch nicht die Frage der Wiedergutmachung wird diskutiert, oder, wer für den
massenhaften Tod auf See verantwortlich ist, sondern der volkswirtschaftliche
”Schaden”, den die Boat-People bei gelungener Überfahrt in der EU anrichten.
Nach
offiziellen Angaben machen die Boat People nur einen sehr kleinen Prozentsatz
der schätzungsweise 500.000 Menschen aus, die Jahr für Jahr heimlich und
unerlaubt die EU-Südgrenze passieren. Es sind die „Armen“, die sich der Gefahr
der riskanten Meerüberquerung aussetzen. Wer es sich leisten kann, kauft sich
einen gut gefälschten Pass und nimmt ein Flugzeug. Oder er nutzt seine
Verbindungen zu Verwandten und Bekannten in Europa und setzt mit einer der
großen Autofähren über. So ist im Fall der Begüterten und Etablierten die
irreguläre Migration ein aufwändiges Geschäft, und es wird behauptet, dass
„kriminelle Netzwerke“ das Wegegeld zentral abschöpften. Diese Netzwerke haben
sich jedoch bereits in Osteuropa überwiegend als polizeiliche Konstrukte
erwiesen. Als kriminell wird jeweils das diffamiert, was den menschenrechtlich verkürzten
Legalitätsformen der europäischen Migrationspolitik zuwider läuft.
Das
Grenzregime, das die Migration in die „Illegalität“ treibt, entspricht
europäischen Wirtschafts- und Verwertungsinteressen. Innerhalb Europas wurde
der Arbeitsmarkt mit den Irregulären unterschichtet. Die Abschottungsmaßnahmen
der EU markieren gerade in der Mittelmeerregion ein stark abschüssiges Wohlstandsgefälle.
Mit dem Visaregime haben die europäischen Innenpolitiker selber die
Voraussetzungen geschaffen, die vielen Flüchtlingen und MigrantInnen nur die
Möglichkeit lassen, heimlich das Mittelmeer zu überqueren. Schrittweise
Reiseerleichterungen in der Sichtvermerkspolitik, wie sie die EU gegenüber
Mittelosteuropa eingeräumt hat, gibt es gegenüber den Länden des Südens nicht.
Dabei haben viele nordafrikanischen Staaten mit den westeuropäischen Ländern
die gleichen folgenschweren Rückübernahmeabkommen abgeschlossen, sie fahnden
ebenfalls nach Transitflüchtlingen und schieben sie in großem Ausmaß ab. Im
Gegenzug haben Spanien und Italien lediglich der Einreise minimaler legaler
Arbeitskontingente aus ausgesuchten nordafrikanischen Ländern zugestimmt.
Insgesamt bleiben Gegenleistungen der EU für das migrationspolitische Entgegenkommen
der nordafrikanischen Staaten aus oder finden allenfalls auf dem Energiesektor
statt (Investitionen in die nordafrikanische Erdöl- und Erdgasförderung). So
scheint die Servilität der nordafrikanischen Regierungen in der Frage der
exterritorialen EU-Flüchtlingslager an ihre Grenzen zu stoßen.
Doch die
Hartnäckigkeit der dortigen Regimes ist nicht von prinzipiellen
menschenrechtlichen, flüchtlingspolitischen oder Lager-feindlichen Erwägungen
geleitet. Deswegen wird es in Zukunft um die Frage gehen, wie viel finanzielle
und politische Gegenleistungen die EU für die Errichtung der Lager bereit ist
zu erbringen.
Die heimliche Infrastruktur der exterritorialen Lager. Seit zwei, drei Jahren entstehen die größten
Abschiebelager der EU auf den Kanarischen Inseln, in Südspanien und auf den süditalienischen
Inseln. Sie werden paramilitärisch bewacht und sind für den UNHCR, für
Menschenrechtsgruppen und JournalistInnen nahezu unzugänglich. Diese Lager
bilden die organisatorische Voraussetzung für Massenabschiebungen in zukünftige
Lager in Nordafrika. Die erste Luftbrücke für Massenabschiebungen in der europäischen
Nachkriegsgeschichte wurde im Oktober 2004 eingerichtet: Unter militärischem
Befehl wurden über eintausend Flüchtlinge ohne Ansehen ihrer Person, ohne
individuelle Identifizierung und Prüfung ihrer Fluchtgründe, aus Süditalien
nach Libyen deportiert. Dies stellte einen eklatanten Bruch der Genfer Konvention
und der Europäischen Menschenrechtskonvention dar.
Zur gleichen
Zeit versicherte der designierte, später abgelehnte EU-Kommissar für das Innen-
und Justizressort (!) Rocco Buttiglione bei seiner Anhörung vor dem
Europäischen Parlament, er habe niemals vorgeschlagen, „Konzentrationslager in
Nordafrika einzurichten, um illegale Immigranten dorthin zu deportieren“ und er
beabsichtige auch nicht, so etwas vorzuschlagen (Protokoll des Hearings,
Handelsblatt, 5. Oktober 2004). Buttiglione war von einigen ParlamentarierInnen
scharf angegangen worden, weil er zuvor in verschiedenen Interviews (u.a. im
Deutschlandfunk – 27. August 2004) die Lagervisionen eine „gute Idee“ genannt
hatte. Buttiglione präzisierte seine Vorstellungen von „Aufnahmezentren“
dahingehend, dass diese nur mit Zustimmung und unter Mitarbeit der souveränen
Staaten auf der anderen Seite des Mittelmeeres eingerichtet werden sollten. Sie
könnten zugleich dazu dienen, die erwünschte Arbeitsmigration nach Europa
auszusondern (vgl. Die Welt, 31. August 2004; Frankfurter Rundschau, 6. Oktober
2004).
Der Vorschlag,
exterritoriale EU-Lager einzurichten, hat in Europa Proteststürme ausgelöst.
Die nordafrikanischen Regierungen haben zudem keine Ländereien für künftige
EU-Auffangzentren (Schily. FAZ, 23.07.2004) bereitgestellt. Dennoch wird Stück
für Stück an der Idee gearbeitet, diese Lager zu realisieren, auch wenn in
offiziellen Erklärungen dies immer wieder dementiert wird: So haben die Justiz-
und Innenminister der EU auf ihrem informellen Treffen am 30.9./01.10.2004 in
Scheveningen verkündet, dass die EU die Errichtung von „Aufnahmezentren für Asylbewerber“
in Algerien, Tunesien, Marokko, Mauretanien und Libyen anstrebt, aber nicht unter
Leitung der EU, sondern der jeweiligen Länder. Und am 31.01. 2005 hieß es aus
Kreisen der EU-Innenministerkonferenz in Luxemburg, dass die Idee
exterritorialer Lager „beerdigt“ sei. Man wolle wegen der Boat-People im
Mittelmeer künftig einige ausgesuchte Kontingentflüchtlinge aus Nordafrika
aufnehmen.
Wie die
Lager-Visionen dennoch zur Realität werden können, lässt sich an den
exterritorialen Lagern und Haftzentren studieren, die die USA zwecks Folterhaft
auch in einigen nordafrikanischen Ländern unterhalten (vgl. Jane Mayer,
Outsourcing Torture, in: The New Yorker, 14. Februar 2005): Heimlich werden die
Infrastrukturen – die Gefängnisse, die Flughäfen, die Foltereinrichtungen und
das Folterpersonal – mitgenutzt, die ohnehin in den Ländern vorhanden sind
Auch bei der
Errichtung von EU-externalisierten Flüchtlingslagern wird es vermutlich keine
Werbetafeln geben, auf den geschrieben steht: „Hier baut die EU!“ Die
Konzeption der exterritorialen Lager setzt stattdessen auf gedungene Komplizenschaft.
Zugleich sollen die nordafrikanischen Transitstaaten in „geeignete
Erstasylstaaten“ umgewandelt werden. Dies geschieht unter der menschenrechtlich
unverdächtigen Strategie, den Flüchtlingsschutz außerhalb Europas zu stärken.
Wie auch immer die europäischen Lagervisionen rechtlich und materiell
verwirklicht werden: Für die Lagerinsassen werden weder Grundrechte noch
Rechtswegegarantie gelten (Schily, SZ, 02.08.2004), und man wird auch die
Spuren der Finanzierung, der Verwaltungszuständigkeit und der Verantwortung zu
verwischen wissen.
Nicht erst nach
den italienischen Massenabschiebungen nach Libyen im Oktober 2004 tauchten
beunruhigende Berichte über Kettenabschiebungen nach Mali, Niger, Nigeria und
Ghana auf: Flüchtlinge, die aus südeuropäischen Ländern abgeschoben worden
waren, berichteten von militärisch genutzten Wüstenlagern nordafrikanischer
Länder, in denen auch sie dann zeitweise interniert waren. Anschließend wurden
sie in Grenzregionen in der Sahara ausgesetzt. Viele MigrantInnen hätten diese
Maßnahmen nicht überlebt, sie seien zusammengebrochen und verdurstet.
Zu befürchten
ist: Sind die exterritorialen Lager erst einmal institutionalisiert, wird die
Luft für Flüchtlinge und irreguläre MigrantInnen innerhalb Europas noch dünner.
Der Druck auf die unkontrollierte Migration wird sich folgenschwer erhöhen. Der
weitreichende Vorschlag von Tony Blair sieht, wie gesagt, die Verbringung aller
Asylsuchenden zurück hinter die EU-Außengrenze vor. Gibt es diese Kapazitäten,
so werden sie auch genutzt – und ein Europa der umfassenden Bevölkerungskontrolle
wäre die Folge, zu dem nur noch angeworbene und ausgelesene MigrantInnen und
Flüchtlinge Zutritt hätten.
Deswegen fordern wir, dass Delegationen von nationalen und EU-ParlamentarierInnen und Menschenrechtsgruppen aus der EU und aus den nordafrikanischen Ländern die Regionen der exterritorialen Lager und der EU-finanzierten und externalisierten Haftzentren auf den Migrationsrouten so bald wie möglich aufsuchen und auf ihre Schließung hinwirken. Auf der Agenda steht sowohl die Inspektion der großen Abschiebelager in Südspanien und Süditalien als auch der Wüstenlager. Es gilt, eine kritische Öffentlichkeit gegenüber den menschenrechtswidrigen Lagerstrategien am Rande Europas zu schaffen und die sich abzeichnende Lagerbau-Komplizenschaft bloßzustellen.
Unterstützung
des Aufrufs
Wir wollen uns mit diesem
Aufruf in diesem Sommer an die europäische Öffentlichkeit wenden und ihn den
nationalen und EU-ParlamentarierInnen zukommen lassen. Bitte verbreitet den
Aufruf (Übersetzungen unter http://www.grundrechtekomitee.de/ub_showarticle.php?articleID=151
). Initiativen und Organisationen können diesen
bis zum 20. Juni 2005 unterzeichen. Die UnterstützerInnen werden unter der oben
angegebenen Anschrift des Komitees für Grundrechte und Demokratie gesammelt
(appell@grundrechtekomitee.de). Alle Gruppen erhalten nach dem 20. Juni 2005
eine vollständige Liste der unterzeichnenden Gruppen und können damit an die
jeweilige Presse vor Ort herantreten.
Menschen, die wirkend in der Öffentlichkeit stehen und bereit wären, eine solche Delegation, so sie zustande kommt, werbend zu begleiten, melden sich bitte ebenfalls unter Angabe ihrer Anschrift und eMail-Adresse beim Komitee für Grundrechte und Demokratie.
***
Menschenrechte: eine
Waffe des „Westens“?
Von Marco Benzi
Seit
Jahrzehnten diskutiert man über die Bedeutung der Menschenrechte. Es gibt kein Einverständnis darüber, ob und welche
Menschenrechte Vorrang haben (etwa die bürgerlichen gegenüber den sozialen) und
wie sich der in ihrem Wesen liegende universale Anspruch gegenüber Gesellschaften
verschiedener Tradition begründet lässt.
Wie
kann diese Frage gelöst werden, wenn die einzelnen Menschenrechte in einem
widersprüchlichen Verhältnis zueinander stehen? Welche Institution könnte es
geben, die so unparteiisch und unabhängig ist, dass sie eine Einhaltung universaler
Rechte garantieren könnte und wollte?
Die universalen Menschenrechte haben den
Zweck, in Gesellschaft und Staat, Standards durchzusetzen, die eine Entfaltung
menschlicher Individualität möglich machen. Das führt aber zu grundsätzlichen
Problemen, da unterschiedliche Kulturen bestehen. Ein universaler Zwang bringt
Auseinandersetzungen mit Kulturen, die in Jahrhunderten eigene komplexe
politische und soziale Entwicklungen durchlaufen haben. In vielen
nichtwestlichen Gesellschaften gibt es ein Verständnis von Gesellschaft, das
sich mit individuellen Menschenrechten kaum verträgt.
Wer auf der Grundlage von feierlich-universalen
Deklarationen Respekt für Menschenrechte einfordert, ohne gleichzeitig einen
gewissen materiellen Wohlstand voraus zu setzen und auch soziale Rechte
einzufordern, fällt in eine arrogante und oberflächliche Rolle. Er müsste erklären, wie man Gesellschaften, in denen
die Menschen ums nackte Überleben kämpfen, zur Beachtung von Menschenrechten
zwingen soll. Außerdem, wenn es einen universalen Weg geben soll, bedarf es
einer Politik des Friedens.
Dieses Plädoyer für Toleranz und Vorsicht
soll nicht als eine Relativierung der Menschenrechtsfrage verstanden werden.
Die Unterdrückung und Terrorisierung von Frauen z.B. und die Nutzung der
Kinderarbeit in vielen Gesellschaften ist unaufhebbar eine Verletzung
von Menschenrechten der Betroffenen.
Einige Diktaturen in der Dritten Welt, die
Freiheit und Demokratie missachten, rechtfertigen ihre Handlungsweise mit der Gefahr
einer „Verwestlichung“ der Kultur. Dagegen kann man schwer argumentieren, wenn
der „Westen“ versucht, durch eine gewaltige neoliberale Initiative eine für die
ganze Welt verbindliche Kultur aufzudrängen und wenn sog. humanitäre Kriege mit
einem Kampf um Menschenrechte gerechtfertigt werden, obwohl es um etwas ganz
anderes geht.
Starke Widersprüche kennzeichnen dieses Handeln.
Kann die Strategie „Der Zweck heiligt die Mittel“ der richtige Weg sein? Kann
das Bombardement auf Menschen mit den Menschenrechten gerechtfertigt werden, wo
doch das Recht auf Leben das vornehmste Menschenrecht ist? Welche Botschaft
erreicht mit dieser Politik die betroffenen Völker? Und wie ist es zu rechtfertigen,
wenn gegen bestimmte Länder militärisch vorgegangen wird, während andere mit
vielleicht weit schlimmeren Verhältnissen sogar gestützt werden?
Eine Menschenrechtstheorie und -praxis, die wirklich einheitlich und konsequent sein möchte, müsste so strukturiert sein, dass jede einzelne Gesellschaft mit ihren eigenen Traditionen sich in ihr wieder findet. Wenn sie aber einen auf eine bestimmte Kultur beschränkten Ausgangspunkt hat, führt dies zwangsläufig zu Überheblichkeit und Willkür, dann werden die Menschenrechte zu einem Herrschaftsmittel über andere Länder und Völker.
Marco Benzi
studierte Philosophie an der Universität Genua und macht gegenwärtig ein Praktikum in der Liga.
Menschenrechts-Delegation
Bericht über die Türkei-Reise einer internationalen
Menschenrechtsdelegation
nach Ankara und Istanbul vom 16. - 20. 01.
05
Im Juni letzten Jahres hatte ich bereits im Namen der Liga den Prozess Abdullah Öcalan gegen die Republik Türkei vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg beobachtet. Es ging um die Frage, ob Öcalan vor dem türkischen Staatssicherheitsgericht 1999 ein rechtsstaatlich-fairer Prozess gemacht worden war. In Straßburg hatten einige der prozessbeobachtenden Juristen aus der Republik Südafrika und der Bundesrepublik beschlossen, eine gemeinsame Delegation zu bilden und in die Türkei zu reisen, um herauszufinden, wie sich die Menschenrechtslage in der Türkei im Zusammenhang mit den EU-Beitrittsverhandlungen entwickelt, die im Oktober diesen Jahres beginnen sollen. Das war das ein wesentliches Ziel der Delegation, an der ich im Januar für die Liga teilgenommen habe. Jetzt ist dieses Thema angesichts der brutalen Prügelorgien der türkischen Polizei gegen friedlich demonstrierende Frauen ja wieder hochaktuell geworden – ein Verhalten, das immer noch zum türkischen Alltag gehört und das die Personal- und Struktur-Probleme im türkischen Polizei- und Staatsapparat offenbart.
Rolf Gössner
Die Teilnehmer der Delegation:
ESSA MOOSA, Richter am südafrikanischen High Court und früherer Verteidiger von Nelson Mandela; Rechtsanwalt JACOBENS MOSES, Mitglied der National Association of Democratic Lawyers, Südafrika. Aus Deutschland die Bremer Rechtsanwältin HEIDE SCHNEIDER-SONNEMANN, Rechtsanwalt RAINER AHUES für den RAV (Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein) und der Völkerrechtler NORMAN PAECH für die Europäische Vereinigung von Juristen für Demokratie und Menschenrechte und für die Vereinigung demokratischer Juristinnen und Juristen sowie ROLF GÖSSNER für die Internationale Liga für Menschenrechte.
Die Delegation führte eine Reihe von Gesprächen mit Parteien, Organisationen und Vereinen: In Ankara mit der Regierungspartei AKP und der Prokurdischen Partei DEHAP; im Türkischen Parlament mit dem Vorsitzenden der Kommission für den EU-Beitritt und früheren Außenminister Yasar Yakis, mit dem Vorsitzenden der Türkischen Rechtsanwaltskammer, mit den Menschenrechtsvereinen IHD und MAZLUM-Der. In Istanbul führten wir Gespräche mit IHD und GÖC-Der, dem Verein der Vertriebenen, mit YAKAY-Der, dem Verein der Angehörigen der Verschwundenen, mit TUAD, dem Verein der Angehörigen von Gefangenen und mit TOHAV, einer Stiftung für Gesellschafts- und Rechtsstudien.
Außer für die Entwicklung der Menschenrechtslage in der Türkei interessierte sich die Delegation auch konkret für die Situation des Gefangenen Abdullah Öcalan. Der befindet sich seit seiner Inhaftierung 1999 in verschärfter Isolationshaft als alleiniger Häftling auf der Gefangeneninsel Imrali im Marmarameer. Da sich bislang an diesen verschärften Haftbedingungen und an der Behinderung der Besuche seiner Familienangehörigen und seiner Anwälte nichts geändert hat, wollten wir ursprünglich auch die Gefängnisinsel Imrali besuchen, um uns persönlich einen Eindruck von den Haftbedingungen zu verschaffen. Unser Antrag wurde jedoch vom Justizminister der Türkei „aus Sicherheitsgründen“ abgelehnt.
Eng mit der Haftsituation und der in Kürze zu erwartenden Öcalan-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes ist die Kurdische Frage verbunden. Bei den Verhandlungen über den Beitritt der Türkei zur EU wird die Lösung dieses drängenden Problems einen ganz zentralen Platz einnehmen müssen. Es war daher ein weiteres Ziel der Delegation, zu erkunden, welche politischen Lösungsansätze die Regierung bereithält, um die Menschenrechte gegenüber der kurdischen Bevölkerung auf türkischem Territorium zu garantieren und zu gewährleisten.
Zusammenfassung und
Forderungen
1. Alle unsere Gespräche fanden in einer sehr offenen
und freimütigen Atmosphäre statt. Das gilt
insbesondere auch für die Gespräche mit den Vertretern der offiziellen und
regierungsnahen Institutionen, was vor Jahren so nicht denkbar gewesen wäre. Allerdings
wurde aus den Gesprächen mit den zahlreichen türkisch-kurdischen
Menschenrechtsorganisationen deutlich, dass die offiziellen Darstellungen der
Probleme überwiegend beschönigend, wenn nicht gar falsch, auf jeden Fall nicht
sehr realitätsnah waren.
Im Rahmen des Annäherungsprozesses an die Europäische Union hat die Türkei in den vergangenen Jahren tatsächlich vielerlei Anstrengungen für Reformen und einen demokratischen Umbau unternommen, was grundsätzlich als positiv zu werten ist. Doch in allen unseren Gesprächen sind wir auf das Problem einer großen Diskrepanz zwischen Gesetzesreformen und Umsetzung in der Praxis gestoßen. Dabei gehen unsere Gesprächspartner aus den Menschenrechtsorganisationen davon aus, dass sich Mentalität und Denken in der türkischen Regierung und im Staatsapparat noch nicht wirklich grundlegend geändert haben. Die eingeleitenden Reformen seien eher halbherzig, bewirkten jedenfalls noch keine strukturellen, keine substantiellen Veränderungen.
2. Die Verweigerung unseres Besuches auf Imrali „aus Sicherheitsgründen“ liegt wohl vor allem daran, dass das Militär und nicht das Justizministerium die Kontrolle über die Gefängnisinsel hat. Diese liegt im militärischen Sperrgebiet. Da Öcalan gemäß Türkischem Strafgesetzbuch als Terrorstraftäter verurteilt worden ist, kann er nach der Umwandlung der Todesstrafe in eine lebenslange Freiheitsstrafe unter erschwerten Bedingungen bis zu neun Jahre lang in Einzelhaft gehalten werden. Eine Möglichkeit frühzeitiger Haftentlassung auf Bewährung gibt es nicht, die lebenslange Haft wird laut Gesetz bis zum Tode vollstreckt – sozusagen eine Hinrichtung auf Raten. Das gilt auch für andere Gefangene aus der früheren PKK.
Unsere offiziellen Gesprächspartner zeigten sich relativ unbeeindruckt von den Klagen der Angehörigen und Anwälte wegen der immer wieder behinderten Kontakte nach außen. Sie wähnen die Haftbedingungen in Übereinstimmung mit internationalem Recht, wir hingegen sehen in ihnen eine unzulässige Isolationshaft, die den universellen Menschenrechten widerspricht. Isolation ist eine Methode, die dazu geeignet ist, die Persönlichkeit und den Willen von politischen Gefangenen zu brechen. Deshalb wird diese Methode auch als "weiße Folter" bezeichnet.
Das Antifolterkomitee des Europarates hat in der Vergangenheit bereits die Aufhebung der Isolationshaft und eine spürbare Verbesserung der Haftbedingungen angemahnt. Doch weder die Türkei noch der Europarat sind bisher den Empfehlungen des Antifolterkomitees gefolgt. Unterdessen nimmt die Repression gegen die Anwälte zu: Ende 2004 wurde das Rechtsanwaltsbüro, das Abdullah Öcalan verteidigt, durchsucht und sämtliche Unterlagen beschlagnahmt. Einer der betroffenen Anwälte ist inzwischen nach Deutschland geflohen.
Der Fall Öcalan ist
unseres Erachtens nach wie vor ein Politikum von hohem Rang. Seine Haftbedingungen
müssen im Zuge der EU-Beitrittsverhandlungen, anders als bisher, zentraler Verhandlungsgegenstand
werden. Der Fall Öcalan ist ein Gradmesser für die Glaubwürdigkeit der türkischen
Menschenrechtsentwicklung.
3. Ein grundsätzliches Umdenken in der Kurdenfrage hat bei Regierung, Militär und Parteien noch nicht eingesetzt. Die offizielle Politik ist noch weit davon entfernt, die Identität der Kurden anzuerkennen und sie mit gleichen Rechten und Freiheiten auszustatten. Trotz mancher gesetzlicher Veränderungen wird z.B. die Kurdische Sprache immer noch mit zahlreichen Behinderungen, Schikanen, Verboten und Verfolgungen faktisch unterdrückt. Eigene Kurdische Radio- und TV-Sender gibt es nicht, es kommt immer wieder vor, dass die Übertragung kurdischer Lieder mit Sendeverboten sanktioniert wird. Die beiden wöchentlichen Halbstundensendungen im staatlichen Fernsehen – als große Reform gefeiert - sind nichts anderes als ins Kurdische übersetzte Propagandasendungen. Nach wie vor ist Artikel 81 des Parteiengesetzes in Kraft, der den politischen Parteien die Benutzung jeder anderen Sprache außer Türkisch verbietet, auch auf öffentlichen Veranstaltungen oder im Parlament.
4. Von 1984, dem Beginn des kriegerischen Kurdistankonflikts, bis 1999 wurden nach türkischen Angaben in der Südosttürkei über 350.000 Menschen aus etwa 3.500 Dörfern „evakuiert“, das heißt in aller Regel vom Militär gewaltsam vertrieben; die tatsächliche Zahl der Vertriebenen wird von NGOs auf über zwei Millionen geschätzt. Vor dem Europäischen Gerichtshof sind Hunderte von Schadensersatzklagen vertriebener Kurden gegen die Türkei anhängig; es geht dabei um viele Millionen Euro. Vor diesem Hintergrund erklärt sich, dass der türkische Staat jene Vertriebenen eine Erklärung unterschreiben lässt, die wenigstens ein wenig Entschädigung erhalten wollen – sie müssen zumeist wahrheitswidrig bestätigen, dass ihre Häuser und Felder angeblich durch „Terroristen“ der PKK zerstört worden seien. Die Anzahl der Rückkehrer ist wegen dieser Bedingungen äußerst gering.
Aber nicht nur deswegen: Denn das berüchtigte Dorfschützersystem im Osten des Landes ist entgegen der Ankündigung immer noch nicht abgeschafft worden. Diese rund 60.000 Mann zählende, staatlich besoldete „Miliz“ verweigert oder erschwert den rechtmäßigen Besitzern häufig die Rückkehr in die kurdischen Dörfer, aus denen sie zuvor vertrieben worden waren; teilweise sind diese Dorfschützer in schwere Straftaten verwickelt, die bis heute nicht geahndet wurden.
Selbst wenn die Türkische Regierung unter dem Druck der EU vor allem in der Gesetzgebung etliche Verbesserungen vorgenommen hat, so müssen wir doch feststellen, dass sie bisher nur wenig zur Lösung der Kurdischen Frage beigetragen hat - nach wie vor werden Kurden unterdrückt, nach wie vor werden ihnen Grundrechte vorenthalten. Anstatt immer wieder auf militärische und polizeiliche Mittel zurückzugreifen, müsste die Regierung ein umfassendes Programm für die politische, sozial-ökonomische und kulturelle Gleichberechtigung des Kurdischen Volkes entwickeln. Solange sie dazu nicht bereit ist, kann ein Beitritt zur EU nicht empfohlen werden. Wir sind allerdings der Auffassung, dass gerade der Einfluss der EU im Laufe der Beitrittsverhandlungen der wirksamste Faktor für eine friedliche und politisch gerechte Lösung des Kurdenproblems sein kann – und wir stützen uns dabei auch auf die entsprechende Einschätzung der türkisch-kurdischen Menschenrechtsorganisationen, mit denen wir gesprochen haben.
5. Die
Türkei ist vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bereits in
zahlreichen Verfahren für schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen, insbesondere
systematische Folterungen, verurteilt worden, teilweise auch zu hohen Schadensersatzleistungen
an die Opfer. Die meisten Verurteilungen betreffen Vorfälle aus den Jahren 1993
bis 1996. Damals gab es sehr viele Fälle von Folter, sogenannt „ungesetzlicher“
Tötungen, Menschen verschwanden und Dörfer wurden zerstört. Doch auch Vorfälle
aus jüngerer Zeit wurden vor dem EuGMR verhandelt und endeten überwiegend mit
einer Verurteilung der Türkei.
Die EU-Beitrittsverhandlungen werden von Menschenrechtsorganisationen als historische Chance für die Entwicklung der Menschenrechte in der Türkei gesehen – wohl eher ein Generationenprojekt. Doch unsere Gesprächspartner aus diesen Organisationen bestätigten uns übereinstimmend, dass die schlechte Menschenrechtslage, trotz einiger Verbesserungen, immer noch anhalte. Einschränkungen von Grundrechten und Freiheiten, Beschränkungen der Meinungsfreiheit - insbesondere für Presse und Rundfunk - seien nach wie vor an der Tagesordnung, auch Verletzungen der Versammlungsfreiheit, der Vereinigungs- und Religionsfreiheit. Weiterhin würden Oppositionelle verfolgt, nach wie vor gebe es Folter. Dieser Befund wird auch von Amnesty International bestätigt.
Nach Angaben der Menschenrechtsvereinigung IHD
sind im 1. Halbjahr 2004 in der Türkei rund 700 Fälle von Folter bekannt
geworden (2003: waren es im selben Zeitraum fast tausend). Die Dunkelziffer
liegt erheblich höher, weil sich viele Folteropfer aus Scham oder Angst vor
Repressalien nicht an die Öffentlichkeit wagen. Auch im zweiten Halbjahr 2004
gibt es Hunderte mutmaßlicher Folterfälle. Zwar geht die Zahl der Fälle zurück,
dafür nehmen Berichte über verfeinerte Foltermethoden zu, die weniger bleibende
Spuren hinterlassen – etwa Elektroschocks, Abspritzen mit kaltem Wasser aus Hochdruckgeräten,
Prügel, erzwungenes Ausziehen, sexuelle Belästigungen, Scheinhinrichtungen,
Androhung von Vergewaltigungen und psychischer Terror, Schlafentzug und
Verweigerung von Essen und Trinken.
Kann
man also angesichts dieser Fakten immer noch von systematischer Folter in der
Türkei sprechen? Nach dem Anti-Folter-Komitee der UN liegt systematische Folter
vor, „wenn sie nicht nur zufällig an einem bestimmten Ort und einer bestimmten
Zeit stattfindet, sondern als Angewohnheit weit verbreitet und absichtlich in einem
großen Teil des Landes angewandt wird“. Richtig scheint zu sein, dass nicht
mehr der türkische Staat oder einzelne staatliche Organe die Folter anordnen
oder decken. Deshalb kommt der EU-Bericht über den Stand der Reformen von Ende
letzten Jahres auch zu dem Ergebnis, dass in der Türkei nicht mehr systematisch
gefoltert werde. Statt dessen spricht der Bericht davon, es kämen „immer noch
viele Fälle von Folter und Misshandlungen vor“. Türkische und internationale
Menschenrechtsorganisationen haben auch in der zweiten Hälfte 2004 auf eine
Vielzahl von Folterfällen hingewiesen, die im übrigen vermehrt bei
inoffiziellen, also nicht registrierten Festnahmen durch zivile Polizeibeamte
vorkommen. Es handele sich nach Zahl und Struktur keineswegs um einzelne
„Amtswalterexzesse“. Deshalb spricht etwa der IHD weiterhin von systematischer
Folter.
Die Mitglieder der Menschenrechtsdelegation fordern auf Grundlage der während ihrer Türkei-Reise gewonnenen Erkenntnisse unter anderem:
die Einrichtung einer ständigen europäischen Kommission zur Überwachung der Menschenrechtsreformen und –realität in der Türkei, an der auch NGOs der Türkei und aus EU-Staaten zu beteiligen sind,
unangekündigte ad-hoc-Besuche von Vertretern unabhängiger Überwachungskommissionen auf Polizei- und Haftstationen zur Vorbeugung gegen Folter und Misshandlung,
die sofortige Aufhebung der Isolationshaft für Abdullah Öcalan und die Unterlassung sämtlicher Willkürhandlungen, die den Kontakt mit Familienangehörigen und Rechtsanwälten beeinträchtigen,
die Entsendung einer unabhängigen Ärztekommission, um den schlechten Gesundheitszustand Öcalans zu untersuchen und schnellstens geeignete medizinische Maßnahmen zu ergreifen,
die Entlassung und Rehabilitierung aller politischen Gefangenen, die aufgrund ihrer gewaltfreien politischen Betätigung, wegen ihrer politischen Gesinnung bzw. Meinungsäußerungen inhaftiert wurden,
Abschaffung des Dorfschützersystems und die Erleichterung der Rückkehr vertriebener Kurden in ihre Heimatorte sowie Rückkehr- und Aufbauhilfen für ihre Dörfer und Häuser, auch mit EU-Mitteln.
Und wir fordern die EU auf, die Kurdenfrage zu einem zentralen Element ihrer Verhandlungen mit der Türkei zu machen.
Zusammenfassung
und Forderungen sind die der deutschen Delegationsteilnehmer.
Bremen/Hamburg/Hannover, den 20. Februar 2005
R. Ahues, R. Gössner, N. Paech,
H. Schneider-Sonnemann
***
Die "Internationale
Liga für Menschenrechte" hat zusammen mit anderen Menschenrechts- und
Friedensorganisationen, die sich seit längerem mit der Türkei befassen, in
einem gemeinsamen Schreiben Bundeskanzler Gerhard Schröder anlässlich seiner
Türkei-Reise gebeten, seinen Einfluss geltend zu machen, um endlich eine friedliche
und gerechte Lösung der kurdischen Frage in der Türkei anzustreben. Die
gegenwärtige Entwicklung in der Türkei, die von nationalistischen Strömungen
und unverhältnismäßiger Polizeigewalt gegen Demonstrationsteilnehmer
gekennzeichnet ist, ist besorgniserregend - nicht allein, aber in besonderem
Maße wegen der anstehenden EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei.
Menschenrechts- und Friedensorganisationen bitten
Bundeskanzler Schröder
anlässlich seiner Türkei-Reise um
friedenspolitische Intervention
Hitlers ‚Mein Kampf‘ auf
der Hit-Liste - Pamuks Bücher öffentlich verbrannt
Menschenrechts-
und Friedensorganisationen, die sich seit langer Zeit mit der Türkei befassen,
haben in einem gemeinsamen Schreiben den Bundeskanzler gebeten, seinen Einfluss
für eine Politik der inneren Aussöhnung in der Türkei geltend zu machen und dazu
auch die guten Dienste Deutschlands anzubieten. Dieses könne nicht nur dem
Wohle der Türkei und ihrem Beitrittswunsche, sondern auch in Deutschland der
Förderung einer Kultur des Friedens dienlich sein.
Die
Organisationen sind über die derzeitige nationalistische Hysterie in der Türkei
tief beunruhigt. "Während Bücher des international und auch in Deutschland
geschätzten liberalen türkischen Schriftstellers Orhan Pamuk öffentlich
verbrannt werden, steht Hitlers „Mein Kampf“ seit Wochen auf den Hit-Listen des
Buchhandels der Türkei.(...) Die Aufforderung aus vielen Ländern der Welt, sich
endlich mit dem Völkermord an den Armeniern öffentlich auseinander zu setzen,
führt statt zu einer sensiblen Aufarbeitung der eigenen Geschichte zu
chauvinistischen und rassistischen Bekenntnissen der türkischen Diplomatie.“
Das
weltweit mit großer Abscheu zur Kenntnis genommene Vorgehen der Polizei gegen
eine Frauendemonstration, bewirkte nicht etwa, dass die Verantwortlichen zur
Rechenschaft gezogen werden: vielmehr sollen die Opfer gerichtlich belangt
werden. Die Menschenrechtsvereine melden immer wieder schwerste Verletzungen
der Menschenrechte und werden selbst mit Anklagen überhäuft.
In dieser Situation nationalistischer Regression eröffne
die türkische Armee ihre größte militärische Offensive seit Jahren gegen die
kurdischen Widerstandskräfte, die über 5 Jahre lang eine friedliche Lösung des
Kurdenproblems im Rahmen der Türkei angeboten hatte, worauf Ankara niemals
antwortete.
Die
kurdische Bevölkerung des Landes von 15 bis 20 Millionen gehört zum relevanten
Beitrittspublikum einer möglicherweise einst um die Türkei erweiterten EU. Dies
erfordere unabdingbar, der kurdischen Bevölkerung in der Türkei endlich ihre
Grund- und Menschenrechte zu gewährleisten und sie nicht länger einem
anachronistischen, rassistischen türkischen Nationalismus zu unterwerfen.
„Wir halten es deshalb für unabdingbar,
kurdischen Repräsentanten im Prozess der Beitrittsverhandlungen, aber auch vor
den Gremien der einzelnen EU-Staaten angemessenes Gehör zu verschaffen. Eine generelle
Diffamierung der Kurden und ihrer Organisationen als terroristisch wird die
Gegensätze in der Gesellschaft der Türkei verschärfen und ihre Überwindung
verhindern. Wir gehen davon aus, dass die Türkei die Kriterien für einen
Beitritt zur EU nur erreichen kann, wenn sie die nationalistischen Verfestigungen,
die im Gegensatz zum multikulturellen Charakter der EU stehen, überwindet.“
Der Brief
ist von Repräsentanten der folgenden Organisationen unterzeichnet:
Azadi – Rechtshilfefonds
für KurdInnen
Bundesarbeitsgemeinschaft
für Flüchtlinge PRO ASYL
Deutsche
Friedensgesellschaft –Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK)
Deutsche Sektion der
Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung,
IPPNW
Dialog-Kreis „Die Zeit
ist reif für eine politische Lösung im Konflikt zwischen Türken und Kurden“
Internationale Liga für
Menschenrechte
Komitee für Grundrechte
und Demokratie
Koordination
„Gerechtigkeit und Frieden“ der Franziskaner Mitteleuropas (COTAF)
medico international
Mesopotamische
Entwicklungsgesellschaft
Pro Humanitate –
Internationaler Verein für Frieden und Gerechtigkeit
Republikanischer
Anwältinnen- und Anwälteverein
Rüstungsinformationsbüro
Baden Württemberg
Terre des Femmes
Tüday -
Menschenrechtsverein Türkei/Deutschland
Yek-Kom Föderation kurdischer Vereine in Deutschland
***
Liga-Prozessbeobachtung
Die Liga hat in letzter Zeit an mehreren
Prozessbeobachtungen teilgenommen: So etwa in Florida/USA, in Straßburg/Frankreich,
in Seoul/ Südkorea sowie in Madrid/Spanien. Beobachter waren unser
Liga-Mitglied Rechtsanwalt Eberhard Schultz sowie Rolf Gössner. Nachdem
Eberhard Schultz bereits den Prozess gegen die Cuba-5 in Miami/USA u.a. im
Auftrag der Liga beobachtet hatte, haben wir ihn im letzten Jahr – zusammen mit
anderen Bürgerrechtsgruppen – erneut mit einer Prozessbeobachtung beauftragt:
dieses Mal vor dem High Court in Seoul/Südkorea, um den skandalösen
Staatsschutzprozesses gegen den Münsteraner Soziologie-Professor Song
zu beobachten - nachzulesen im Liga-Report 2/2004.
Rolf
Gössner hat im Juni 2004 im Auftrag der Liga das Revisionsverfahren von
Abdullah Öcalan gegen die Türkei vor dem Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte beobachtet. Es geht in dem Verfahren um die Frage der Rechtmäßigkeit
und Rechtsstaatlichkeit des Öcalan-Verfahrens und seiner Verurteilung vor türkischen
(Militär-) Gerichten. Mit einer Entscheidung wird in Kürze gerechnet (vgl.
Liga-Report 2/2004).
Staatsschutz-Prozess
gegen Berlinerin vor spanischen Gericht
Das
letzte beobachtete Verfahren fand im vorigen November vor der Audiencia
Nacional in Madrid statt. Angeklagt war die Berliner Gabriele Kanze. Wegen
der Auslieferungs- und Folterproblematik, die in diesem Strafverfahren eine
zentrale Rolle spielte, hat sich die Liga an einer internationalen Delegation
beteiligt, um diesen Prozess zu beobachten und die Öffentlichkeit darüber zu
informieren.
Erklärung der internationalen Delegation zum Ende des
Verfahrens gegen Gabriele Kanze
Der Prozess gegen die deutsche Staatsangehörige Gabriele
Kanze, der heute am 29.11.04 vor der Audiencia Nacional in Madrid begann,
endete nach nur wenigen Stunden mit der Entscheidung, sie nach 2 Jahren und
acht Monaten aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Sie wurde zu einer Strafe
von 2 Jahren und acht Monaten verurteilt, die durch die bereits erlittene
Auslieferungs- und Untersuchungshaft verbüßt ist. Damit entspricht der vom
Gericht festgestellte Schuldumfang „rein zufällig“ der Dauer der bereits
erlittenen Haft.
Dieses Ergebnis kam zustande, weil die Staatsanwaltschaft
vor Prozessbeginn anbot, wesentliche Teile der Anklage fallen zu lassen,
nämlich Waffen-und Sprengstoffbesitz, wenn Gabriele Kanze auf eine weitere
Beweisaufnahme verzichten und eine Verurteilung wegen Unterstützung einer
„bewaffneten Bande“ akzeptieren würde. Im Gegenzug dafür sollte sie sofort
freigelassen werden. Die Strafe sollte der bereits erlittenen Haftdauer
entsprechen.
Dieses Angebot kam, ohne dass sich an dem zugrunde
liegenden Sachverhalt irgendetwas geändert hatte. Es blieb der Anklagevorwurf
der Unterstützung einer bewaffneten Bande, für den das Gesetz eine
Mindeststrafe von sechs Jahren vorsieht. Da die Tat auf Bitten ihres Freundes
und jetzigen Ehemannes begangen worden sein soll, reduzierte das Gericht diese
Mindeststrafe.
Gabriele Kanze und ihre Verteidigerinnen haben dieses
Angebot akzeptiert. Die Erfahrung vor dem spanischen Sondergericht Audiencia
Nacional zeigt, dass eine Verurteilung selbst aufgrund einer einzigen unter
Folter erpressten Aussage übliche Praxis ist. Damit war das Risiko einer
Verurteilung zu einer wesentlich höheren Strafe zu groß.
Wir sind der Auffassung, dass mit diesem Urteil nicht Recht
gesprochen wurde:
Schon die Auslieferung von Gabriele Kanze durch die Schweiz an Spanien wurde durch unhaltbare Vorwürfe – angeblicher Sprengstoff- und Waffenbesitz – rechtsmissbräuchlich von der spanischen Staatsanwaltschaft durchgesetzt.
Die Berliner
Staatsanwaltschaft hatte das Ermittlungsverfahren in allen diesen Punkten bereits
mangels Tatverdachts eingestellt. Wie windig die Beweislage tatsächlich von
Anfang war, zeigt, dass diese Punkte jetzt von der spanischen Staatsanwaltschaft
selber fallen gelassen wurden.
Die Auslieferung erfolgte
trotz der Tatsache, dass die belastenden Aussagen gegen Gabi Kanze unter Folter
zustande gekommen waren.
Die in Spanien zulässige Untersuchungshaft
von zwei Jahren ohne Überprüfung und eine weitere Verlängerung bis zu vier
Jahren, ohne dass die Dauer mit Ermittlungshandlungen begründet werden muss,
ermöglicht es, Untersuchungshaft als Strafhaft zu missbrauchen.
Wir sind erleichtert, dass Gabriele Kanze freigelassen
wird. Diese Freilassung erfolgt 2 Jahre und acht Monate zu spät.
Madrid, den 29.11.2004
Marion Seelig (MdA), Stellvertretende Vorsitzende der
PDS-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus
Silke Studzinsky, Republikanischer Anwälteverein und
Berliner Strafverteidigervereinigung
Constanze Lindemann, Vorsitzende ver.di Fachbereich Medien,
Kunst und Industrie Berlin-Bbg
Dr. Rolf Gössner, Präsident der Internationalen Liga für
Menschenrechte und Bremer Anwalt
Prof. Dr. Wolf-Dieter Narr, Komitee für Grundrechte und Demokratie
Otto Pfeiffer, Botschafter a.D.
Marcel Bosonnet, Demokratische Juristinnen und Juristen
der Schweiz und Anwalt in Zürich
Mittwoch, 1. Dezember 2004
Als Eta-Terroristin
verurteilt - und frei
Anwälte kritisieren Verfahren gegen Berlinerin
Von Andrea Puppe
Gabriele
K. ist wieder frei. Zwei Jahre und acht Monate hat die Berlinerin seit 2002 in
der Schweiz und in Spanien im Gefängnis gesessen - ohne Hauptverhandlung. Am
Montag verurteilte ein Madrider Sondergericht sie für terroristische Fälle
wegen Unterstützung der baskischen Untergrundorganisation Eta zu zwei Jahren
und acht Monaten Haft. Die Strafe ist also bereits verbüßt. Die
Staatsanwaltschaft hatte ursprünglich 22 Jahre gefordert, weil der Berlinerin
außerdem Waffen- und Sprengstoffbesitz vorgeworfen werden sollte.
Vor
Prozeßbeginn boten die Ankläger jedoch an, diese beiden Punkte fallen zu
lassen, wenn Gabriele K. eine Verurteilung wegen Unterstützung der Eta akzeptieren
würde. "Das Verfahren trägt skandalöse Züge", sagt Rolf Gössner,
Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte und Bremer Rechtsanwalt.
Aber die Absprache sei die einzige Möglichkeit gewesen, die Berlinerin jetzt
frei zu bekommen. "Das Auslieferungsersuchen der Spanier an die Schweiz
beruht auf den Punkten, die jetzt von den spanischen Anklägern fallengelassen
wurden."
Anwältin
Petra Isabel Schlagenhauf sagte gestern: "Aus unserer Sicht wäre Gabriele
K. auch die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung nicht nachzuweisen
gewesen". Frau K. sei weder Mitglied der Eta, noch teile sie deren Ideen
(...)
Trotz
ihrer Distanz zur Eta hatte Gabriele K. "gestanden", eine Wohnung für
ihren damaligen Lebensgefährten und jetzigen Ehemann Benjamin Ramos V. gemietet
zu haben. Tatsächlich, so Gössner, hatte die Sprachlehrerin die Wohnung jedoch
für Austauschlehrer gemietet. Gabriele K. wußte jedoch nicht, so das
"Geständnis", daß Benjamin Ramos V. mit der Eta zu tun gehabt habe.
Benjamin Ramos V., 1997 zu elf Jahren Haft verurteilt, ist seit 2000 wegen schwerer
Krankheit aus der Haft beurlaubt.
Am
Montag gegen 19 Uhr fuhren Anwältin Schlagenhauf, Benjamin Ramos V. und zwei
Freunde zum Gefängnis Madrid V, 40 Kilometer außerhalb von Madrid. "Gegen
22 Uhr wurde Gabriele K. dann entlassen", berichtet die Anwältin. Gabriele
K. sei erschöpft, aber froh, endlich frei zu sein (...)
....
Die Internationale Liga für Menschenrechte setzte sich für die Berlinerin ein.
Liga-Präsident Rolf Gössner hatte im Vorfeld des Prozesses erklärt, daß es
erhebliche Zweifel an einem fairen Strafverfahren gegen die Angeklagte gebe.
Das Bundeskriminalamt hatte 1998 auch in Spanien ermittelt, die Berliner
Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren gegen Gabriele K. ein: Sie hatte zur
angeblichen Tatzeit in Berlin gelebt, berichtet die Liga für Menschenrechte.
Zudem verstoße die lange Untersuchungshaft von zwei Jahren und acht Monaten
gegen die Menschenrechtskonventionen (30.11.04).
Liga-Ausschussbericht(e)
Bericht des Eine-Welt-Ausschusses
In
diesem Jahr war der Schwerpunkt die Befassung mit Rassismus und Diskriminierung
im Zusammenhang mit der Implementierung der EU- und UN-Instrumente auf
nationaler Ebene:
Nationaler Aktionsplan gegen
Rassismus (NAP)
Mehrere Ausschussmitglieder arbeiten mit anderen NGOs zusammen zur Umsetzung des UN-Beschlusses der Konferenz von Durban "Weltkonferenz gegen Rassismus, Rassendiskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und damit zusammenhängende Intoleranz" in der Bundesrepublik. Hierzu arbeiteten Ausschuss-Mitglieder in der AG Durban Follow-up und später in einer Initiative zur Umestzung des Durbaner Beschlusses. Die Bundesregierung verschiebt die Umsetzung abermals trotz mehrmaliger Ankündigung.
Ein weiterer Schwerpunkt war die Auseinandersetzung mit den ECRI (European Commission against Racism and Intolerance) und CERD (Internationales Übereinkommen zur Beseitigung aller Formen von rassistischer Diskriminierung)-Staatenberichten.
Antidiskriminierungsgesetz (ADG):
Ausschussmitglieder arbeiten mit verschiedenen Netzwerken zur Umsetzung des ADG.
Aufarbeitung
kolonialer Verbrechen
Ausschussmitglieder organisierten gemeinsam mit mehreren Menschenrechtsorganisationen und afrikanischen Vereinen einen Gedenktag für Opfer deutscher Kolonialverbrechen zum 100. Jahrestag des Genozids im südlichen Afrika sowie gemeinsame Veranstaltungen zu den in der BRD verleugneten kolonialen Völkermorden.
Die Arbeit zur Umbenennung von Straßennamen, die koloniale Verbrechen verherrlichen oder nach kolonialen Mördern benannt sind, hat sehr große Kreise gezogen, von links bis rechts, die von Unterstützung bis mediale rassistische Angriffe von rechter Presse reichen. Durch hartnäckige Präsenz, Vorträge und Texte in der BVV von Berlin-Mitte haben wir die Unterstützung aller Fraktionen bis auf die CDU. Die BVV Mitte faste den Beschluss, unsere Arbeit zu unterstützen. In diesem Projekt ist geplant, Aufklärungsarbeit zu kolonialen Verbrechen und Rassismus mit Schulen, Multiplikatoren und Anwohnern zu leisten. Die Koordination des Projekts haben Ausschussmitglieder übernommen.
Im
Rahmen des Forums Menschenrechte arbeiten wir in der AG Innenpolitik und
Rassismus. Wir beteiligten uns an Gesprächen mit anderen NGOs sowie an
Gesprächen mit Mitgliedern des Bundestagsausschusses (Innen und Menschenrechte)
und Gesprächen mit Ministerien. Ein Ausschussmitglied, Judy Gummich, ist
Sprecherin der AG Rassismus des Forums Menschenrechte. Wir sind zur Zeit im
Vorstand des Hausvereins des Hauses der Demokratie und Menschenrechte
vertreten.
Yonas
Endrias, Sprecher Eine-Welt-Ausschuss
Liga-Pressemitteilungen
November 2004 – April 2005
25.11.2004
Liga
beobachtet Strafprozess gegen
Berlinerin in Madrid
Liga-Präsident
Dr. Rolf Gössner: „Es gibt erhebliche Zweifel an einem fairen Strafverfahren
gegen die Angeklagte, zumal belastende Aussagen unter Folter zustande kamen.“
Zusammen mit einer Abgeordneten und Vertretern anderer Bürgerrechtsorganisationen beobachtet die Internationale Liga für Menschenrechte in der kommenden Woche (ab 29.11.2004) einen brisanten Strafprozess gegen die deutsche Staatsbürgerin Gabriele Kanze vor dem spanischen Sondergericht Audiencia Nacional in Madrid. Liga-Präsident Dr. Rolf Gössner, der an der Delegation zur Prozessbeobachtung teilnehmen wird, will vor Ort überprüfen, ob Gabriele Kanze ein fairer Prozess gemacht wird. Folgende Punkte lassen hieran nach Auffassung der Liga Zweifel aufkommen:
Die 48jährige Lehrerin Gabriele Kanze ist bereits im März 2002 in der Schweiz verhaftet und im Januar 2003 an Spanien ausgeliefert worden und sitzt seither in Untersuchungshaft. Damit verbringt sie mittlerweile zwei Jahre und acht Monate in Auslieferungs- und Untersuchungshaft. Eine solch lange Haftzeit ohne Urteil ist mit den internationalen Menschenrechtskonventionen kaum vereinbar und bedeutet eine vorweggenommene Strafe.
Die Staatsanwaltschaft greift in ihrer Anklage auf belastende Aussagen eines Mannes zurück, der während der in Spanien zulässigen „incomunicado“-Haft (ohne jeden Kontakt nach außen) gefoltert wurde. Diese unter Folter entstandenen Aussagen müssten nach internationalem Recht einem Verwertungsverbot unterliegen. Noch immer gibt es in Spanien zahlreiche Fälle, in denen von Folter und Misshandlungen in Haft berichtet wird (vgl. Jahresbericht 2004 von Amnesty International zu Spanien).
Der ehemaligen Austauschlehrerin G. Kanze wird die Anmietung einer Wohnung in Barcelona im Jahr 1993 vorgeworfen. In dieser sollen sich später Mitglieder der baskischen Untergrundorganisation ETA aufgehalten haben sowie Waffen- und Sprengstoff gefunden worden sein. Die Staatsanwaltschaft fordert eine Strafe von insgesamt 22 Jahren Freiheitsentzug – obwohl das Bundeskriminalamt bereits zu diesen Vorwürfen umfangreiche Ermittlungen auch in Spanien durchgeführt hatte und die Berliner Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren 1998 wegen mangelnden Tatverdachts einstellte. Tatsächlich hatte Gabriel Kanze zur angeblichen Tatzeit in Berlin gelebt.
„Aufgrund
der schwerwiegenden prozessualen Probleme gibt es erhebliche Zweifel an einem
fairen Strafverfahren gegen die Angeklagte – zumal die sie belastenden Aussagen
unter Folter zustande kamen und entlastende Beweise bislang kaum zur Kenntnis
genommen werden,“ gibt Rolf Gössner zu bedenken. „Es muss unbedingt verhindert
werden, dass Gabriele Kanze zu Unrecht verurteilt wird.“ Deshalb ist auch die
deutsche Botschaft in Spanien, die den Prozess ebenfalls beobachten lässt, gefordert,
genau darauf zu achten, dass die Angeklagte ein faires Verfahren erwartet. (s.
dazu auch Schlusserklärung in der Rubrik „Prozessbeobachtungen“)
***
AZADÎ-Rechtshilfefonds für Kurdinnen und
Kurden in Deutschland e.V.
Pressemitteilung 25. November 2004
11 Jahre PKK-Verbot
– Wo ist das Licht am Ende des Tunnels ?
Am 26.
November 1993 trat das vom damaligen CDU-Bundesinnenminister Manfred Kanther
erlassene Betätigungsverbot für die PKK in Kraft und gilt bis heute fort –
trotz Beendigung des bewaffneten Kampfes, trotz Auflösung der PKK im Jahre 2002
und Gründung des Kongresses für Frieden und Demokratie in Kurdistan (KADEK),
trotz Weiterentwicklung des friedenspolitischen Kurses durch KONGRA-GEL. Zu dem
unversöhnlichen Festhalten an dieser Verbotspolitik und der Notwendigkeit eines
Wandels, einige Stimmen:
Rechtsanwältin Edith Lunnebach, Köln:
Das Betätigungsverbot gegen die PKK aus
dem November 1993 hat zu Recht in den kurdenfreundlichen Kreisen Proteste hervorgerufen,
die bis heute nicht verstummt sind. Mit
diesem Verbot wurden populistische Interessen der Politik befriedigt, ohne dass
man dem Ziel, nur den friedlichen Protest gegen die politischen Bedingungen für
die Kurden in der Türkei in Deutschland zuzulassen, näher gekommen wäre. Unzählige
Ermittlungsverfahren und Verurteilungen eben auch wegen friedlicher Proteste
und politischer Betätigungen waren die Folge. Das PKK-Verbot muss weg. Die
Konflikte müssen im demokratischen öffentlichen Raumausgetragen werden.
Dr. Rolf Gössner, Präsident der Internationalen Liga
für Menschenrechte, Berlin:
Das Betätigungsverbot für die PKK in der
Bundesrepublik hat viel Unheil gestiftet: Es hat zu Kriminalisierung,
Ausgrenzung und Diskriminierung von Tausenden von Kurdinnen und Kurden geführt
und ihre Grundrechte massiv eingeschränkt. Sie wurden nicht selten pauschal zu
Gewalttätern und „Terroristen“ gestempelt, sind lange Zeit zu innenpolitischen
Feinden erklärt worden. Wie immer man zur PKK und ihren Aktivitäten stehen mag:
Mit solchen Verboten werden jedenfalls keine Probleme gelöst, sondern weitere
produziert. Längst ist das Betätigungsverbot zum Anachronismus geworden und
muss schon deshalb schnellstmöglich aufgehoben werden, zumal sich die PKK vor
vielen Jahren zu einer friedlichen Lösung der Kurden-Frage bekannt und
mittlerweile ohnehin aufgelöst hat.
Pater Wolfgang Jungheim, Pax Christi Lahnstein-Nassau:
Wer in der Wüste lebt, dem muss ich den
Weg zur Oase ebnen und ihm nicht den Schrei nach Wasser verbieten. Ich darf
mich nicht wundern, wenn ich genügend Wasser habe und es ihm vorenthalte, dass
er mir dies entreißen will. Wer nur Gewalt erlebt, greift auch zur Gewalt. Wer
auf Gewalt verzichtet, dem muss dankbar aufgezeigt werden, dass dies der bessere
Weg ist. Notwendig ist: Nicht Auslieferung zur Einlieferung in neue Gewalt, nicht
Verbot politischer Betätigung, sondern Förderung demokratischer Gesinnung und
Legalisierung von Verbands- und Parteiarbeit. Besonders eine
Versöhnungspolitik, die das Unrecht auf türkischer, deutscher und kurdischer
Seite aufarbeitet, ermöglicht ein echtes Miteinander – in der Türkei und in Deutschland.
Thomas Schmidt, Generalsekretär der Europäischen
Vereinigung von Juristinnen und Juristen für Demokratie und Menschenrechte in
der Welt:
Der
11. Jahrestag des PKK-Verbots gibt Veranlassung, den Bundesinnenminister bzw.
die Bundesregierung insgesamt aufzufordern, daran mitzuwirken, die
Voraussetzungen für eine Legalisierung der PKK zu schaffen. Ziel sollte es ein,
der PKK bzw. dem KONGRA-GEL die Gelegenheit zu geben, seine politischen Ziele
auf legalem Weg zu verfolgen. Eine zeitlich unbegrenzte und sachlich nicht gerechtfertigte
Stigmatisierung einer politischen Organisation wird den vom Gesetz mit Verboten
verfolgten Zwecken nicht gerecht und ist daher verfassungsrechtlich bedenklich,
wenn nicht gar verfassungswidrig. Ebenso wie für den türkischen Staat der Weg
in ein rechtsstaatliches und demokratisches Europa geebnet werden soll, muss
dies auch für die politischen Gegner dieses Regimes geschehen. Die im Rahmen
eines möglichen EU-Beitritts der Türkei geführten Vorverhandlungen sollten mit
genutzt werden, um die Rechte der Kurden in der Türkei ausreichend abzusichern.
In diesem Zusammenhang ist auch die Terror-Liste der EU zu erwähnen. Auf keinen
Fall kann es ausreichen, wenn Regierungen, die selber noch weit entfernt von
rechtsstaatlicher und demokratischer Machtausübung sind, ihre politischen
Gegner der EU benennen, damit diese sie auf die Terror-Liste setzt.
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Rechtshilfefonds
AZADI e.V., Graf-Adolf-Str. 70A, 40210, Düsseldorf, Tel. 0211 - 830 29 08,
e-mail: azadi@t-online.de;
ttp://www.nadir.org/aza
***
Gemeinsame
Presseerklärung
Humanistische Union · Komitee für
Grundrechte und Demokratie · Internationale Liga für Menschenrechte · Vereinigung
Demokratischer Juristinnen und Juristen · Bürgerrechte & Polizei/CILIP
Berlin, 20.12.2004
Mildes Urteil im Fall
Daschner ist falsches Signal
Bürgerrechtsorganisationen
befürchten schleichende Erosion des
generellen Folterverbots
und fordern entschiedenes Gegensteuern
Mit dem heute verkündeten Urteil gegen den ehemaligen
Vizepräsidenten der Frankfurter Polizei, Wolfgang Daschner, und den mitangeklagten
Kriminalhauptkommissar Ortwin Ennigkeit sind weder das Gericht noch die
Staatsanwaltschaft der Bedeutung des ausnahmslos geltenden Folterverbotes und
dem Schutz der Menschenwürde gerecht geworden. Zwar hat das Gericht die beiden
Polizeibeamten für schuldig befunden und die Gewaltandrohungen als rechtswidrig
bezeichnet. Die Angeklagten sind jedoch derart milde verurteilt worden, als
habe es sich bei der angedrohten Folter um eine Bagatelle gehandelt. Folgt man
der Logik des Gerichts, wird die Androhung von Folter in Deutschland – wenn sie
aus einer „ehrenwerten Gesinnung“ erfolgt – faktisch legitim.
Der
Fall Daschner hat über den konkreten Vorwurf hinaus Bedeutung erlangt, weil mit
seiner Hilfe das generelle Folterverbot aufgeweicht werden sollte. Offenkundig
hat das Gericht die Chance und die Notwendigkeit versäumt, in dieser Frage eine
eindeutige Antwort zu geben.
Die
unterzeichnenden Bürgerrechtsorganisationen werden deshalb die schriftliche
Urteilsbegründung mit besonderer Sorgfalt lesen.
Für
uns steht fest, dass jeder Verharmlosung von Folter, sei es im Namen der
Gefahrenabwehr, des übergesetzlichen Notstandes oder des „Anti-Terror-Kampfes“
eine Absage erteilt werden muss.
Ergänzende Einschätzung der Internationalen
Liga für Menschenrechte:
Zwar ist im Fall Daschner immerhin eine Verurteilung
der Folterandrohung erfolgt - doch setzt dieses ausgesprochen milde Urteil ein
falsches Signal. Es passt nach Auffassung der Internationalen Liga für
Menschenrechte in eine Zeit, in der im Laufe eines verschärften
"Antiterror"-Kampfes ein kräftiges Abrücken vom absoluten
Folterverbot der internationalen Menschenrechtskonventionen zu verzeichnen ist.
Liga-Präsident Dr. Rolf Gössner: "Dieses Urteil wird die fatale Debatte
um die Zulässigkeit von Foltermaßnahmen nicht verstummen lassen. Die grausamen
Folterszenen von Abu Ghraib und Guantànamo strahlen weit hinein nach Europa, in
die Bundesrepublik, auf ihre Polizei und ihre Bundeswehr aus. Das zeigt nicht
nur die öffentliche Debatte um den Fall Daschner, das zeigen auch die erschreckenden
Folterübungen bei der Bundeswehr, die sich auf internationale Einsätze in aller
Welt vorbereitet." Dieser fatalen Entwicklung einer Erosion des
Folterverbots, so Gössner, müsse auch mit Hilfe einer wachsamen Justiz
energisch Einhalt geboten werden.
Bremen/Berlin, 8. Januar 2005
„Internationale
Liga für Menschenrechte“ fordert endgültigen Stopp
des gewaltsamen Brechmitteleinsatzes, unabhängige Untersuchung und Aufklärung
des Bremer Vorfalls
„Hier wurde das Leben eines Verdächtigen mit
einer höchst umstrittenen Maßnahme aufs Spiel gesetzt, um ihn als Drogendealer
zu überführen – das ist unverhältnismäßig und unverantwortlich, das
widerspricht menschenrechtlichen Prinzipien sowie ärztlichem Berufsethos“
Ein
35jähriger Afrikaner aus Sierra Leone ist nach der Zwangsvergabe von
Brechmitteln auf dem Bremer Polizeipräsidium ins Koma gefallen – Hirntod durch
Ertrinken während mehrerer Magenspülungen per Nasensonde. Am Abend des
7.01.2005 ist er an den Folgen dieser Prozedur gestorben.
Zu diesem tragischen Vorfall stellt die Internationale Liga für Menschenrechte fest: Die zwangsweise Vergabe von Brechmitteln, um verschluckte Drogen wieder zu exkorporieren, ist in aller Regel eine qualvolle und für alle Beteiligten entwürdigende Prozedur. Dem Drogenverdächtigten wird mit Polizeigewalt über eine Nasen-/ Magensonde ein Brechmittel verabreicht; über diese Sonde erfolgen auch Magenspülungen mit Hilfe großer wassergefüllter Spritzen – eine Maßnahme, die bei unsachgemäßer Durchführung tatsächlich zum Ertrinken, zum Atemstillstand, letztlich zum Hirntod führen kann.
Die
gewaltsame Brechmittelvergabe zur Beweissicherung ist rechtlich und medizinisch
höchst umstritten. Rechtlich wird sie auf § 81a I Strafprozessordnung gestützt.
Voraussetzung ist, dass der Zwangseingriff von einem Arzt nach den Regeln der
ärztlichen Kunst vorgenommen wird und kein Nachteil für die Gesundheit des
Betroffenen zu befürchten ist. Doch die zwangsweise Verabreichung kann per se
kaum nach den Regeln ärztlicher Kunst ablaufen. Außerdem können dabei erhebliche
gesundheitliche Komplikationen auftreten, die bereits in Praxis und Literatur beschrieben
worden sind – etwa unstillbares Erbrechen und Durchfall, Bluterbrechen,
Verletzungen der Magenschleimhaut, Risse in Magen und Speiseröhre, lebensbedrohender
Flüssigkeitsverlust oder Kreislaufschwäche, die tagelang anhalten können. Diese
Risiken sind schon lange bekannt. Es handelt sich also bei dem Bremer Vorfall
keinesfalls um einen „tragischen Einzelfall“, wie Innensenator Thomas
Röwekamp (CDU) der Öffentlichkeit weismachen will. Denn es gab in diesem
Zusammenhang bereits mehrere prekäre Vorfälle – darunter auch einen Todesfall
in Hamburg (2001).
Liga-Präsident
Rolf Gössner: „Das Festhalten an dieser Praxis ist ein Skandal, mit dem
das Leben eines Verdächtigen auf Spiel gesetzt wird, um ihn als Drogendealer zu
überführen – das ist unverhältnismäßig und widerspricht menschenrechtlichen
Prinzipien sowie ärztlichem Berufsethos“. Solche gewaltsamen Prozeduren gegen
den erklärten Willen des Betroffenen, bei denen es immer wieder zu
polizeilichen Misshandlungen kommt, dürften zumindest gegen den verfassungsmäßigen
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen - aber auch gegen die Menschenwürde
und das Recht auf körperliche Unversehrtheit. „Der Mensch wird zum bloßen
Objekt staatlicher Strafverfolgungsmaßnahmen degradiert, die Beweissicherung
wird zur abschreckenden, zur vorweggenommenen Bestrafungsaktion“, stellt Gössner
fest. „Dies ist mit dem Menschenbild des Grundgesetzes nicht vereinbar.
Beweismittel gewaltsam und unter Qualen aus einem Körper herauszupressen, hat
etwas von Folter.“ Gewaltanwendung zur Beweismittelbeschaffung, was einer
Geständniserzwingung gleichkommt. Die zwangsweise Einflößung von Wasser ist
eine „bewährte“ Foltermethoden, die bereits aus der spanischen Inquisition und
aus dem französischen Algerienkrieg der 50er Jahre bekannt ist (Wasserfolter).
Es handele sich bei der gewaltsamen Magenspülung und Brechmittelvergabe
zumindest um folterähnliche, also um grausame, unmenschliche und erniedrigende
Praktiken, wie amnesty international bereits in den 90er Jahren festgestellt
hat. Aber auch Ärztekammern und –organisationen sowie der Deutsche Ärztetag haben
sich immer wieder aus medizinischen und ethischen Gründen gegen eine gewaltsame
Brechmittelvergabe ausgesprochen.
Doch
Innensenator Thomas Röwekamp hält diese Methode kriminal- und
drogenpolitisch weiterhin für richtig. Für ihn heiligt der Zweck die Mittel.
Schließlich werde diese Behandlung nur mutmaßlichen Drogendealern zuteil – „in
meinen Augen Schwerstverbrecher“, so Röwekamp wörtlich, bei denen offenbar,
so sind die bisherigen Aussagen des Bremer Innensenators zu verstehen, Bürger-
und Menschenrechte zeitweise außer Kraft gesetzt sowie grausame, unmenschliche
und erniedrigende Maßnahmen angewandt werden können – eine Argumentation, die
bereits im Verlaufe der unsäglichen Folterdebatte zur Rechtfertigung von Folter
in Ausnahmensituationen zu hören war. Rolf Gössner: „Eine solch
finstere Einstellung, die weder Unschuldsvermutung noch Folterverbot kennt, hat
mit den Prinzipien eines demokratischen Rechtsstaats und mit
menschenrechtlichen Standards nichts mehr zu tun. Und ein solcher Innenminister
dürfte für Bremen nicht mehr tragbar sein. Diese Art von
Kriminalitätsbekämpfung der ‚unnachgiebigen Härte und Schärfe’ (Röwekamp) ist unverantwortlich.“
Nach den empörenden Falschinformationen durch Innensenator Thomas Röwekamp (CDU) – der Betroffene habe Drogenkapsel zerbissen und sich so selbst vergiftet – fordert die Liga eine (vom Innensenator) unabhängige Untersuchung und lückenlose Aufklärung dieses Vorfalls. Ihrer Auffassung nach wirke dieser weit über Bremen hinaus – in all jene Bundesländer, die nach wie vor gewaltsam Brechmittel verabreichen. Ärztekammern und Ärzteorganisationen, aber auch die Polizeigewerkschaften müssten sich mit dem Brechmitteleinsatz offensiv und kritisch auseinandersetzen. Sie müssten sich fragen, ob ihre Mitglieder sich weiterhin an solchen folterähnlichen, unmenschlichen Prozeduren beteiligen dürfen. Und die Innenministerkonferenz ist aufgefordert, die gewaltsame Brechmittelvergabe unverzüglich und endgültig zu stoppen.
Aus: WESER-KURIER vom 8.01.2005
Brechmitteleinsatz zunehmend in der
Kritik
Bremer
Dealer ist nach Prozedur gestorben / SPD
will jetzt von Zwangsvergabe abrücken
Von Bernd Schneider
BREMEN.
Der
35-Jährige Drogendealer aus Sierra Leone, der nach der Zwangsvergabe von
Brechmitteln auf dem Bremer Polizeipräsidium ins Koma gefallen war, ist gestern
abend gestorben. Das teilte die Staatsanwaltschaft mit. Der Leichnam solle
obduziert werden - allerdings nicht in Bremen.
Die
Bremer SPD-Fraktion will offenbar von der Zwangsvergabe von Brechmitteln
abrücken. Das sagte gestern ihr innenpolitische Sprecher Hermann Kleen. Dazu
habe es bereits Gespräche mit Fraktionschef Jens Böhrnsen gegeben. Der
Fraktionsbeschluss solle am Montag fallen. Kleen: "Spätestens jetzt muss
doch klar sein, dass auf das Instrument verzichtet werden muss." Die
einschlägige Richtlinie des Leitenden Oberstaatsanwalts müsse jetzt geändert
werden.
Bürgermeister
Henning Scherf (SPD) wies derweil Rücktrittsforderungen gegen seinen
CDU-Innensenator Thomas Röwekamp zurück: "Das zu fordern ist die
klassische Rolle der Opposition." Bevor über Konsequenzen aus dem tragischen
Vorfall gesprochen wird, müsse dieser zunächst vollständig aufgeklärt werden.
Unterdessen
fordern Juristen, Wissenschaftler und Menschenrechtler das Ende von
Brechmitteleinsätzen. Rolf Gössner, Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte,
sagte, das Leben des Verdächtigen sei "mit einer höchst umstrittenen
Maßnahme aufs Spiel gesetzt" worden, um ihn als Dealer zu überführen.
"Das ist unverhältnismäßig und widerspricht menschenrechtlichen Prinzipien
sowie ärztlichem Berufsethos." Die Vereinigung Niedersächsischer
und Bremer Strafverteidiger urteilt: "Keine staatliche Gewalt darf in Kauf
nehmen, dass jemand durch umstrittene Ermittlungsmethoden zu Tode kommt."
Der Senator, der dieses unverhältnismäßige Vorgehen verteidigt habe, müsse
zurücktreten.
19 Wissenschaftler der
Universitäten Bremen, Hamburg und Oldenburg - darunter Professoren für
Rechtswissenschaftten, Soziologie und Medizin - verurteilten Brechmitteleinsätze
grundsätzlich.
***
Internationale Liga für
Menschenrechte hält Welle von Widerrufsverfahren
gegen Asylberechtigte für einen Skandal
„Der massenhafte Widerruf von Asylberechtigungen
verstößt gegen völkerrechtliche Standards und gefährdet Flüchtlinge. Von der humanitären
Intention des Asylrechts ist nicht mehr viel übrig geblieben.“
Die
Internationale Liga für Menschenrechte beobachtet mit Sorge die
gegenwärtige Praxis des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge, vermehrt Asylanerkennungen zu widerrufen. Damit revidiert das
Amt seine eigenen Beschlüsse, mit denen es vor Jahren politische Flüchtlinge
wegen Verfolgungsgefahr als asylberechtigt anerkannt hatte. „Diese Behörde
betätigt sich zunehmend als Amt für die Aberkennung von Asylberechtigungen“,
sagte heute Liga-Präsident Rolf Gössner in Berlin. Während 1998 knappe 700
Widerrufsverfahren bundesweit durchgeführt worden waren, sind es im Jahr 2004
mehr als 18.000 Verfahren. Betroffen sind insbesondere Asylberechtigte aus dem
Kosovo, dem Irak und Afghanistan, aus der Türkei sowie aus dem Iran.
Diese
Widerrufsverfahren werden nach Erkenntnissen der Liga oftmals ohne ernsthafte
individuelle Überprüfung des Einzelfalls und jenseits völkerrechtlicher
Standards durchgeführt. Dabei werden die Kriterien der Genfer Flüchtlingskonvention
weitgehend ignoriert, die einen Widerruf der Flüchtlingseigenschaft nur unter
engen Voraussetzungen zulässt: Danach müssen sich die objektiven Verhältnisse
und die Menschenrechtssituation in den jeweiligen Herkunftsländern grundlegend
und dauerhaft geändert haben, die ursprüngliche Verfolgungsgefahr muss weggefallen
und ein wirksamer staatlicher Menschenrechtschutz gewährleistet sein (Art. 1 C
[5] 2). Davon könne jedoch in den genannten Ländern, insbesondere im Irak und
im Iran, objektiv nicht die Rede sein, sagte Gössner.
Der
Entzug des Asylstatus’ beschädige die soziale Existenz der Betroffenen und
schwäche ihren Schutz vor Auslieferung an Verfolgerstaaten, wo sie der Gefahr
von Folter, Misshandlung und Mord ausgesetzt wären. „Abschiebungsreife auf
Vorrat herstellen“, so heißt diese Aushöhlung des Asyls im Bürokraten-Deutsch,
die die Betroffenen in große Unsicherheit, vielfach in Angst und Verzweiflung
stürzt.
Viele
Widerrufsverfahren werden auf die „Anti-Terror-Gesetze“ gestützt, mit denen die
Anerkennung von Asylbewerbern erschwert sowie Ausweisungen erleichtert worden
sind. Das Asyl- und Ausländerrecht ist damit unter „Terrorismusvorbehalt“ gestellt
worden. Zusätzlich werden die Verfahren auf die sog. Terrorliste der EU gestützt,
deren Zusammensetzung keiner demokratischen Kontrolle unterliegt. Hier sind
Einzelpersonen und Organisationen aufgelistet, die als „terroristisch“ gelten –
unter anderen die kurdische Arbeiterpartei und ihre Nachfolgeorganisation sowie
die iranische Widerstandsgruppe der Volksmudjahedin
(...)
Die
Internationale Liga für Menschenrechte fordert die Bundesregierung auf,
darauf hinzuwirken, (...)
dass die auf rein politisch-exekutiver,
nicht auf rechtlich-legislativer Entscheidung beruhende EU-„Terrorliste“
unverzüglich revidiert wird, weil ihre Folgewirkungen gravierend sind und zu
massiven Menschenrechtsverletzungen führen können;
dass alle Asyl-Widerrufsverfahren
eingestellt oder revidiert werden, die unter Berufung auf diese „Terrorliste“
mit dem Ziel eingeleitet worden sind, die Asyl- oder Aufenthaltsberechtigung
aufzuheben;
dass niemand in Auslieferungshaft gerät,
bevor sein Verfahren rechtskräftig abgeschlossen ist und dass niemand an einen
Verfolgerstaat ausgeliefert wird, weil damit gegen Verfassung, Europäische
Menschenrechtskonvention und Genfer Flüchtlingskonvention verstoßen würde.
Berlin/Bremen,
28. Januar 2005
Aus: FRANKFURTER RUNDSCHAU 27.01.05
Iraner sollen Pass abgeben
Bundesamt
widerruft Asylstatus
Berlin · 26. Januar · zba · Tausenden iranischen
Flüchtlingen droht der Verlust des blauen Flüchtlingspasses in Deutschland. Die
Internationale Liga für Menschenrechte vermutet einen "skandalösen
politischen Kuhhandel" zwischen EU-Ländern und Iran in der Atomfrage. Das
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge habe in den vergangenen Monaten bei
immer mehr Flüchtlingen aus Iran - mittlerweile mehr als 30 - den Widerruf
ihres Asylstatus eingeleitet, berichtete die Internationale Liga für
Menschenrechte am Mittwoch in Berlin.
Die Betroffenen hätten bei der Einreise angegeben,
der Widerstandsgruppe Volksmudschaheddin (MEK) anzugehören. Damit werde nun der
Widerruf begründet. Einige seien als "Führungskader" eingestuft
geworden, weil sie eine Demonstration angemeldet hätten. Anlass ist die
Eintragung der MEK in die EU-Liste terroristischer Gruppen im Jahr 2002. Damit
werte Deutschland deren Anhänger als Sicherheitsrisiko. Nach Angaben
Betroffener soll ihnen somit ihr Asylstatus mit den gleichen Gründen entzogen
werden, mit denen er ihnen gewährt wurde. Mit der gleichen Begründung würden
auch Anträge auf deutsche Staatsbürgerschaft abgelehnt.
Abschiebung droht nicht
Das Vorgehen gefährde die
Menschen und widerspreche völkerrechtlichem Brauch, kritisierte Liga-Präsident
Rolf Gössner. Der Frankfurter Rechtsanwalt Reinhard Marx versicherte, keiner
dieser Flüchtlinge werde abgeschoben. Iran gelte weiterhin als Land, das
foltere; kein deutsches Gericht werde einer Ausweisung zustimmen. Doch der
Entzug des blauen Passes beschränke die Bewegungsfreiheit der Flüchtlinge und
verhindere die Arbeitsaufnahme.
Marx hält die Änderung des
Asylstatus ebenso wie die Ausweisung oder die Ablehnung neuer Asylanträge nur wegen
Zugehörigkeit der Flüchtlinge zur MEK ohne anderes erschwerendes Verhalten des
Einzelnen unzulässig. Gössner forderte die Bundesregierung auf,
Flüchtlingsgruppen nicht zum Spielball diplomatischer Taktik und ökonomischen
Geschachers zu machen. Mit der Einstufung der MEK als Terrorgruppe wolle die EU
Iran offenbar zu einem Verzicht auf ein Atomprogramm bewegen.
***
An “die
tageszeitung“, Redaktion Ausland, Berlin
Betr.: Artikel von Bahman Nirumand, Saddam-Freunde
für Demokratie, taz 10.2.2005
Richtigstellung/Gegendarstellung
Bahman Nirumand schreibt in der "taz"
vom 10.02.05 (S.10) unter dem Titel „Saddam-Freunde für Demokratie“, dass nach
"Angaben der Organisatoren", also des „Nationalen Widerstandsrates
Iran“, die „Kundgebung für Demokratie und Menschenrechte“ am 10.02. in Berlin
unter anderem von der „Internationalen Liga für Menschenrechte gesponsert"
werde.
Unabhängig davon, wie sich die
Organisatoren gegenüber Herrn Nirumand wörtlich ausgedrückt haben: Die
Behauptung, diese Kundgebung sei von der Liga gesponsert, ist falsch. Es gibt
keinerlei Unterstützung der Liga für diese Kundgebung, schon gar kein Sponsering.
Die Liga hat sich vor kurzem gegen die zahlreichen Asylwiderrufsverfahren
ausgesprochen, von denen auch Iranerinnen und Iraner betroffen sind, unter
ihnen auch Anhänger der iranischen Volksmudjaheddin. Außerdem hat die Liga für
eine Revision der sogenannten EU-Terrorliste plädiert, auf der u.a. diese
Widerstandsgruppe steht, die damit – wie Bahman Nirumand schreibt - als
„terroristisch“ eingestuft wird.<
Mit der Bitte um Abdruck innerhalb einer redaktionellen
Meldung oder als Gegendarstellung. Besten Dank.
Gez. Dr. Rolf
Gössner, Liga-Präsident
Dementi erschien am 2./13.02.05 in der taz: ....“ Die Liga legt Wert darauf, dass sie die Iran-Demo weder gesponsert noch unterstützt haben.“ Des weiteren haben die Demo-Organisatoren in einem taz-Leserbrief vom 21.02.05 jede Liga-Beteiligung dementiert.
***
Offene Liga-Briefe
Herrn Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, Deutscher Bundestag, Berlin
Offener Brief der „Internationalen Liga für Menschenrechte“ vom 11. Januar 2005
Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus
Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident Thierse,
als Organisation, die das Ziel verfolgt, im Geiste Carl von Ossietzkys zu wirken, begrüßen wir es, jährlich einen Tag dem Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus zu widmen. Bewusst wählte seinerzeit Bundespräsident Roman Herzog den Jahrestag der Befreiung der Überlebenden von Auschwitz als Gedenktag. Jedoch gab es nach dem 27. Januar 1945 noch Tausende, die als Opfer der Nationalsozialisten bis zum 8. Mai 1945, dem Tag der Befreiung vom deutschen Faschismus, nicht mehr gerettet werden konnten.
In vielen Medien wird der 27. Januar
falsch als "Holocaust-Gedenktag" bezeichnet oder auch richtig als
"Jahrestag der Befreiung von Auschwitz". Er steht aber für mehr!
Gerade weil die Vergangenheit uns an unser aller Verantwortung für das demokratische
Gemeinwesen unserer Tage mahnt, sollte am Tag des Gedenkens an die Opfer des
Nationalsozialismus die inhumane und verbrecherische Politik der Nazis in allen
Bereichen deutlich benannt werden, und es sollte besonders auch der Menschen
gedacht werden, die zu Opfern wurden, weil sie mutig gegen die Nazis handelten,
während die Mehrheit der Deutschen zusah oder mitmachte.
Wir
erinnern an die Schriftsteller-innen und Künstler-innen, die wegen ihrer
Gegnerschaft zur Diktatur vertrieben oder umgebracht wurden. Neben diesen
stehen Millionen anderer Menschen, die wegen politischer Opposition, wegen Meinungsäußerungen,
die nicht zur Überheblichkeit und Kriegshetze der Nationalsozialisten passten,
wegen Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen, als Kriegsgefangene in
deutschen Lagern, als Zivilbevölkerung in den von der deutschen Wehrmacht überfallenen
Ländern, als Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in deutschen Betrieben
Opfer des Nationalsozialismus wurden. Hellsichtige und Tapfere erhoben schon in
der Weimarer Republik sehr eindringlich ihre Stimmen und versuchten
verzweifelt, dem nationalsozialistischen Terror in die Arme zu greifen. Nur
hörte die Mehrheit der Deutschen nicht auf sie, und diese Mehrheit war es, die
Hitler und seinen Anhängern den Weg in den Eroberungskrieg ebnete. Die
Hellsichtigen und Tapferen mussten – so sie ihr Leben überhaupt retten konnten
– ins Exil gehen. Andere bezahlten ihren Mut mit ihrer Freiheit oder ihrem
Leben.
Wir bitten Sie sehr herzlich, in ihrer
Einführung zum Gedenktag 2005 am 25. Januar auch an diese Opfer zu erinnern,
z.B. an solche Menschen wie den mit dem Friedensnobelpreis 1935 ausgezeichneten
Carl von Ossietzky, an die Geschwister Scholl, an das Ehepaar Hampel aus dem Berliner
Arbeiterbezirk Wedding, das Postkarten mit Texten gegen den unsinnigen Krieg
schrieb und heimlich verteilte. Führertreue Bürgerinnen und Bürger lieferten
diese Postkarten bei der Polizei ab und bewirkten, dass die beiden festgenommen
und hingerichtet wurden.
Und nicht nur die Toten sind Opfer, sondern auch ihre Angehörigen und die vielen Überlebenden, die das Trauma der nationalsozialistischen Barbarei ihr Leben lang nicht überwinden können, in unserer Gesellschaft aber keinesfalls gebührend gewürdigt werden. Bitte, nehmen Sie diesen Brief für das, was er sein soll: Die Bündelung von Gedanken zu diesem denkwürdigen Tag. Wir schlagen vor, in Zukunft vielleicht einmal zur Gedenkfeier des Deutschen Bundestages z.B. Romani Rose, einen Vertreter der aus politischen Gründen Verfolgten oder der polnischen oder russischen Zivilbevölkerung als Redner einzuladen.
Mit freundlichen Grüßen
gez. Marianne
Reiff-Hundt, Reinhard Strecker
Sprecherin und stellv. Sprecher für den Antifaschistischen Ausschuss der Internationalen Liga für Menschenrechte
(Eleonore Kujawa) Mitglied des Antifaschistischen Ausschusses
***
Grußwort an Medienrat-Institut
Die Internationale Liga für Menschenrechte im Geiste von Carl von Ossietzky begrüßt als pazifistische Organisation die Aktivitäten des medienrat-instituts anlässlich des Gedenkens an das Ende des Zweiten Weltkrieges.
Unsere Wurzeln reichen bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges. Eine kleine Gruppe deutscher Kriegsgegnerinnen und -gegner gründete 1914 den "Bund Neues Vaterland", der für Völkerverständigung und für die sofortige Beendigung des Krieges eintrat und jeden Eroberungsanspruch des kaiserlichen Deutschlands ablehnte.
1920 wurde der Publizist Carl von Ossietzky aktives Mitglied dieser Vereinigung, zu der damals Albert Einstein, Graf Arco, Kurt Eisner, Eduard Bernstein, Helmut von Gerlach, Käthe Kollwitz, Ernst Reuter, Gustav Landauer, Harry Graf Kessler, Heinrich Mann u.a. gehörten. In der Weimarer Republik war der Schwerpunkt der Aktivitäten die Sicherung der in der Reichsverfassung festgelegten demokratischen Bürgerrechte. Die intensive Zusammenarbeit mit der Zeitschrift "Die Weltbühne" wurde zum Forum für Carl von Ossietzky und die Liga für Menschenrechte für ihre Warnungen vor Faschismus, Militarismus und Kapitalismus.
Z.B. schrieb
Ossietzky 1930: "Der Kapitalismus ist nicht mehr imstande, in den Wirrwarr
dieser Notzeit Ordnung hineinzubringen. Seine Methoden sind die eines
juristisch kouvertierten Faustrechts. Er kennt keinen Gemeinsinn, keine Schonung.
Er hat heute , in seiner größten Daseinskrise, noch immer nicht die rüden
Verelendungstendenzen seiner stürmischen Flegeljahre überwunden. Wie kann man
von ihm Verständnis für die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse erwarten, wenn
er innerhalb seiner eigenen Klasse nur die Prinzipien einer schroffen und
rücksichtslosen Draufgängerei gegenüber Schwächeren gelten läßt? Wie kann man
von ihm Solidarität mit der Ganzheit des Volks erwarten, wenn er seine
Raubtiergelüste nicht ... zügeln kann? Vielleicht könnte ein aufgeklärter
Kapitalismus, der auf gefährdete Außenposten zu verzichten weiß, nochmals seine
Lebensdauer strecken. Dessen heutige Träger jedoch bemühen sich krampfhaft um
den Nachweis, dass ,aufgeklärter Kapitalismus' ein Widerspruch in sich ist, daß
die Devise noch immer lautet: „Alle gegen Alle!"
Die kritischen Publizisten der "Weltbühne" standen schon 1923 bei der politischen Polizei unter argwöhnischer Beobachtung. Ossietzky selbst wurde als Herausgeber der "Weltbühne" mehrmals zu Geldstrafen und in dem berühmten Weltbühneprozess wegen "Landesverrats" zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, weil er die geheime, durch den Versailler Vetrag verbotene Aufrüstung öffentlich machte.
Wegen seiner konsequenten, mutigen Haltung gegen den Faschismus gehörte Ossietzky zu den ersten Verhafteten nach der Nacht des Reichstagsbrandes im Februar 1933. Die Liga wurde sofort verboten, - und natürlich auch die "Weltbühne". Ossietzky kam nach der KZ-Haft nie wieder frei. Als Häftling weigerte er sich Göring gegenüber, den Friedensnobelpreis abzulehnen. 1938 starb er an den Folgen der Misshandlungen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg gründeten Mitglieder der früheren Deutschen Liga für Menschenrechte in Berlin die Internationale Liga für Menschenrechte im Geiste Carl von Ossietzkys neu. Seit 1962 verleiht die Liga jährlich zum Tag der Menschenrechte die Carl-von-Ossietzky-Medaille an Personen oder Gruppen, die sich im Kampf um die Menschenrechte besondere Verdienste erworben haben.
Die Internationale Liga für Menschenrechte ist die deutsche Sektion der 1922 in Paris gegründeten Fédération Internationale des Ligues des Droits de l'Homme (FIDH). Die FIDH hat weltweit in über fünfzig Ländern Sektionen und ist bei der UN-Menschenrechtskommission, beim Europarat und bei der UNESCO akkreditiert.
Um die
politische und gesellschaftliche Unabhängigkeit zu wahren, finanzieren wir
unsere Arbeit durch Mitgliedsbeiträge und Spenden. Die Aktivitäten werden von den
Ausschüssen, dem Vorstand und einem freiwilligen Bürodienst ehrenamtlich geleistet.
Hierfür brauchen wir engagierte Menschen.
***
Kooperationen &
Aufrufe
Treffen der Bürgerrechts-Organisationen
Jährlich treffen sich Vertreter der
Gustav-Heinemann-Initiative, der Humanistischen Union, des Komitees für
Grundrechte und Demokratie, des Republikanischen Anwältinnen und Anwältevereins,
der Aktion Courage und der Liga zu einem jährlichen Austausch. Das letzte
Treffen hat im März 2005 stattgefunden und sich u.a. mit diesen Themen
beschäftigt: UN-Kinderrechtskonvention, Änderung des Versammlungsrechts und
des § 130 StGB (Volksverhetzung), DNA-Analyse, Asylrecht (massenhafte
Asylwiderrufsverfahren sowie Einrichtung von Lagern), Antidiskriminierungsgesetz,
Biometrie in Ausweisdokumenten, Hartz IV und soziale Grundrechte.
Die am Bürgerrechtstreffen beteiligten Gruppen werden, wiebisher, auch künftig punktuell zu einzelnen Bürger- und Menschenrechtsfragen kooperieren und gemeinsame Aktionen starten.
Das
nächste Treffen 2006 wird die Liga in Berlin organisieren. Vorgesehen ist eine
grundsätzliche Diskussion über das Verhältnis von sozialen und bürgerlichen
Menschenrechten.
***
Appell gegen Exterritoriale Flüchtlingslager
Das Komitee für Grundrechte und
Demokratie hat einen Internationalen Appell gegen exterritoriale
Flüchtlingslager der EU formuliert. Darin wird eine öffentliche Inspektion der
menschenrechtswidrigen Internierungslager von Flüchtlingen und Migranten in den
Mittelmeerländern gefordert. Die Internationale Liga für Menschenrechte
unterstützt den Appell, der oben in der Rubrik EU-Europa dokumentiert wird.
Kontakt: Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.,
Aquinostraße 7-11, 50670 Köln, Tel.: 0221/ 972 69-20, Fax: -31, appell@grundrechtekomitee.de
***
Rechtshilfefonds
für Insassen im Abschiebungsgewahrsam
Auf Initiative des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes
wurde die Gründung eines Rechtshilfefonds für Insassen in Abschiebehaft in
Berlin und Brandenburg auf den Weg gebracht.
Die bisher beteiligten
Organisationen (u.a. Republikanischer Anwaltsverein, Internationale Liga für
Menschenrechte, Flüchtlingsrat Berlin) wollen gemeinsam im Interesse der
rechtlichen Vertretung der Betroffenen um Spenden werben. Auch wenn die Liga
nach wie vor für die Abschaffung der Abschiebehaft, der Inhaftierung von
Unschuldigen, eintritt, halten wir eine solche konkrete Hilfe für die
Betroffenen für sinnvoll.
Weitere Infos über den
Jesuiten-Flüchtlingsdienst, Tel.: 030/ 3260 2590, germany@jrs.net
Hier der Aufruf:
Inhaftiert – und
keine Chance auf einen Anwalt?
Warum ein Rechtshilfefonds für
Abschiebungshäftinge notwendig ist
Wer
Menschen in Abschiebungshaft betreut, muss feststellen: Noch immer werden zu
viele Menschen zu lange in Gewahrsam gehalten. Dies liegt nicht zuletzt daran,
dass sie sich ohne anwaltlichen Beistand kaum wirksam gegen Haftanträge der
Ausländerbehörde oder Beschlüsse der Gerichte wehren können.
Die Lage
Im
Abschiebungsgewahrsam Berlin-Köpenick stehen z. Zt. 214 Haftplätze zur
Verfügung, in Eisenhüttenstadt/ Brandenburg etwa 100.
Wurden
in Berlin im Jahre 2002 noch insgesamt rund 5400 Personen in Abschiebungshaft genommen, so waren es 2003
etwa 3300 und 2004 nur noch rund 2700. Gleichzeitig stieg die durchschnittliche
Verweildauer der Inhaftierten an. Sie betrug im Jahre 2002 bereits 24 Tage -
gegenüber 17 Tagen im Jahre 2001. Im Sommer 2003 wurde dem Berliner Integrationsbeauftragen
die an diesem Tag errechnete Zahl von 53 Tagen genannt. Es ist davon
auszugehen, dass die Verweildauer auf hohem Niveau konstant geblieben wenn
nicht weiter angestiegen ist. Diese Entwicklung ist vor allem dadurch zu
erklären, dass Staatsangehörige aus Ländern inhaftiert werden, deren Abschiebung
von vornherein nahezu aussichtslos erscheint. So befanden sich 2004
beispielweise 80-100 Chinesen und Pakistani in Abschiebungshaft – ihre
Haftzeiten betrugen meist 6 und mehr Monate. Mindestens vierzig Prozent aller
Inhaftierten werden in Berlin – allerdings erst nach langer Haftdauer – wieder entlassen, weil ihre Abschiebung
wegen fehlender Reisepapiere nicht durchzuführen ist.
Die
Inhaftierung ausreisepflichtiger Personen zur Sicherung ihrer Abschiebung ist
ein Eingriff in das Grundrecht auf Freiheit, der nach dem Grundgesetz nur unter
bestimmten rechtlichen Voraussetzungen zulässig ist, die im § 62 Aufenthaltsgesetz
(vorher § 57 Ausländergesetz) geregelt sind. Dabei ist das Verhältnismäßigkeitsgebot
zu beachten, nach dem – besonders mit zunehmender Haftdauer – streng abzuwägen
ist, ob die weitere Inhaftierung noch proportional zu dem Ziel der Vorbereitung
der Abschiebung steht.
Während
Untersuchungshäftlingen ab einer Haftdauer von drei Monaten ein Pflichtanwalt
zur Seite gestellt wird, gibt es eine solche Vorschrift für
Abschiebungshäftlinge nicht. Zwar besteht die Möglichkeit, einen Antrag auf
Prozesskostenhilfe zu stellen – was allerdings als Verfahren sehr langsam ist
und zur Folge hat, dass der Anwalt bereits umfangreich tätig werden müsste,
bevor seine Bezahlung geklärt ist. Ohne Anwalt aber können Inhaftierte
Haftanträge und gerichtliche Entscheidungen kaum kontrollieren, zumal für
Rechtsmittel in höheren Instanzen Anwaltszwang herrscht. Außerdem sind sie ohne
Anwalt kaum in der Lage zu überprüfen, ob die Ausländerbehörde die
Abschiebungsvorbereitungen ausreichend fördert. Gerade dies ist aber im
Hinblick auf das Verhältnismäßigkeitsgebot die zentrale Frage bei der
Entscheidung über die Haftfortdauer.
Der
Trend zu langen, zehrenden Haftzeiten kann nur gestoppt werden, wenn die Haft
im Einzelfall sowie für bestimmte Nationalitäten und Personengruppen durch
Rechtsprechung oder durch Weisung seitens der Innenverwaltung untersagt würde.
Beides setzt jedoch verstärkte anwaltliche Aktivitäten voraus.
Die Idee
Langfristig
ist eine Änderung der gesetzlichen Grundlagen anzustreben, sodass Abschiebungshaft
eine Dauer von drei Monaten nicht überschreiten darf. Mittelfristig ist
anzustreben, dass den Betroffenen ab drei Monaten Haftzeit ein Pflichtanwalt
zur Seite gestellt wird. Dies würde ebenfalls eine Änderung der gesetzlichen
Grundlagen voraussetzen. Alternativ ist auf die Einrichtung eines
länderfinanzierten Rechtshilfefonds zu drängen.
Kurzfristig
ist von Wohlfahrtsverbänden, Organisationen und kirchlichen Stellen ein
Rechtshilfefonds zu gründen, der es erlaubt, zumindest einem Teil der
Betroffenen nach bestimmten Kriterien anwaltliche Hilfe zu gewähren. Neben der
konkreten Hilfe im Einzelfall sowie der Förderung von Musterentscheidungen kann
ein solcher Fonds auch dazu beitragen, dass das Problem der fehlenden
Rechtshilfe für Abschiebungshäftlinge in Politik und Gesellschaft besser
wahrgenommen wird.
Das Modell
Die
Unterzeichner dieses Aufrufes befürworten daher die Gründung eines einen Rechtshilfefonds für Abschiebungshäftlinge in Berlin und Brandenburg
und setzen sich nach ihren und verpflichten
sich, nach ihren Möglichkeiten für eine entsprechende Spendenwerbung ein zu
werben.
Die
Verwaltung des Fonds wird dem Jesuiten-Flüchtlingsdienst übertragen. Über die
Verwendung der Mittel wird der Jesuiten-Flüchtlingsdienst regelmäßig auf
seiner Website Auskunft geben.
Eine
Finanzierung von Anwaltskosten kommt in Frage bei Langzeithäftlingen (ab einer
Haftdauer von 3 Monaten), Jugendlichen und besonders schwierigen Fällen
(Härtefällen), wenn keine Eigenmittel der Betroffenen vorhanden sind und
Aussicht auf Erfolg der beabsichtigten Rechtsmittel besteht.
Unterzeichner
Asyl in der Kirche e. V. Berlin; Erzbistum Berlin
Flüchtlingsrat Berlin e.V.;
Initiative gegen Abschiebehaft;
Internationale Liga für Menschenrechte;
Jesuiten-Flüchtlingsdienst Deutschland
Pax Christi im Erzbistum Berlin;
Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein (u.a.)
Spendenkonto
Jesuiten-Flüchtlingsdienst Stichwort „Rechtshilfe, Konto
6000401020, Pax Bank, BLZ 37060193
***
Manifest Illegalität -
für eine differenzierte und lösungsorientierte
Diskussion
Die Internationale Liga für Menschenrechte hat mit
Hunderten anderen Organisationen und Einzelpersonen dieses Manifest des
Katholischen Forums „Leben in der Illegalität“ (in Kooperation mit dem
Deutschen Caritasverband und den Maltesern) untersützt. Es ist Anfang 2005 März
öffentlich vorgestellt und im Berliner Tagesspiegel am 5.03.2005 veröffentlicht
worden. Unter www.forum-illegalitaet.de
sind die Unterzeichner einzusehen. Hier das Manifest:
Am 1. Januar 2005 ist in der
Bundesrepublik Deutschland das neue Zuwanderungsgesetz in Kraft getreten. Damit
wird nach jahrelanger Diskussion die reguläre Zuwanderung in unser Land neu
geregelt. Die irreguläre Migration, von der Deutschland wie die ganze
Europäische Union betroffen ist, bleibt hingegen ein offenes Problem.
Wir sind davon überzeugt, dass Deutschland wie
Europa insgesamt auch in absehbarer Zeit ein Ziel irregulärer Zuwanderung sein
wird, so dass eine Vielzahl ‚illegaler Aufenthaltsverhältnisse’ auch in
Zukunft ein Faktum ist, das differenzierte politische Antworten erfordert.
Gegenüber dem Phänomen
‚illegale Zuwanderung’ besteht insofern politische Einigkeit, als man den
Ursachen für Migration mit entwicklungspolitischen Instrumenten begegnen und
die international organisierte Kriminalität im Bereich von Menschenhandel -
insbesondere zu nennen ist hier der Frauenhandel - mit Nachdruck bekämpfen
will. Diese Optionen richten sich aber nur auf bestimmte Ausschnitte des
gesamten Phänomens ‚illegale Zuwanderung’, das in Deutschland nach Schätzungen
eine halbe bis eine ganze Million Menschen betrifft.
Der irreguläre Aufenthalt
einer so großen Anzahl von Menschen wirft gravierende Probleme auch für das
Selbstverständnis unseres Staates auf, denn so werden rechtlich geordnete
Verpflichtungen und Ansprüche zwischen den Bürgern unterlaufen und das
Vertrauen der Bürger in die Fähigkeit des Staates, die rechtsstaatliche Ordnung
zu garantieren, beschädigt. Dazu kommt die humanitäre Situation der Migranten
und Migrantinnen selbst, die häufig ihre Rechte nicht wahrnehmen können und
z.B. ohne elementare Gesundheitsversorgung leben.
Die bisherigen Erkenntnisse
im Umgang mit irregulärer Zuwanderung zeigen, dass ausschließlich
ordnungsrechtliche, insbesondere aufenthaltsrechtliche und polizeiliche Maßnahmen
in ihrer jetzt vorliegenden Form alleine nicht genügen, um die existierenden
Probleme ausreichend zu regeln, zumal die inländischen Nutznießer irregulärer
Aufenthaltsverhältnisse, beispielsweise im Bereich der Schattenwirtschaft sowie
Schleuser-Organisationen, davon nur in geringem Umfang getroffen werden.
Aus diesem Grund muss jeder Versuch, irreguläre
Zuwanderung im Rahmen der rechtsstaatlich vertretbaren Möglichkeiten zu
begrenzen, sich auch mit ergänzenden und alternativen Maßnahmen auseinandersetzen.
Hierbei erscheint auch eine Aufnahme und kritische Würdigung der Erfahrungen
anderer Länder wichtig. Dabei sind etwa zu berücksichtigen: praktische Fragen
im Zusammenhang mit humanitären Anforderungen wie etwa der medizinischen
Grundversorgung, dem Schutz vor Ausbeutung und Schuldknechtschaft oder der
Berücksichtigung mitbetroffener Kinder ebenso wie grundsätzlichere Überlegungen
zu den Wechselwirkungen zwischen regulärer und irregulärer Zuwanderung und den
damit verbundenen asyl- und ausländerrechtlichen sowie zuwanderungspolitischen
Gestaltungsoptionen.
Aus diesen Gründen wollen wir
einen öffentlichen Diskurs in Deutschland anregen, der der Lage in Deutschland
und den betroffenen Personen mit ihren unterschiedlichen Motiven, Zwängen und Lebenslagen
gerecht wird und differenzierte Lösungen anstrebt. Die Unterzeichnenden
erachten den Zeitpunkt als gekommen, sich auch in Deutschland öffentlich und
gesamtgesellschaftlich vermehrt mit dem Thema der irregulären Zuwanderung und
dem irregulären Aufenthalt zu beschäftigen, um angemessenere Umgangsformen mit
den hier vorliegenden Problemen zu finden.
***
Die Internationale Liga für Menschenrechte unterstützt die Strafanzeige gegen US-Verteidigungsminister Rumsfeld in Deutschland, die der Berliner RA Kaleck im Herbst 2004 für das Center for Constitutional Rights im Namen mehrerer Folteropfer bei der Bundesanwaltschaft gestellt hatte.
ABU
GHRAIB
Friedensforscher fordern Ermittlungen von Nehm
Frankfurt
a. M. · 25. April · eff · Bei ihren Bemühungen um ein Strafverfahren gegen
US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld in Deutschland erhalten die Kläger
Unterstützung durch ein Rechtsgutachten der Hessischen Stiftung Friedens- und
Konfliktforschung (HSFK). Der Frankfurter Jura-Professor Michael Bothe sowie
sein Kollege Andreas Fischer-Lescano vertreten darin die Auffassung, dass die
Bundesanwaltschaft in Karlsruhe gesetzlich verpflichtet ist, Ermittlungen gegen
Rumsfeld wegen des Folterskandals im irakischen Gefängnis Abu Ghraib aufzunehmen.
"Eine
Reihe völkerrechtlicher Verträge begründet die Pflicht eines jeden
Vertragsstaates, bestimmte Verletzungen dieser Verträge strafrechtlich zu
verfolgen", heißt es in der Expertise, die der FR vorliegt. Das gelte insbesondere
für schwere Verletzungen der Genfer Abkommen zum Schutz der Opfer bewaffneter
Konflikte. Die US-Menschenrechtsorganisation Center for Constitutional Rights
und der Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck hatten das Gutachten in Auftrag
gegeben, um ihre Position vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe zu stärken. Dort
läuft ein Klageerzwingungsverfahren gegen die Bundesanwaltschaft.
Anzeige von Folteropfern
Im
Namen mehrerer Folteropfer hatten Kaleck und das Center for Constitutional
Rights im Herbst 2004 Strafanzeige gegen Rumsfeld gestellt. Im Februar lehnte
Generalbundesanwalt Kay Nehm Ermittlungen ab, weil die USA für diesen Fall
zuständig seien. Das HSFK befindet
dagegen,
Deutschland sei nur dann nicht zuständig, wenn "ein anderer Staat den
fraglichen Täter wirklich effektiv verfolgt". Das Weltrechtsprinzip,
wonach jedes Land bei bestimmten Verbrechen die Pflicht habe, gegen die Täter
zu ermitteln, gelte, sobald ein begründeter Verdacht besteht, dass der
eigentlich zuständige Staat "seine Strafzuständigkeit nicht oder nicht
wirksam ausübt". Die Kläger streben nun eine Normenkontrollklage vor dem
Bundesverfassungsgericht an.
Frankfurter Rundschau online 26.04.2005
***
Grundrechte-Report -
Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte
in Deutschland
Am 23. Mai erschient der „Grundrechte-Report
2005“ im Fischer-Verlag, Frankfurt/M. Diese
jährlich erscheinende Buchpublikation wird von renommierten
Bürgerrechtsorganisationen (Humanistische Union, Gustav-Heinemann-Initiative,
Komitee für Grundrechte und Demokratie, Bundesarbeitskreis Kritischer
Juragruppen, Pro Asyl, Republikanischer Anwältinnen- und Anwaltsverein,
Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen) herausgegeben. Inzwischen
gehört auch die Internationale Liga für Menschenrechte zum Herausgeberkreis und
ist in der Redaktion vertreten. Der Report ist erstmals 1997 erschienen. Er
enthält Beiträge über problematische Entwicklungen im Bereich der Bürger- und
Menschenrechte in der Bundesrepublik. Er spiegelt ein breites Spektrum der
deutschen Bürgerrechtsbewegung wider und gibt einen guten Überblick über die
„Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland“. Der Report kann auch
bezogen werden über das Liga-Büro (s. Impressum).
Reaktionen/Leserbriefe
Betr.:
Carl-von-Ossietzky-Medaillen-Träger 2004
Mail
vom 21. November 2004 an die Liga
Lieber
Rolf, Du erinnerst Dich an unsere Maildiskussion zu Antikommunismus und
DDR-Geschichte usw. anhand Deines Buches zu den Opfern des Kalten Krieges im
Westen? Die Darstellung der Geschichte der westdeutschen VVN im Zusammenhang
mit der Preisverleihung ist historisch falsch und einseitig. Schade. Ich finde
es ehrlich gesagt besonders problematisch als Liga für Menschenrechte eine so
einseitige und - ich unterstelle das mal - ideologische Sichtweise zu haben.
Tragisch ist doch gerade, dass die in der NS-Zeit und später in der BRD politisch
Verfolgten sich selber an der politischen Verfolgung (vermeintlich) Andersdenkender
beteiligten - dass z.B. kommunistische NS-Opfer, die in der Zeit stalinistischer
Säuberungen in der SED und der KPD Anfang der 50er Jahre aus irgendwelchen
Gründen aus der SED oder KPD ausgeschlossen wurden, danach auch von der VVN
ausgeschlossen wurden, man ihnen also quasi die Verfolgteneigenschaft aberkannt
hat, abgesehen davon, dass man sowieso nie alle Verfolgten anerkannte... Naja,
es gäbe viele Beispiele, und inzwischen doch auch die Möglichkeit, diese ganzen
Sachen zur Kenntnis zu nehmen... es sei denn, man ist auf dem einen, dem
linken, Auge blind... Wie gesagt, schade... Entschuldige die Polemik, aber es hat
mich echt geärgert.
Trotzdem viele Grüße Carmen Lange
***
Liebe
Carmen, danke für Deine Intervention. Ich kenne die Problematik - spätestens
von unserer letzten Mail-Korrespondenz. Ich sehe die wunden Punkte, die Du anführst,
aber ich kann den Grad Deiner Verärgerung nicht so recht nachvollziehen. Schon
gar nicht, wenn ich Deinen Ärger auf den Anlass beziehe - nämlich den Satz in
der Liga-Pressemitteilung vom 26.10.2004, in der lediglich gesagt wird, dass
drei der diesjährigen Medaillenträger "Mitglieder und Repräsentanten der
'Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes' (VVN)“ seien. Weiter heißt es
wörtlich: „Ihre Organisation war 1947 von Überlebenden des NS-Terrorregimes als
überparteiliche Vereinigung von Verfolgten und Antifaschisten gegründet worden.
Von den 50er Jahren an bis heute wird die VVN vom Verfassungsschutz
geheimdienstlich überwacht. Viele ihrer Mitglieder wurden von Entschädigungszahlungen
für erlittene Verfolgung ausgeschlossen, zwei Jahrzehnte lang kriminalisiert
und später auch mit Berufsverboten belegt."
All
das stimmt - was also ist ideologisch oder gar historisch falsch. Ich denke,
eine kritische Auseinandersetzung mit der VVN und ihrer Politik, die notwendig
ist, musste nicht in dieser Pressemitteilung erfolgen. In meiner Rede während
der Medaillen-Verleihung habe ich das Problem angesprochen.
Viele
Grüße Rolf Gössner
***
8.
Januar 2005
Lieber
Rolf, da sind wir sicher unterschiedlicher Meinung. Der entsprechende
Ausschnitt aus Deiner Rede würde mich natürlich sehr interessieren. Auf Eurer
Website habe ich keine kritischen Anmerkungen gefunden, oder habe ich da etwas
übersehen? Auch in der Presseresonanz sind mir kritische Töne oder auch nur
Achteltöne nicht aufgefallen. Ich habe meine Kritik vielleicht ein bisschen
zugespitzt formuliert, das hängt mit Eurem Namen und meiner Vorstellung eines
Konzeptes der Menschenrechte zusammen. Die Orientierung an Menschenrechten bedeutet
für mich eben gerade, dass jeder Mensch die gleichen Rechte hat, dass jeder
Verstoß gegen die Menschenrechte genauso zu kritisieren, jedes Verbrechen genauso
zu bekämpfen ist, unabhängig davon, welche Farbe die Fahne hat, die am Lagertor
weht. Und dafür steht die VVN leider gerade nicht. Dass ihre Verfolgung durch
die bundesdeutschen Staatsorgane in vielen Bereichen gegen demokratische
Spielregeln verstieß und selbst ein Verstoß gegen die Menschenrechte war, ist
(von mir) unbestritten, dass adelt sie aber noch nicht als Kämpfer für
Menschenrechte bzw. für eine Politik der Menschenrechtsorientierung.
Soweit
und freundliche Grüße C.L.
Liebe
Carmen, jetzt merke ich gerade an Deiner Mail, dass hier ein Missverständnis
vorliegt. Du argumentierst so, als hätte die Liga die VVN für ihre Geschichte
und Arbeit mit der CvO-Medaille ausgezeichnet. Doch das Kuratorium, in dem auch
Menschen sitzen, die nicht der Liga angehören, hat nicht die VVN, sondern drei
Einzelpersonen mit ihren Schicksalen und wegen ihres antifaschistischen
Engagements ausgewählt (dass sie auch VVN-Mitglieder oder -Repräsentanten sind,
haben wir erwähnt und dabei auch die VVN-Überwachung durch den Verfassungsschutz).
Meinst Du, dass Personen, die sich mit der VVN einlassen, ungeachtet ihrer
Leistungen nicht auszeichnungswürdig seien?
Ich hoffe nicht...
Beste
Grüße R.G.
9.02.2005
Lieber
Rolf, ... Natürlich bin ich nicht der Meinung, dass Personen, die mit der VVN
zusammenarbeiten oder für sie, nicht auszeichnungswürdig sind. Allerdings bin
ich der Meinung, dass, wenn man die Verfolgung der VVN durch den westdeutschen
Staatsschutz behandelt, das Bild schief wird, wenn man nichts zur Verfolgung missliebiger NS-Verfolgter in der DDR
sagt. In der historischen Situation und der politischen Auseinadersetzung ist
eins ohne das andere nicht zu erklären. ich möchte mir ohne ideologische
Scheuklappen angucken, was abgelaufen ist. Was ja nicht heißt, irgend etwas,
was der bundesdeutsche Verfassungsschutz - lange Zeit Nazi-verseucht - zu
verantworten hat, zu rechtfertigen.
Erst mal viel Grüße
C. L.
Termine – Veranstaltungen
Jeden letzten
Donnerstag im Monat findet jeweils um 19 Uhr im Haus der Demokratie u. Menschenrechte
Berlin, Robert-Havemann-Saal, Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin, eine
„Republikanische
Vesper“
statt –
mit Wein/Wasser/Käse/Brot.
Veranstalter:
„Ossietzky“
, Internationale Liga für Menschenrechte, Humanistische Union
Am
Donnerstag, 26. Mai 2005, 19 Uhr
zum Thema:
„Privatisierung der Knäste“
Die
Privatisierungswelle macht auch vor Kernbereichen staatlicher Souveränität
nicht halt. Ein Beispiel ist die in Deutschland und anderen Staaten der
Europäischen Union mit Unterstützung aus Brüssel betriebene Privatisierung der
Haftanstalten. Wenn der Strafvollzug zum Geschäft wird – wie verträgt sich das
mit dem gesetzlichen Resozialisierungsgebot? Was sagen die US-amerikanischen
Erfahrungen? Wir wollen uns über den
Stand der Bestrebungen in Deutschland informieren und mit Experten über
die absehbaren Folgen einer Privatisierung für die Insassen der Haftanstalten,
für das Personal und für die gesamte Gesellschaft diskutieren.
Sehenswerte
Ausstellungen:
1. Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Stauffenbergstraße 13-14, 10785 Berlin-Mitte:
“Warschau
– Hauptstadt der Freiheit“ - Der
Warschauer Aufstand - August bis Oktober 1944
4.10.2004 bis 30. Juni 2005. Eintritt frei.
***
"Größte Härte..." - Verbrechen
der Wehrmacht in Polen
September / Oktober 1939
Diese Ausstellung des Büros der
Öffentlichen Erziehung des Instituts des Nationalen Gedenkens - Kommission zur
Verfolgung von Verbrechen gegen die polnische Nation und des Deutschen
Historischen Instituts Warschau ist vom
7.04. bis zum 30.06.2005 in den Räumlichkeiten der Gedenkstätte
Deutscher Widerstand zu sehen. Öffnungszeiten: Mo - Mi + Fr: 9 - 18 Uhr; Do: 9
- 20 Uhr, Sa und So: 10 - 18 Uhr .
2. Im Deutschen Historischen Museum, Unter den Linden 2, Berlin:
1945 – der Krieg und seine Folgen Kriegsende und Erinnerungspolitik in Deutschland (bis 28.8.05)
Legalisierter Raub – Der Fiskus und die Ausplünderung der Juden in Hessen und Berlin 1933 – 45 (12.5. - 21.8.05)
***
3. Zitadelle Spandau, Am Juliusturm, Stiftung Topographie des Terrors
Berlin 1945 – Eine Dokumentation (4.5. bis 2.10.05)
***
4. Museum Berlin – Karlshorst, Lichtenberg, Zwieseler Straße 4
Triumph und Trauma – Sowjetische und postsowjetische Erinnerung an den Krieg 1941 – 45 (5.5. bis 28.8.05)
***
5.) Kronprinzenpalais, gegenüber vom Deutschen Historischen Museum
Albert Einstein – Ingenieur des Universums (16.5. bis 30.9)
Albert Einstein war vor 1933 aktives Mitglied der deutschen Liga für Menschenrechte.
Veranstaltungen
31.05.2005, 18.00 - 20.00 Uhr: Misshandlungsvorwüre
gegen die Polizei in Deutschland. Vortragsreihe des Behandlungszentrums
für Folteropfer und des Deutschen Instituts für Menschenrechte,
Ort: Deutsches Institut für Menschenrechte,
Zimmerstraße 26-27, 10969 Berlin, Tel.: 030/ 25 93 59-0, www.institut-fuer-menschenrechte.de
03.06. -
05.06.2005: 5. Bundesweites Vernetzungstreffen von Abschiebehaftgruppen und –initiativen,
Ort: im Liborianum, An den Kapuzinern 5 –7, 33098 Paderborn. vernetzung@gegenabschiebehaft.de
***
Auswirkungen
des Kolonialismus heute
Die Folgen einer verleugneten Geschichte
Eine pan-afrikanische Perspektive
Vor hundertzwanzig Jahren endete die „Berliner
Afrika-Konferenz“, zu der der damalige deutsche Reichskanzler Bismarck
eingeladen hatte. Mit der Ausrichtung dieser Konferenz wurde Deutschland im
Kreis der Kolonialmächte anerkannt. Bei diesem Schlüsselereignis teilten sich
die europäischen Staaten, mit Beteiligung der USA und dem Osmanischen Reich,
den Kontinent Afrika wie einen Kuchen auf, um ihre gegenseitigen Interessen
abzugrenzen. Innerafrikanische Gegebenheiten wurden bei diesem kollektiven Raubzug
rücksichtslos missachtet.
Die in Berlin vereinbarten Expansionsstrategien
wurden bis in die Gegenwart zunehmend perfektioniert und ideologisch mit rassistischen
Theorien untermauert und militärisch abgesichert. Erbe dieses völkerrechtswidrigen
Aktes sind zahlreiche ethnische und militärische Konflikte auch in jüngster
Zeit, Destabilisierung, zunehmende wirtschaftliche Abhängigkeiten und soziale Ungleichheiten,
aber auch fortgesetzte Zerstörung und Ausbeutung, fortgesetzte Menschenrechtsverletzungen
und die Fortsetzung von Rassismus, wenn auch mit anderem Gesicht.
Nach wie vor wird die koloniale Vergangenheit
Deutschlands und seine Auswirkungen weder im Bildungssektor noch in der Politik
zur Kenntnis genommen. Diese Tagung will einen Beitrag zur Aufarbeitung der
kolonialen Vergangenheit Deutschlands leisten und die Konsequenzen des
Kolonialismus und Kolonialrassismus für den Nationalsozialismus und für die
heutige Situation in Afrika aufzeigen, insbesondere den Regionen der ehemals
deutschen Kolonien. Sie will auch eine kritische Auseinandersetzung darüber
anregen, wie die heutige Situation in Afrika und in Deutschland (Rassismus,
Handelstrukturen u.a.) einschließlich der afrikanischen Diaspora mit der kolonialen
Vergangenheit verknüpft ist. Gleichzeitig möchte sie in diesem Rahmen auch den
Spuren der Kolonialgeschichte in Berlin nachgehen.
Datum: Samstag,
4.6..2005
Tagungsort: Heinrich-Böll-Stiftung
(auf der Galerie), Rosenthaler Str. 40/41 (Hackesche Höfe); 10178 Berlin,
U-Bahn: Hackescher Markt
Veranstalter:
Bildungswerk Berlin der
Heinrich-Böll-Stiftung, Kottbusser Damm 72, 10967 Berlin.
In Kooperation mit: Global Afrikan
Congress, Internationale Liga für Menschenrechte
Anmeldung unter: yonas.endrias@ilmr.de
oder jgum@gmx.net oder
Tel.: 030-23 18 62 66
Tagungsablauf 9:30 Uhr bis 18 Uhr
Gedenken
an die Opfer des Kolonialismus und Rassismus: Yonas Endrias, Judy Gummich
Berliner Afrika-Konferenz - Deutschland als Kolonialmacht: Prof. Dr. Bonny Duala-M’bedy
Die
Völkermordpolitik Deutschlands in Süd- und Ostafrika: Yonas Endrias,
Dipl.-Politologe
Vom Genozid an Nicht-Weißen
zum Genozid an Nicht-Ariern - Zusammenhänge zwischen dem Kolonialrassismus und
dem Rassismus der Nazis
Rosa Amelia Plumelle-Uribe
Don’t
call me „Neger“ – Das N-Wort, Trauma und Rassismus: Dr. Grada Kilomba
Der Kampf der AfrikanerInnen um Reparationen und
die Bedeutung der Weltkonferenz gegen Rassismus 2001: Judy Gummich
***
20.06. –
21.06.2005: Fünftes Berliner Symposium zum Flüchtlingsschutz. Menschenrechte
und internationaler Schutz - Die Bedeutung der Menschenrechte für den Schutz
von Flüchtlingen (Aus Anlass des Weltflüchtlingstages am 20. Juni 2005).
Ort: Französische Friedrichstadtkirche, Berlin-Mitte; Veranstalter: UNHCR
Berlin und Evangelische Akademie zu Berlin, vorläufiges Programm unter: www.unhcr.de/index.php/aid/1192/cat/18,sympos@unhcr.ch
***
Veranstaltungen
mit Rolf Gössner
Mai
2005
8. Mai
2005, ab 14 Uhr in Berlin: Kundgebung zum Tag der Befreiung am Russischen
Ehrenmal.
Juni
2005
02.06., 13
h Altenholz/SchlHolstein: Versammlungsfreiheit und ihre Gefährdungen, Fachhochschule
für Verwaltung, Fachbereich Polizei.
13.06., 20
h Düsseldorf: „Mit V-Leuten, Partei- und Demoverboten gegen Rechts?“ Ort: ZAKK;
VDJ.
17.06.,
10.30 h Groningen/Niederlande: „Antiterror-Politik in Deutschland und Holland“,
Veranstalter: Landgerichte Oldenburg und Groningen
Juli
2005
04.07., 18
h Saarbrücken: Migranten unter Generalverdacht, Haus der Stiftung Demokratie
Saarland
05.07., 20
h Karlsruhe: "Anti-Terror"-Kampf auf Kosten der Bürgerrechte, Forum
Ludwig Marum
11.07., 18.30 h Braunschweig: Antiterror-Kampf auf
Kosten der Bürgerrechte? Technische Universität
Literaturhinweise
Dokumentationen zur Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2003 an die BI „Freie Heide“ und Dr. Gerit von Leitner sowie 2004 an Percy MacLean, Esther Bejarano, Peter Gingold und Martin Löwenberg sind über das Liga-Büro zu erhalten - mit den Eröffnungsreden, den Laudationes und Dankesreden. Zu beziehen über das Liga-Büro (ab Dezember).
Bürger-/Menschenrechte
Grundrechte-Report
2005. Zur Lage der Bürger- und Menschenrechte in Deutschland, Fischer-Verlag,
Frankurt/M. 2005
Dieckmann, Guantanàmo, 160 S., 16 €
Haug,
Angriff auf die Freiheit. Die Anschläge am 11. September und die „Neue
Weltordnung“, 130 S., 12 €
Überwachungsgesellschaft/-staat
Ström,
Die Überwachungsmafia. Das gute Geschäft mit unseren Daten, Hanser-Verlag,
München 2005
Roggan
(Hg.), Lauschen im Rechtsstaat – Zu den Konsequenzen des Urteils des
Bundesverfassungsgericht zum großen Lauschangriff, Gedächtnisschrift füt Hans
Lisken, BWV-Berlin 2004
Komitee
für Grundrechte und Demokratie (Hrsg), Jahrbuch 2003/2004: Armut, Kapitalismus
und Menschenrechte, Köln 2004 (ISBN: 3-88906-111-7)
Antidiskriminierung
Schutz vor Diskriminierung ist Menschenrecht!
(Infoblatt; Hrsg.: PRO ASYL, Interkultureller Rat in Deutschland; Frankfurt
Main, März 2005, Tel.: 069/ 23 06 88, Fax: -50, (www.proasyl.de)
Zuwanderungsgesetz
Hubert
Heinhold/Georg Classen: Das Zuwanderungsgesetz - Hinweise für die
Flüchtlingssozialarbeit; Einführung in die Neuregelungen des Aufenthaltsgesetzes,
des Asylverfahrensgesetzes und des Sozialrechtes („Hartz IV“), Hrsg.:
Informationsverbund Asyl/ ZDWF e.V., ISBN 3-934004-08-3, 148 Seiten, 9,50 Euro
geb. Bezug bei: IBIS-Interkulturelle Arbeitsstelle, Alexanderstr. 48, 26121 Oldenburg,
Fax 0441-984 96 06, ibisev.ol@t-online.de,
www.ibis-ev.de
Das Zuwanderungsgesetz – Überblick über die wichtigsten
Neuregelungen; Hrsg.: PRO ASYL, Postfach 160624, 60069 Frankfurt/Main, August
2004, Fax: 069/ 23 06 50, proasyl@proasyl.de
Verordnung zur Durchführung des Zuwanderungsgesetzes
(Bundesrat, Drucksache 731/04, 24.09.2004)
Migration/Asyl
Migrantinnen
und Migranten ohne legalen Aufenthaltstatus, Dokumentation einer Fachtagung,
Hrsg.: Deutsches Rotes Kreuz, Generalsekretariat, Migration und Integration,
Carstennstrasse 58, 12205 Berlin, Sept.04.
Irakische
Staatsangehörige sind nach UN-HCR-Stellungnahmen vom 05.10. und 12.11.2004)
weiterhin schutzbedürftig. Dies hindert manche Ausländerbehörde nicht, den
Ausreisedruck zu erhöhen. Zunehmend kommt es zu Asylwiderrufen.
Widerstand gegen
Nazi-Diktatur
Karl Heinz Roth, Angelika
Ebbinghaus (Hrsg.),
Rote Kapellen – Kreisauer Kreise –
Schwarze Kapellen, VSA–Verlag 2004
Das Buch bietet neue Sichtweisen auf den
Widerstand gegen die Nazi–Diktatur, insbesondere auf die deutsche Militärkaste
und den Widerstand von Militärs, aber auch den Widerstand von unten.
Weiterführendes
AStA
FH Münster (Hg.), Alle reden vom Wetter. Wir nicht. Beiträge zur Förderung der
kritischen Vernunft, Westfälisches Dampfboot, Münster 2005
Veröffentlichungen/Interviews von Rolf Gössner (Auswahl seit November 2004)
Europäisches
Parlament wehrt sich gegen Fluggastdaten-Transfer an US-Sicherheitsbehörden,
in: NEUE KRIMINALPOLITIK 4/2004, S. 130.
Anti-Terror
der EU – zwei Beispiele, in: OSSIETZKY 24/2004, S. 847 f.
Kuhhandel auf Kosten von Regimekritikern. EU-Terrorliste: Manche
anerkannte Asylberechtigte müssen fürchten, nun doch abgeschoben zu werden, in:
FREITAG vom 26.11.2004, S. 6.
Im Schutz der Anonymität: LKA Niedersachsen fördert Denunziation, in: BÜRGERRECHTE & POLIZEI 3/2004, S. 77 ff.
Das
Menschenrecht auf Entwicklung. Rezension (O. Neß), in: GEWERKSCHAFTLICHE
MONATSHEFTE 11-12/2005, S. 969 ff.
„Zeichen gegen Antisemitismus,
Islamfeindlichkeit und rechte Gewalt“. Ein Gespräch mit R. Gössner, in: JUNGE
WELT v. 10.12.04.
Über die
Unwürdigkeit. Früher wie heute: Nicht die Nazis, nur ihre Gegner haben in der
BRD etwas zu befürchten. Das nennt man dann „Versammlungsstörung“. Auszüge aus
der Rede von R. Gössner anlässlich der Carl-von-Ossietzky-Medaillenverleihung
2004, in: JUNGE WELT 15.12.04
Anschlagsrelevante
Texte? Wie der Verfassungsschutz kritische Kommentare zu geistiger Brandstiftung
erklärt, in: GRUNDRECHTE-REPORT 2005, Fischer-Verlag, Frankfurt/M. 2005
Aufstand der „Unanständigen“? Oder:
Zivilcourage gegen Nazis strafbar, in: GRUNDRECHTE-REPORT 2005, Fischer-Verlag,
Frankfurt/M. 2005
Lizenz zum Rettungsfoltern, in:
OSSIETZKY 1/05
jW-Dokumentation: „Weiße Folter“ bis
zum Tod. Bericht einer Delegation zur Lage der Menschenrechte in der Türkei,
in: JUNGE WELT v. 21.3.05
Ahues/Gössner/Paech/Schneider-Sonnemann,
Immer noch viele Fälle von Folter. Internationale Menschenrechtsdelegation bereist
Türkei, in: DER SCHLEPPER Nr. 31/Frühj. 2005, S. 29 f.
Dunkles Kapitel der Geschichte. Rolf
Gössner über die Opfer der politischen Justiz in der Alt-BRD, in: ANTIFA –
Magazin für antifaschistische Politik und Kultur, Febr./März 2005, S.16 f.
Eröffnungsrede zur Verleihung der
Carl-von-Ossietzky-Medaille 2004, ANSPRÜCHE 1-2/05, S. 42 ff.
Überwachung ohne Grenzen. Zur
Entwicklung eines Gesamteuropäischen Sicherheitssystems, in: AStA FH Münster
(Hg.), Alle reden vom Wetter. Wir nicht. Beiträge zur Förderung der kritischen
Vernunft, Westfälisches Dampfboot, Münster 2005, S. 176 ff.
Hinweis
Besuchen Sie unsere Liga-Website
Impressum
Liga-Report - Informationsbrief der Internationalen Liga für
Menschenrechte,
Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin, Tel. 030 – 396 21 22; Fax
030 – 396 21 47; Mail: vorstand@ilmr.org; Internet: www.ilmr.de Redaktion 1/2005: Dr. Rolf Gössner, Kilian Stein. Mitarbeit:
Marco Benzi, Yonas Endrias, Lore Kujawa, Marinanne Reiff-Hundt, Elke
Zwinge-Makamizile. ViSdP: Kilian Stein.
Spenden bitte an: Bank für Sozialwirtschaft,
Konto 33 17 100; BLZ 100 205 00
BEFREIUNGSmaniFESTation
„Bündnis 8. Mai 2005 – 60. Jahrestag
der Befreiung vom Faschismus“
am Sowjetischen
Ehrenmal, Straße des 17. Juni
Kundgebungsbeitrag am 8.
Mai 2005 in Berlin
Von Rolf Gössner
Der
8. Mai 1945 ist einer der bedeutendsten Tage der Weltgeschichte – wahlweise
apostrophiert als Tag der Kapitulation, der Niederlage, des Zusammenbruchs oder
Untergangs. Doch für uns ist und bleibt der 8. Mai der Tag der Befreiung vom
Faschismus. Heute am 60. Jahrestag gedenken wir der Millionen Opfer der
Nazi-Herrschaft. Wir gedenken der Partisanen und Widerstandskämpfer in den
okkupierten Ländern und in Deutschland. Und wir gedenken der Befreiung und
aller Befreier in der Anti-Hitler-Koalition – hier am sowjetischen Ehrenmal
ganz besonders der Millionen Frauen und Männer der damaligen Sowjetunion, die
die Hauptlast des Krieges, die Hauptlast der Niederschlagung des Faschismus zu
tragen hatten und unermessliche Opfer erbringen mussten.
Und
wir besinnen uns heute in besonderem Maße der Lehren und Konsequenzen, die aus
dieser deutschen Vergangenheit für alle Zukunft zu ziehen sind: „Nie wieder
Faschismus, nie wieder Krieg“. Am heutigen Tag ist zwar viel von historischer
Verantwortung und Verpflichtung die Rede; doch diese ist vielfach zu einer
verlogenen Bewältigungs-Rhetorik verkommen, wie wir sie in vielen Sonntagsreden
bis zum Überdruss zu hören kriegen – allzu oft gerade von jenen, die im Zuge
einer Politik der Entsolidarisierung, der Entrechtung und Entwürdigung großer
Teile der Bevölkerung längst schon historischen „Ballast“ abgeworfen haben.
Lassen
Sie mich an ein besonders dunkles Kapitel bundesdeutscher Geschichte erinnern,
das bis heute ein Tabu-Thema geblieben ist: Dieses Kapitel spielt in den 50er
und 60 Jahren und handelt von politischer Verfolgung großen Ausmaßes – gerichtet
nicht etwa gegen Alt- und Neonazis, sondern gegen über 200.000 Antifaschisten,
Kommunisten, und andere Linke, und zwar wegen gewaltfreier Oppositionsarbeit:
Da reichte es schon aus, gegen die Remilitarisierung des Landes zu kämpfen, um
hinter Gittern zu landen. Die Verfolger in Polizei und Justiz waren nicht
selten die alten Nazi-Täter, die systematisch wieder in den Staatsdienst
eingegliedert worden sind. Und auch die Opfer blieben die gleichen: nämlich
Menschen, die am Widerstand gegen den Faschismus beteiligt und in der NS-Zeit
mit äußerster Härte verfolgt worden waren.
Trotz der Ungerechtigkeiten, die diese Menschen auch auf dem Boden der „freiheitlich demokratischen Grundordnung“ erleben mussten: Die Betroffenen wurden bis heute nicht rehabilitiert. Vielen kommunistischen NS-Opfern sind auch noch sämtliche Wiedergutmachungsansprüche verweigert worden – wegen politischer „Unwürdigkeit“. Angesichts dieses Skandals fordern wir hier und heute: Nicht allein die Stasi-Geschichte der DDR ist es wert, aufgearbeitet zu werden, auch die dunklen Flecken der westdeutschen Staatsschutz-Geschichte müssen endlich der Verdrängung entzogen, die vergessenen Justizopfer des kalten Krieges schnellstens rehabilitiert und entschädigt werden.
2. Auch heute noch werden Antifaschisten diskriminiert und mit Strafe bedroht: So hat erst kürzlich in Baden-Württemberg ein Lehramtskandidat Berufsverbot erhalten, nur weil er sich in einer antifaschistischen Initiative engagiert. Und in München ist ein 78jähriger Antifaschist und ehemaliger KZ-Häftling verurteilt worden, weil er dazu aufgerufen hatte, sich einem Aufmarsch von Alt- und Neonazis entgegen zu stellen.
Tatsächlich
mehren sich Anklagen gegen Menschen, die zu Anti-Nazi-Protesten aufriefen oder
sich den Nazis in den Weg stellten. Mit dieser Kriminalisierung wird die
allseits geforderte zivilgesellschaftliche Auseinandersetzung von Staats wegen
behindert – obwohl gerade antifaschistische Bündnisse, die sich vor Ort engagieren,
ein wesentlicher Bestandteil der politischen Kultur in diesem Lande sind. Ohne
den massiven Protest gegen den NPD-Aufmarsch hier in Berlin, gegen die nationalistische
Umdeutung der Geschichte, wäre die offizielle 8.-Mai-Feier kaum der Reden wert,
blieben ohne praktische Konsequenz. Trotz aller Strafandrohung rufen wir deshalb
weiterhin dazu auf: Stellt Euch den Neonazis in den Weg, wo immer Ihr sie
trefft!
Seit
1990, dem Jahr der deutschen Vereinigung, sind mehr als 100 Menschen von
Neonazis und anderen fremdenfeindlich eingestellten Tätern erschlagen,
erstochen, aus fahrenden Zügen geworfen, zu Tode gehetzt oder verbrannt worden.
Und die Terrorangriffe gegen Asylbewerber und Migranten, gegen Obdachlose und
Behinderte, gegen Juden und Linke gehen weiter.
3. Eine
wichtige Konsequenz aus den leidvollen Menschheitserfahrungen mit zwei
verheerenden Weltkriegen ist die Allgemeine Menschenrechtserklärung – genauso
wie die Charta der Vereinten Nationen, die zur Wahrung des Weltfriedens auf das
Prinzip der Gewaltfreiheit setzt. Doch seit den Terroranschlägen vom 11.09.2001
kommen Menschenrechte mehr und mehr unter die Räder, werden aggressive
„Anti-Terror“-Kriege geführt, die im Namen der Sicherheit letztlich globale
Unsicherheit produzieren. Deutschland hat der Devise „Nie wieder Krieg!“ längst
schon abgeschworen und sich selbst an völkerrechtswidrigen Angriffskriegen
beteiligt. Auch Europa rüstet für weltweite Kriseneinsätze zur militärischen
Sicherung von Wirtschaftsinteressen. Mit der geplanten EU-Verfassung sollen
die Mitgliedstaaten sogar zu Aufrüstung und globaler Kriegsbereitschaft ihrer
Armeen verpflichtet werden – Aufrüstung als Verfassungsziel, ein einzigartiger
Vorgang in der europäischen Verfassungsgeschichte, ein Subventionsversprechen
an die Rüstungsindustrie. In wenigen Tagen soll im Bundestag dieser
Verfassungsvertrag ratifiziert werden – ohne Beteilungschance für die
Bevölkerung. Eine „Friedensmacht Europa“ ist mit dieser Verfassung nicht in
Sicht, stattdessen ein neuer Weltpolizist. Deshalb sagen wir „Nein zu diesem
EU-Verfassungsvertrag“ – aber andererseits auch ein klares Ja zu einem demokratischen,
sozialen und friedlichen Europa.
4.
Der sogenannte Antiterrorkampf hat sich als ein enormes Umgestaltungs- und Umwertungsprogramm
herausgestellt: Wir sind Zeugen einer Demontage hergebrachter Standards des
Völkerrechts und der Bürgerrechte – zivilisatorischer Errungenschaften, die
über Jahrhunderte mühsam, unter schweren Opfern erkämpft worden sind, Lehren
und Konsequenzen, die nicht zuletzt aus den schlimmen Erfahrungen mit
Faschismus und Krieg resultieren.
Zu
den Lehren gehört ein humaner Umgang mit Asylsuchenden, die politischer
Verfolgung entfliehen konnten. Doch längst ist das Asylgrundrecht zur
Unkenntlichkeit demontiert worden, längst werden Migranten per Antiterrorgesetz
unter Generalverdacht gestellt und einem rigiden Überwachungsregime
unterworfen. Sie sind die eigentlichen Verlierer des staatlichen Antiterrorkampfes.
Mit
den Antiterror-Paketen eines Otto Schily ist der präventiv-autoritäre
Sicherheits- und Überwachungsstaat in greifbare Nähe gerückt. Selbst die
neoliberale FDP will das neuerdings erkannt haben. Doch was hat wohl ein
Westerwelle aus der Geschichte gelernt, wenn er die Gewerkschaften allen Einflusses
berauben will? Und was die famosen Kapitalismuskritiker der SPD, die zwar
besonders krasse Erscheinungsformen des Kapitalismus beklagen, aber die
strukturellen Ursachen von Arbeitslosigkeit und sozialer Ungleichheit
ignorieren? Und wie glaubwürdig ist eine Partei, die internationale Investoren
als asoziale Heuschrecken bezeichnet – ihrerseits aber rigorosen Sozialabbau
betreibt?
Dieses
Land braucht dringend eine starke außerparlamentarische Opposition und
widerständige Menschen, die die demokratischen Lehren aus Krieg und Faschismus
der Verdrängung entreißen, die Bürger- und Menschenrechte neu erkämpfen, die Neonazismus
und Rassismus konsequent bekämpfen und sich allen Kriegen widersetzen. Die Internationale
Liga für Menschenrechte lädt Sie herzlich dazu ein – frei nach dem Motto
von Erich Kästner: „Es gibt nichts Gutes – außer: Wir tun es!“
Die Initiatoren des „Bündnis’ 8. Mai 2005 – 60.
Jahrestag der Befreiung vom Faschismus“ sind:
Internationale Liga für Menschenrechte, Rosa-Luxemburg-Stiftung, ver.di-Berlin,
VVN. Außer dem Liga-Präsidenten sprach Kurt Langendorf, Vorsitzender der
Berliner Vereinigung ehemaliger Teilnehmer am antifaschistischen Widerstand,
Verfolgter des Naziregiemes und Hinterbliebener (BV VdN). Text-Collagen und
Musik von internationalen KünsterInnen.