Rolf
Gössner
Vor 20 Jahren
Plakate geklebt
BERUFSVERBOTE : Kehrt mit den "Antiterror"-Gesetzen ein tot geglaubter Geist zurück?
Wer glaubt, in der
Bundesrepublik gehörten politisch motivierte Berufsverbote der Vergangenheit
an, irrt sich. Kürzlich traf es in Baden-Württemberg den 34-jährigen
Realschullehrer Michael Csaszkóczy, dem von Kultusministerin Annette Schavan
(CDU) die Einstellung in den staatlichen Schuldienst verweigert worden ist. Das
Berufsverbot gegen Csaszkóczy begründet die Kultusministerin damit, dass sich
der angehende Lehrer in der "Antifaschistischen Initiative
Heidelberg" politisch betätige. Diese Initiative engagiert sich gegen
fremdenfeindliche und neonazistische Bestrebungen aller Art. Eigentlich ein
anerkannt löbliches Tun, rufen doch selbst Politiker zuweilen einen
"Aufstand der Anständigen" aus. Doch die Antifa-Initiative des
Lehramtskandidaten, die ernst macht mit ihrem Anliegen, zählt nicht zu den
offiziell anerkannten "Anständigen". Sie sei
"linksextremistisch" und befürworte Militanz gegen Neonazis und Rassisten,
so der Verfassungsschutz, der Csaszkóczy schon seit mehr als einem Jahrzehnt
hinterher schnüffelt.
Ausgerechnet die zweifelhaften Quellen und Bewertungen des Geheimdienstes
nähren die Zweifel der Kultusministerin an der Verfassungstreue des Bewerbers:
Wer Mitglied einer "extremistischen Vereinigung" sei, könne nicht
Lehrer an einer öffentlichen Schule werden. Schließlich habe der Betroffene
sich nicht von der Antifa-Initiative und ihren Zielen distanziert, obwohl das
Ministerium gerade dies von ihm verlangt hatte. Mit ihrer Entscheidung hält die
Ministerin einen engagierten Antifaschisten aus Gesinnungsgründen vom
Schuldienst fern, obwohl ihm persönlich keinerlei Fehlverhalten vorgeworfen
werden kann - ein klarer Verstoß gegen die Grundrechte auf Meinungs-,
Versammlungs- und Berufsfreiheit. Viele Organisationen und Einzelpersonen, auch
Schülerinnen und Schüler, hatten sich vergeblich für den bestens qualifizierten
Lehramtsanwärter eingesetzt - denn gerade solche Lehrer braucht das Land.
Man fühlt sich zurückversetzt in vergangen geglaubte Zeiten: in die siebziger und achtziger Jahre, als der Verfassungsschutz auf Grundlage des "Radikalenerlasses" Hunderttausende Stelleninhaber und Bewerber für den öffentlichen Dienst systematisch überprüfte. Etwa zehntausend Berufsverbotsverfahren und über tausend Berufsverbotsmaßnahmen waren das Ergebnis dieser Praxis, die das politisch-kulturelle Klima der damaligen Bundesrepublik vergiftete. Betroffen war die gesamte Linke, von Kommunisten bis hin zu jungen Liberalen, die eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst suchten oder aber dort bereits tätig waren, ob als Wissenschaftler, Lehrer, Postbote, Bahnschaffner oder Friedhofsgärtner.
Für diese
Berufsverbotspraxis ist die Bundesrepublik Deutschland schon einmal vom Internationalen
Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg verurteilt worden - wegen Verstoßes
gegen die Europäische Menschenrechtskonvention und damit wegen Verletzung von
Menschenrechten. Zuvor hatten sämtliche bundesdeutschen Gerichte, auch das
Bundesverfassungsgericht, diese Praxis im Einzelfall als grundrechtskonform
abgesegnet. Mit dem Urteil der Straßburger Richter glaubte man, die
Berufsverbote seien endlich auf dem "Müllhaufen der Geschichte" (Egon
Bahr) gelandet. Doch eine nachhaltige Entsorgung ohne Wiederkehr ist damit wohl
nicht verbunden. Jetzt traf es einen jungen Antifaschisten jenseits des
Parteienspektrums, der am Anfang seiner Berufslaufbahn steht - ein
qualifizierter und politisch unbequemer Lehrer, dessen Auskommen und
Lebensperspektive mit dieser Entscheidung auf dem Spiel stehen.
Aber auch andere müssen um ihre Jobs fürchten, wenn an ihrer Verfassungstreue
oder an ihrer Zuverlässigkeit Zweifel bestehen. So können nach den
"Antiterror"-Gesetzen von 2002 Tausende von Beschäftigten in
"lebens- oder verteidigungswichtigen Einrichtungen" sogenannten
Sicherheitsüberprüfungen unter Mitwirkung des Verfassungsschutzes unterzogen
werden - im öffentlichen Dienst, aber auch in privatwirtschaftlichen Betrieben.
Betroffen von diesem ausgeweiteten personellen "Sabotageschutz" sind
Einrichtungen und sicherheitsempfindliche Stellen, so heißt es im Gesetz
wörtlich, "die für das Funktionieren des Gemeinwesens unverzichtbar sind
und deren Beeinträchtigung erhebliche Unruhe in großen Teilen der Bevölkerung
entstehen lassen würde". Gemeint sind Einrichtungen, die der Versorgung
der Bevölkerung dienen, wie Energie-Unternehmen, Krankenhäuser, pharmazeutische
Firmen, Chemie-Anlagen, Bahn, Post, Banken, Telekommunikationsunternehmen, aber
auch Rundfunk- und Fernsehanstalten können betroffen sein. Menschen, die sich
um solche sicherheitsempfindlichen Stellen bewerben oder sie bereits innehaben,
werden also wesentlich mehr als bislang in geheimdienstliche Überprüfungen
einbezogen - und nicht nur sie, sondern womöglich auch ihre Lebenspartner und
ihr soziales Umfeld.
Schon die "Besorgnis" möglicher Erpressbarkeit, also etwa Schulden, sexuelle Normabweichungen oder "Zweifel an der Zuverlässigkeit oder am Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung", reichen aus, um zu einem personellen "Sicherheitsrisiko" deklariert zu werden. Selbst "sicherheitserhebliche Erkenntnisse" über den Lebenspartner machen die überprüfte Person zum Sicherheitsrisiko. Vor allem die gesammelten Aussagen gesprächiger Referenz- oder Auskunftspersonen über die Betroffenen erweisen sich nicht selten als wahre Fundgrube an Informationen über Vereinstätigkeiten, Hobbys, Krankheiten, Kleidungsverhalten, angebliche Verschwendungssucht, Kindererziehung und Wirkung auf das andere Geschlecht.
Die auf solchen "Erkenntnissen" beruhenden Kündigungen oder Nichteinstellungen wegen Sicherheitsbedenken können arbeitsrechtlich kaum angegriffen werden, denn die Quellen der Erkenntnisse bleiben regelmäßig geheim, so dass anonymen Denunziationen Tür und Tor geöffnet sind. Die hochsensiblen Daten dürfen zu allem Überfluss auch noch für ganz andere Zwecke des Verfassungsschutzes verwendet und an andere Stellen weitergegeben werden.
Wie sich die
ausgeweiteten Sicherheitsüberprüfungen in der Praxis auswirken, das lässt sich
kaum ergründen. In aller Regel scheuen sich diejenigen, die davon betroffen
sind, ihre Fälle öffentlich zu machen. Sie haben verständlicherweise Angst,
ihre berufliche Existenz aufs Spiel zu setzen. Das gilt auch für den
Lagerleiter Johann H., der auf einem bayerischen Flughafen beschäftigt war. Die
Regierung hat ihm von heute auf morgen die Zutrittsberechtigung für nicht
allgemein zugängliche und sicherheitsempfindliche Bereiche des Flughafens
entzogen. Er musste seinen Flughafenausweis zurückgeben und kann seinen
Arbeitsplatz nicht mehr erreichen. Begründung: Die Feststellung seiner
persönlichen Zuverlässigkeit werde widerrufen, weil er vor zwanzig Jahren für
eine linksradikale Gruppierung Plakate geklebt haben soll. Gut möglich, dass
sich mit diesem Geist der "Antiterror"-Gesetze eine neue Welle von
Berufsverboten entwickelt.
Dr. Rolf Gössner, Rechtsanwalt
und Publizist, ist Präsident der "Internationalen Liga für
Menschenrechte" und Autor zahlreicher Sachbücher zu Bürgerrechtsthemen,
zuletzt: Geheime Informanten:
V-Leute des Verfassungsschutzes - Kriminelle im Dienst des Staates, Knaur-Verlag München 2003