Interview mit RA Dr. Rolf Gössner (Bremen)

In: NEUE KRIMINALPOLITIK (Nomos-Verlag, Baden-Baden 4-1999)

 

Unter Langzeitbeobachtung des Verfassungsschutzes

 

von Oliver Brüchert

 

NK: Nehmen wir einmal an, ich hätte den Verdacht, von einem Geheimdienst überwacht zu werden. Wie kann ich herausfinden, ob das der Fall ist?

Rolf Gössner: Wenn Sie konkrete Anhaltspunkte für eine Überwachung feststellen, so fragen Sie am besten direkt bei den in Frage kommenden Sicherheitsbehörden - Polizei und Geheimdiensten - nach, ob Daten zu Ihrer Person gespeichert sind. Auf eine entsprechende kostenlose Auskunft haben alle Bürgerinnen und Bürger einen gesetzlichen Anspruch. Bei den Verfassungsschutzämtern des Bundes und mancher Länder müssen Sie allerdings eine Vorleistung erbringen: Der Antragsteller muß ein besonderes Interesse an einer Auskunft glaubhaft machen - z.B. eine Bewerbung für den Öffentlichen Dienst oder für eine sicherheitsrelevante Tätigkeit. Darüber hinaus muß er auf einen konkreten Sachverhalt hinweisen, der eine Datenspeicherung nahelegt - also z.B. Mitarbeit bei einer bestimmten Bürgerinitiative, in einer Partei oder bei Presseorganen, die schon mal ins Visier des Verfassungsschutzes (VS) geraten sind. Das ist praktisch ein Zwang zur Selbstdenunziation. Im besten Fall erhalten Sie die Auskunft, daß nichts über Sie gespeichert ist (was allerdings nicht immer der Wahrheit entspricht) oder aber Sie erhalten, wie ich, ein Schreiben, in dem Ihre politischen ”Sünden” aufgelistet werden. Der VS kann die Auskunft im Einzelfall aber auch verweigern, wenn entsprechende Gründe vorliegen - etwa aus Gründen des Staats- oder Landeswohls, oder wegen sogenannter Ausforschungsgefahr.

NK: Welche Folgen hat so eine Beobachtung für Ihre Arbeit als Rechtsanwalt, Publizist und parlamentarischer Berater?

Gössner: Meine bereits über 30 Jahre währende Langzeitüberwachung kann gravierende Folgen in allen drei Berufen zeitigen. In meinem publizistischen Tätigkeitsbereich müssen Informanten etwa aus dem Polizei- oder Geheimdienst-Apparat, die sich wegen Mißständen an mich wenden, damit rechnen, daß ihr Kontakt zu mir überwacht wird. Insofern ist der eigentlich gesetzlich garantierte Informantenschutz nicht mehr gewährleistet. Genau so wenig wie das Mandatsgeheimnis bei meiner Tätigkeit als Rechtsanwalt. Kein Mandant kann mehr sicher sein, daß das, was er mir vertraulich mitteilt, tatsächlich auch vertraulich bleibt - es sei denn, die Unterredung erfolgt in Wald und Flur. Wenn ich meiner Tätigkeit als parlamentarischer Berater nachgehe, dann ist der Schutz jener gewählten Abgeordneten vor geheimdienstlicher Ausforschung nicht mehr gewährleistet, die ich persönlich berate. Ein wirklich unhaltbarer Zustand...

NK: Gehört es denn zu den Aufgaben eines Verfassungsschutzes, jemanden wie Sie zu beobachten? Sind Sie ein Verfassungsfeind?

Gössner: Das Problem liegt u.a. darin, daß die Aufgabenbestimmung in den VS-Gesetzen so ungenau und weit gefaßt ist, daß letztenendes auch Gesinnnungsschnüffelei ermöglicht wird. Doch selbst nach den Maßstäben des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) dürfte es eher ungewöhnlich sein, daß - wie in meinem Fall - eine Einzelperson, die keiner politischen Partei oder Organisation angehört, über Jahrzehnte hin der Beobachtung unterliegt. In aller Regel werden bestimmte politische Organisationen beobachtet. Zu den Aufgaben des VS gehört die ”Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sach- und personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen” über Bestrebungen u.a. gegen die ”freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes”, über Bestrebungen, die eine ”ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder” zum Ziel haben; außerdem über ”sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht”. Nichts von alledem wird mir, etwa aufgrund der Inhalte meiner politisch-publizistischen Tätigkeit, zum Vorwurf gemacht. In den bisherigen Auskünften des Bundesamtes werden mir ausschließlich berufliche Kontakte zu bestimmten Publikationsorganen und Veranstaltern vorgeworfen, die vom VS als ”linksextremistisch” oder ”linksextremistisch beeinflußt” eingestuft werden - also eine Art ”Kontaktschuld”.

NK: Wenn Ihre Überwachung rechtswidrig ist, welche Mittel stehen Ihnen zur Verfügung, dagegen vorzugehen?

Gössner: Bislang wurde versucht, diese Angelegenheit über die Öffentlichkeit, über Solidaritätsaktionen, über parlamentarische Anfragen an die (alte) Bundesregierung und über den Bundesbeauftragten für den Datenschutz (BfD) zu problematisieren und ein Ende der Überwachung zu erreichen. Das ist in über drei Jahren bis heute nicht gelungen, also auch nicht unter der rot-grünen Bundesregierung, die nun für das Bundesamt politisch verantwortlich ist. Meine Hoffnung war ursprünglich, daß die zahlreichen Solidaritätsbekundungen namhafter Mitglieder des deutschen P.E.N.-Zentrums, unter ihnen der frisch gekürte Literaturnobelpreisträger Günther Grass, des Verbandes deutscher Schriftsteller, der IG Medien, von Bürgerrechtsorganisationen und Grünen-Fraktionen die rot-grüne Bundesregierung veranlassen würde, die Überwachung zu beenden, so daß ich nicht gezwungen werde, gerichtliche Schritte einzuleiten - also eine Klage beim zuständigen Verwaltungsgericht in Köln bis hin zu einer Verfassungsbeschwerde. Möglicherweise würde ich erst beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Recht bekommen - wenn ich zum Beispiel an das Verfahren gegen ein Berufsverbot aus den 70er Jahren denke, das vom Bundesverfassungsgericht für rechtmäßig deklariert worden ist und das erst der Europäische Gerichtshof in den 90er Jahren als menschenrechtswidrige Maßnahme erkannt hat. Das kann zehn, fünfzehn Jahre dauern und kostet. Ich werde es deshalb weiterhin auf politischem Wege versuchen, denn unter der rot-grünen Konstellation ist es ein geradezu widersinniges Politikum, daß ich einen Teil der Regierungskoalition - die grüne Fraktion - rechtspolitisch berate, und andererseits von einem rot-grün verantworteten Geheimdienst beobachtet werde. Aber Rot-grün steht auch für solche Widersprüche.

NK: Wem nützt eine Akte Gössner? Welche Interessen werden damit verfolgt?

Gössner: Um diese Frage zu beantworten, müßte ich spekulieren - allerdings mit dem Risiko, damit noch weiteren Stoff für meine Erfassung durch den VS zu liefern. Es sieht so aus, als würde mich das Bundesamt seit meinem 22. Lebensjahr, also seit Beginn meines Studiums an der Universität Freiburg, als eine Art nationales ”Sicherheitsrisiko” betrachten. Seit den 70er Jahren bis heute habe ich mich in zahlreichen Aufsätzen, Interviews, Rundfunk- und Fernsehbeiträgen, Vorträgen und Buchpublikationen kritisch mit den Organen der ”Inneren Sicherheit” und ihrer meines Erachtens fatalen Entwicklung beschäftigt - also insbesondere mit Polizei, Geheimdiensten und der Politischen Justiz und ihrem erodierenden Einfluß auf die Substanz der Grund- und Bürgerrechte. Für eine solch intensive und beharrliche Beschäftigung interessiert sich wohl auch der VS, zumal ich im Verlaufe meiner publizistischen, anwaltlichen und parlamentarischen Tätigkeit selbstverständlich auch berufliche Kontakte zu überwachten ”linksextremistischen” bzw. ”linksextremistisch beeinflußten” Kreisen hatte - etwa im Zuge von Recherchen, über Anwaltsmandate und Veranstaltungen. Aber schließlich habe ich auch berufliche Kontakte zu Polizeiführungen, Justizorganen und Verfassungsschutzpräsidenten, ja der hessische VS hatte mich vor Jahren sogar als Referent zu einer Diskussion über die Frage “Verfassungsschutz – eine Behörde ohne Zukunft?” eingeladen.

Mag aber auch sein, daß noch ein Umstand erschwerend hinzukommt: Als rechtspolitischer Berater der Landtagsgrünen in Niedersachsen war ich während der rot-grünen Regierungsära (1990-1994) maßgeblich an der finanziellen und personellen Reduzierung des niedersächsischen Landesamtes sowie an der Liberalisierung des VS-Gesetzes beteiligt. Herausgekommen ist damals das wohl liberalste Geheimdienstgesetz der Bundesrepublik, wahrscheinlich aber weltweit - nicht gerade zur Freude des VS, wie sich denken läßt. Inzwischen ist diese Reform unter der SPD-Alleinregierung weitgehend zurückgenommen worden.

NK: Mit Begriffen wie ”Linksextremismus” und ”freiheitliche demokratische Grundordnung”, bei denen nirgends definiert ist, was sie genau umfassen sollen, wird ja auch Politik gemacht. Welche Folgen hat das für bestimmte Formen der Kritik? Wird dadurch nicht auch die für eine Demokratie so wichtige Meinungsfreiheit beschnitten?

Gössner: Die Meinungsfreiheit wird zwar nicht direkt beschnitten, aber indirekt tangiert: Denn der VS bedient sich mit der ihm eigenen Definitionsmacht der genannten Begrifflichkeit und schafft damit ein Klima, in dem ein bestimmtes Meinungsspektrum als ”verfassungsfeindlich” gilt und politische Kritik in der Öffentlichkeit zu einem privaten und beruflichen Risiko werden kann. Dabei gerät auch jede Systemkritik, die etwa die “kapitalistische Wirtschaftsordnung” in Frage stellt, ins Blickfeld dieses Geheimdienstes, obwohl das Grundgesetz die Wirtschaftsform offen läßt und die Bundesrepublik lediglich als ”demokratischen und sozialen Bundesstaat” definiert. Die Tatsache, daß man wegen entsprechender Äußerungen oder politischer Arbeit geheimdienstlich überwacht werden kann, läßt manche vor politischem Engagement zurückschrecken. Selbstzensur und politische Apathie können die Folgen sein. Und wenn ausgerechnet Streiter für Verfassung und gegen Grundrechtsabbau wie ”Verfassungsfeinde” behandelt werden, dann fördert dies nicht gerade das bürgerrechtliche Engagement in diesem Land – zumal, wenn gleichzeitig diejenigen, die sich tatsächlich und wirkungsvoll an der Substanz der Verfassung vergreifen - die Demonteure des Asylgrundrechts oder des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung – vollkommen unbehelligt vom Verfassungsschutz ihrem destruktiven Handwerk nachgehen können.

Der VS mit seiner eindrucksvollen Skandal-Chronik hat der Verfassung und der politischen Kultur in der alten Bundesrepublik wesentlich mehr geschadet, als er vorgeblich der Verfassung und einer doch recht reduzierten Demokratie nützte. Die Entwicklung einer demokratischen Kultur wird durch ihn eher gehemmt, denn gefördert. Denn eine Gesellschaft gewinnt nicht dadurch an demokratischer Kraft, daß sie - auch extreme oder radikale - politische Positionen ausgrenzt und stellvertretend dem administrativen Staats- und Verfassungsschutz überstellt. Eine Gesellschaft gewinnt vielmehr dann an demokratischer Kultur, wenn sie sich offen und offensiv auch mit diesen Positionen auseinandersetzt, auseinanderzusetzen lernt. So gesehen ist der VS Ausdruck eines verkürzten Demokratieverständnisses in Deutschland.

NK: Brauchen wir überhaupt Geheimdienste? Gibt es Aufgaben und Arbeitsweisen, die solche Organisationen unter Wahrung demokratischer Grundsätze ausüben können und sollen?

Gössner: Die zentrale Frage ist doch, ob Geheimdienste überhaupt demokratieverträglich sind. Ich meine: nein. Denn Demokratie und Geheimdienste, unter welchen Tarnnamen sie auch immer geführt werden, sind grundsätzlich unvereinbar. Geheimdienste, die als Schutz der Demokratie legitimiert werden, widersprechen ihrerseits selbst dem Prinzip der demokratischen Transparenz und der öffentlichen Kontrolle: Eine Kontrolle kann nur sehr eingeschränkt stattfinden gegenüber einer Institution, die geheim und abgeschottet arbeitet und zu deren auftragsgemäßer Kunstfertigkeit es gehört, ihre eigenen Machenschaften gewerbsmäßig zu verdunkeln. Die parlamentarischen Kontrollgremien liefern hierfür zahlreiche Belege. Regelmäßig beklagen sich Parlamentarier über die Unmöglichkeit einer effektiven Kontrolle. Da hilft eine so halbherzige Reform der Kontrollgremien, wie sie gerade unter Rot-grün auf Bundesebene betrieben worden ist, leider nicht viel weiter. Auch Rot-grün geht nicht an die Substanz der Geheimdienste.

Sicher gibt es Aufgaben, wie etwa Sicherheitsüberprüfungen und Spionageabwehr, die man als sinnvoll erachten könnte. Aber noch nicht einmal auf diesem Feld haben sich die westdeutschen Geheimdienste in der Vergangenheit allzu große Meriten erworben, denken wir nur an die zahlreichen Stasi-Spione auf bundesdeutschen Geheimdienst-Sesseln. Insofern muß natürlich auch die Effizienz-Frage gestellt werden: Taugen die Geheimdienste überhaupt für die ihnen gestellten Aufgaben? Oder können das andere Institutionen ohne nachrichtendienstliche Mittel nicht besser? Etwa im Bereich des ”Rechtsextremismus” politikwissenschaftliche Institute, die in der Lage sind, mit mehr Diagnose- und Analyse-Kompetenz und jenseits ideologischer Feindbildproduktion seriöse Forschungs- und Aufklärungsarbeit zu betreiben.

 

 

Fast 30 Jahre unter Beobachtung

 

Interview mit Dr. Rolf Gössner
in: „M“ – Zeitschrift der Deutschen Journalistenunion in der IG Medien

 

Die IG Medien fordert, ihr Bremer Mitglied Rolf Gössner nicht länger durch Geheimdienste über­wachen zu lassen. Der promovierte Jurist machte sich neben seiner Arbeit als Rechtsanwalt vor allem als Publizist einen Namen: Gössner setzt sich seit mehr als anderthalb Jahrzehnten kri­tisch mit der Arbeit von Polizei und Geheimdiensten auseinander­. Außerdem arbeitet er als wis­sen­schaftlicher Berater für Parlamentsfraktionen, u.a. für die von Bündnis 90/Die Grü­nen in Niedersachsen, zeitweise auch für Bündnis 90 und die PDS in ostdeutschen Landtagen. Seit 1970 bis in die Gegenwart überwacht der Verfassungsschutz Rolf Gössner.

 

M: Wie hast du erfahren, daß du von Geheimdiensten überwacht wirst?

ROLF GÖSSNER: Zunächst vermutete ich nur, vom „Bundesamt für Verfassungsschutz“ überwacht zu werden, und zwar wegen meiner Redakteurstätigkeit bei „Geheim“. Das Amt stufte diese geheim­dienstkriti­sche Zeitschrift 1994 plötzlich als „linksextremistisch“ ein. Dar­auf­hin habe ich beantragt, Aus­kunft über meine gespeicherten Daten zu erhal­ten. Ich bekam eine vierseitige Antwort mit einer Auflistung von Daten seit 1970. Es sind Informationen über eine gewisse Auswahl meiner Publikationen und Ver­an­staltungen, die man überall nachlesen kann. Das ist mit Sicherheit nur ein Teil dessen, was über mich gespei­chert ist. Es sind lediglich solche Fakten aufgeführt, mit denen mir der Kontakt zu bestimmten Publikationsorganen und Veranstaltern zum Vorwurf gemacht wird - also eine Art „Kontaktschuld“.

Wie weit geht diese „Kontaktschuld“, wie du sie nennst?

Das läuft nach einem soge­nannten Verkar­tungsplan[1] aus Zeiten des Kalten Krieges, den es meines Wissens immer noch gibt, aus dem ersichtlich wird, wer warum wann mit seinen personenbezogenen Daten gespeichert wird. Dabei geht es auch um Multiplikatoren: Journalisten, Anwälte, Politiker, die Kontakte zu „verdächtigen“ Politikbereichen unterhalten. Besonders interes­siert offen­bar, wenn solche Personen Kon­takte zu linksradikalen oder - wie es der Verfassungsschutz gerne nennt - zu „links­extremistisch beeinflußten“ Gruppen haben. Letztgenannte dürfen zwar keine direkten Beobachtungsobjekte des Verfas­sungsschutzes sein, weil sie als demo­kratisch gelten. Doch weil nun vielleicht ein, zwei, fünf Mitglieder so­genannte Linksextremisten sind, kann durch das Einfallstor „linksextremistische Beeinflussung“ eine solche Gruppe einschließlich ihrer „Kon­takte“ geheimdienstlich ausgeforscht werden. 

Sind an deiner Beobachtung auch V-Leute beteiligt gewesen?

Inzwi­schen habe ich den Bundesdatenschutzbeauftragten um Prüfung gebeten. Er hat mir ge­ant­wortet, Speicherung und Auskunft seien zwar recht­mäßig erfolgt. Allerdings habe er sich aus Gründen des „Quellenschutzes“ die Quellenmeldungen nicht selber an­geschaut, son­dern sich vom Bun­desamt lediglich vorlesen lassen. „Quellenschutz“ heißt, daß es über­haupt „Quellen“ gibt, die es offenbar (vor mir?) zu „schützen“ gilt. Das sind in der Regel nachrichten­dienstliche Mittel: V-Leute, verdeckte Ermittler, tech­ni­sche Hilfsmittel wie Telefonabhören, Ob­ser­vation und so weiter. Ich muß also da­von ausge­hen, daß auch klandestine Mittel und Methoden einge­setzt wer­den - so etwa bei be­stimmten Veranstaltungen mit bestimmten Veranstaltern, etwa der „Roten Hilfe“ oder der VVN (Vereinigung der Ver­folgten des Nazi-Regimes). Da wird wohl jemand sitzen und notieren, was ich als Referent gesagt habe, worüber politisch disku­tiert wird. Was darüber hinaus Un­regelmä­ßigkeiten beim Telefonieren oder auf der Straße (Observationen) anbelangt, so hat sich herausgestellt, daß sich diese auf Zeiten beschränken, in denen ich heikle Recherchen anstelle, etwa über Polizei- und Geheimdienstskandale oder in denen ich bestimmte Aktivitäten entfalte, wie zuletzt bei meinen Bemühungen, eine internationale Beobachtung des Öcalan-Prozesses zu initiieren.

Wenn deine Beobachtung „wirkungsvoll“ sein soll, müßtest du auch unter Beob­achtung ste­hen, wenn es sich nicht um „einschlägige“ Veranstalter handelt, sondern etwa um den hes­sischen Verfassungsschutz, der dich 1996 zu einer Diskussion mit dem Innenminister eingeladen hat.

Bei dieser Veranstaltung im Wiesbadener Schloß Biebrich zum Thema „Verfassungsschutz - eine Behörde ohne Zukunft?“ war die Beobachtung total, weil fast nur Verfassungsschützer anwesend waren. Diesen habe ich versucht zu erklären, daß es nötig sei, den Verfassungs­schutz nach und nach aufzulö­sen, weil er, mangels Transparenz und Kontrollfähigkeit, mit demokratischen Prinzipien unvereinbar ist. Aber es hängt immer am Veran­stalter. Wenn ich bei einer Veranstaltung der Grü­nen oder in einer evangeli­schen Akade­mie als Redner auf­tauche, wird das nicht regi­striert - zumindest wird es mir nicht mitgeteilt. Genau so wenig meine Artikel, Reden und Inter­views in der „Frankfurter Rund­schau“ oder in anderen bürgerli­chen Zeitungen, dafür aber in Publika­tionen wie „Blätter für deutsche und internationale Politik“, „De­mokratie und Recht“, „Deutsche Volks­zeitung“ oder heute in der „Jungen Welt“ oder in „Geheim“, die vom Verfassungsschutz als „linksextremistisch (beeinflußt)“ eingestuft werden.

Welche Folgen hat diese Ausspähung auf deine Arbeit?

Sie hat Auswirkungen auf alle drei Bereiche, in denen ich arbeite. In meinem publizistischen Tätigkeitsbereich müssen Informanten etwa aus dem Polizei- oder Ge­heimdienst-Apparat, die sich wegen Mißständen an mich wenden, damit rechnen, daß ihr Kontakt zu mir überwacht wird. Insofern ist der eigentlich gesetzlich garantierte Informantenschutz nicht mehr gewährleistet. Genau so we­nig wie das Mandatsgeheimnis bei meiner Tätigkeit als Rechtsan­walt. Kein Man­dant kann mehr sicher sein, daß das, was er mir vertraulich mitteilt, tat­sächlich auch vertraulich bleibt - es sei denn, die Unterredung erfolgt in Wald und Flur. Wenn ich meiner Tätigkeit als parlamentarischer Berater nachgehe, speziell im niedersächsischen Landtag, dann ist der Schutz jener gewählten Abgeord­neten vor geheimdienstlicher Ausforschung nicht mehr gewährleistet, die ich persönlich berate.

Wirst du juristisch gegen deine Überwachung vorgehen?

Ich hoffe sehr, daß aufgrund der vielen Solidaritätsbekundungen namhafter Mitglieder des deutschen PEN-Zentrums, des Verbandes deutscher Schriftsteller, der IG Medien, von Bürgerrechtsorganisationen und Grünen-Frak­tionen jetzt unter der rot-grünen Bundesregierung die Überwachung beendet wird, so daß ich nicht gezwungen werde, gerichtliche Schritte einzuleiten. Möglicherweise würde ich erst beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Recht bekommen - wenn ich zum Bei­spiel an das Verfahren gegen Berufsverbote denke, die das Bundesverfas­sungsgericht für rechtmäßig erachtete und erst der Europäische Gerichtshof als menschen­rechtswidrige Maßnahme erkannt hat. Das kann zehn, fünfzehn Jahre dauern und kostet. Ich werde es deshalb erst auf politischem Wege versuchen, denn unter der neuen rot-grünen Konstellation ist es ein geradezu widersinniges Politikum, daß ich einen Teil der Regierungs­koalition - die grüne Fraktion - rechtspolitisch berate, und andererseits von einem rot-grün verant­worteten Geheimdienst beobachtet werde.

Welche Möglichkeiten habe ich als einzelner, zu erfahren, ob ich überwacht werde?

Grundsätzlich würde ich einen An­trag auf Auskunft stellen - bei den jeweili­gen Landesämtern sowie beim Bundesamt für Verfassungsschutz, falls es Anhalts­punkte für eine bundesweite Erfassung gibt. Daneben sollte man prinzipiell auch den Datenschutzbeauftragten einschalten sowie an die Öffentlichkeit gehen. Denn nichts scheut ein Geheimdienst mehr als Öffentlich­keit, zumal eine solche, die nicht von ihm gesteuert oder desinformiert worden ist.

Welche Möglichkeiten hat ein Journalist oder eine Journalistin, ein Auskunftsersuchen zu begründen?

Allgemein ist das schwer zu sagen. Der grundrechtliche Auskunftsanspruch ist bei Geheim­diensten recht eingeschränkt. Beim Bundesamt für Verfassungsschutz muß man zudem zwei Be­din­gungen erfüllen: Zum einen muß man ein „berechtigtes Interesse“ an der Aus­kunft „darlegen“ oder „glaubhaft machen“. Journalisten könnten den Informanten­schutz als ein zu schützendes Gut geltend machen. Dieser Informantenschutz wäre im Falle einer Be­obach­tung nicht mehr gewährleistet. Zum andern muß man einen "konkre­ten Sachverhalt“ nennen, in dessen Zusammenhang man möglicherweise gespeichert sein könnte - praktisch ein Zwang zur Selbstdenunziation. Dabei kommt es darauf an, was derjenige oder diejenige beruflich oder politisch macht und ob es deshalb möglicherweise Anhaltspunkte für eine Überwachung gibt. Ange­nommen, eine Journa­listin recherchiert im Terrorismusbereich oder in Sachen Öcalan, dann ist es durchaus möglich, daß sie auch über­wacht wird.       

Fragen: Friedrich Siekmeier

MMM-9905-Goessner

 

 

SoZ-Interview mit RA Dr. Rolf Gössner (Bremen)

 

1.  Welche Motivation könnte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) gehabt haben, Sie 26 Jahre lang zu beobachten?

Um diese Frage zu beantworten, müßte ich spekulieren - allerdings mit dem Risiko, damit noch weiteren Stoff für meine Erfassung durch den „Verfassungsschutz“ zu liefern. Es sieht so aus, als würde mich das BfV seit meinem 22. Lebensjahr, also seit dem Beginn meines Studiums an der Universität Freiburg, als „Sicher­heitsrisiko“ betrachten. Für Mutmaßungen, wie ich dazu geworden sein könnte, müßte mein damaliger Lebenswandel zumindest Anhaltspunkte liefern können: In den frühen 70er Jahren war ich als unabhängiger Linker aktiv in der Studentenpolitik tätig, habe u.a. eine Studentenzeitung („basis“) herausgegeben sowie Begegnungen und Diskussionen mit DDR-Wissenschaft­lern und -Schriftstellern organisiert. Bereits seit Ende der 60er Jahre hatte ich intensive persönliche Kontakte nach Polen, die mich - nach Abschluß des deutsch-polnischen Grundlagenvertrages - mehrmals jährlich in dieses Land, aber auch in andere Staaten des „Ostblocks“ führten. Solche Kontakte waren damals bekanntlich äußerst prekär und „verdächtig“, bestand doch immer die Gefahr, von der östlichen Konkurrenz, also einem realsozialistischen Geheimdienst, angeworben zu werden.

Seit den 70er Jahren bis heute habe ich mich in zahlreichen Aufsätzen, Interviews, Vorträgen und Buchpublikationen kritisch mit den Organen der sog. Inneren Sicherheit und ihrer meines Erachtens fatalen Entwicklung in der Bundesrepublik beschäftigt - also insbesondere mit Polizei, Geheimdiensten und der Politischen Justiz und mit ihrem erodierenden Einfluß auf die Substanz der Grund- und Bürgerrechte. Für eine solche intensive und beharrliche - über zwei Jahrzehnte währende - Beschäftigung interessiert sich wohl auch der „Verfassungs­schutz“ (VS), zumal ich im Verlaufe meiner publizistischen, anwaltlichen und parlamentarischen Tätigkeit selbstverständlich auch Kontakte zu überwachten „linksextre­misti­­­­schen“ bzw. „linksextremistisch beeinflußten“ Kreisen hatte - etwa im Zuge von Recherchen, über Anwaltsmandate und Veranstaltungen.

Gleichwohl ist es selbst nach den Maßstäben des „Verfassungsschutzes“ eher ungewöhnlich, daß in meinem Fall eine parteiunabhängige, keiner politischen Organisation angehörende Einzelperson der Beobachtung unterliegt. Wahrscheinlich wird mir eine nicht unwesentliche „Multiplikatorenfunktion“ bzw. „Vermittlerpo­si­tion“ zwischen (links-)liberalem Bürgertum und linksradikalen Kräften zugeschrieben, wie sie auch in dem sog. Verkartungsplan des VS als Erfassungskriterium verankert war (und offenbar auch noch ist). Außerdem kommt sicher verschärfend hinzu, daß ich mittlerweile auch rechtspolitischen Einfluß, u.a. auf VS- und Polizeigesetze, gewonnen habe.

 

2.  Gibt das BfV mittlerweile Auskünfte, warum es die geheimdienstkritische Zeitschrift „Geheim“ 1994 als „linksextremistisch“ eingestuft hat? Wenn nicht, was ist Ihre Einschätzung?

Nein, auf meine Anfrage, weshalb „Geheim“ nach fast zehnjähriger Existenz plötz­lich im Verfassungsschutzbericht 1994 als „linksextremistisch“ eingestuft wird und 1995 schon wieder nicht mehr, gab das BfV keine Antwort. Begründung: Das Bun­desverfassungsschutzgesetz sehe einen derartigen Auskunftsanspruch nicht vor - obwohl ich als Redakteur der Zeitschrift unmittelbar von einer solchen Kategorisierung betroffen bin. Anfragenden, so das BfV weiter, könne lediglich auf Antrag über die zu ihrer Person gespeicherten Daten Auskunft erteilt werden - was dann in meinem Fall, wenn auch höchst unvollständig, tatsächlich geschehen ist.

Ich kann wiederum nur spekulieren, weshalb „Geheim“ als „linksextre­mi­stisch“ qualifiziert worden ist. Dabei ist zu berücksichtigen, daß von staatlicher Seite bereits seit Jahren der Versuch unternommen wird, die Arbeit an dem geheimdienstkritischen Magazin zu erschweren sowie Redaktionsmitglieder und Autoren in Mißkredit zu bringen: Dazu zählen neben der willkürlichen Einstufung als „linksex­tre­mi­stisch“ u.a. die Durchsuchung der Redaktionsräume und Beschlagnahme von Redaktionsunterlagen durch die Bundesanwaltschaft sowie die Einstufung eines Redaktionsmitglieds und parlamentarischen Mitarbeiters im BND-Plutonium­aus­schuß des Bundestages als „Sicherheitsrisiko“.

3.  Sie sind als rechtspolitischer Berater für die bündnisgrüne Fraktion im niedersächsischen Landtag tätig. Wenn ein Mitarbeiter einer Fraktion jedoch geheimdienstlich beobachtet wird, ist der verfassungsrechtliche Schutz der Abgeordneten nicht mehr gewährleistet. Untergräbt der VS mit Ihrer Beobachtung nicht die Ordnung, die er vorgibt zu schützen?

Nun, das macht der VS seit es ihn gibt - nicht nur in diesem Fall, in Hunderten von - im übrigen wesentlich gravierenderen - Fällen auch. Die Geschichte des VS in der Bundesrepublik ist in Wahrheit eine Geschichte von Verfassungsverstößen und Bürgerrechtsverletzungen. In meinem Fall ist es in der Tat ein Problem, daß mit meiner Erfassung möglicherweise auch der Schutz vor geheimdienstlicher Ausforschung der Abgeordneten, die ich unmittelbar berate, nicht mehr gewährleistet ist. Aber auch in meinen anderen Tätigkeitsfeldern sind besonders sensible und rechtlich geschützte Vertrauensverhältnisse tangiert: In meiner Anwaltstätigkeit das Mandantenverhältnis und in meiner publizistischen Tätigkeit der Informantenschutz.

4.  Wie bewerten Sie die Reaktionen der Medien auf das Bekanntwerden Ihrer Überwachung?

Ich war einigermaßen überrascht, daß das Medienecho doch recht groß war. Die wichtigsten überregionalen Zeitungen, aber auch auflagenstarke Regionalblätter haben die Nachricht mehr oder weniger ausführlich gebracht. Darüber hinaus - zumindest in Norddeutschland - informierten auch Rundfunk- und Fernsehnachrichten über diesen Skandal. Der Tenor der Berichte war in der Regel VS-kritisch.

5.  Ist Ihre Überwachung nicht ein Beweis für die Funktion dieses Amtes als Instrument zur Schikanierung unliebsamer Bürger?

Mit der Tätigkeit eines Geheimdienstes ist immer dann, wenn er sich um einzelne BürgerInnen oder Personengruppen „kümmert“, zumindest auch politische Diffamierung und Verruf im Spiel. Das gehört untrennbar zusammen, zumal dem VS in einem bestimmten Rahmen Definitionsmacht zugestanden wird - was etwa als „linksextremistisch“, „linksextremistisch beeinflußt“ oder „sicherheitsgefährdend“ gilt. Ob Schikanierung zu jeder Zeit und in jedem Fall eine eigene bzw. eigenständige „Funktion“ des VS ist, vermag ich nicht zu sagen. Zumindest ist es nicht gerade selten eine - höchstwahrscheinlich nicht unwillkommene - „Nebenwir­kung“, ganz besonders dann, wenn die VS-„Erkenntnisse“ bzw. -Kategorisie­rungen in den Verfassungsschutzberichten öffentlich nachzulesen sind.

6. Sie haben seit 1990 an der Liberalisierung des niedersächsischen Verfassungsschutzes, d.h. seiner personellen und finanziellen Reduzierung mitgewirkt. Sehen Sie eine Möglichkeit, mit Ihrer gerade bekanntgewordenen Überwachung die Legitimität dieses Amtes verstärkt in Frage zu stellen?

Dazu bedarf es meines Erachtens dieses Falles nicht. Die Legitimität ist - spätestens nach Ende des Kalten Krieges - längst in Frage gestellt, auch wenn es die Dienste und ihre Verfechter immer wieder verstehen, neue Legitimationen für die Fortexistenz zu finden („Rechtsextremismus“, „Organisierte Kriminalität“, Scientologen etc.). Es gibt jedoch auch praktische Ansätze, der eigentlich geschwundenen Legitimität entsprechend mit dem VS umzugehen: Ich war in der „rot“-grünen Regierungsära von 1990 bis 1994 u.a. an der Novellierung des niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes beteiligt; dabei ist es in der Tat gelungen, praktisch das liberalste Geheimdienstgesetz in der Bundesrepublik zu schaf­fen. Es ist gelungen, die Befugnisse des VS einzuschränken und insbesondere die Eingriffsschwelle erheblich hochzusetzen. Damit mußte der VS die bislang praktizierte Gesinnungsschnüffelei eigentlich beenden. Doch inzwischen hat die SPD-Alleinregierung die Schwelle leider wieder herabgesenkt - die „rot“-grüne Reform ging offenbar zu weit. Diese Reform führte damals auch zu einem erheblichen personellen und finanziellen Abbau, so daß intern schon von „Perspektiv­losig­keit“ die Rede war. Der grüne Fraktionsvorsitzende im niedersächsischen Landtag, Pico Jordan, meinte vor diesem Hintergrund, daß ich offensichtlich für meine „politisch-fachliche Einflußnahme“ und mein Wirken als „ausgewiesener linker Bürgerrechtler mit der Beobachtung bestraft“ werde.

7.  Thilo Weichert, ebenfalls Autor der Zeitschrift „Geheim“, wurde als Datenschutzbeauftragter des Landes Brandenburg abgelehnt, weil das BfV ein Papier über ihn lanciert hatte. Erwarten Sie selbst ebenfalls berufliche Nachteile?

Abgesehen von der möglichen Erschwernis, die eine geheimdienstliche Beobachtung und Erfassung für meine bisherigen Berufsfelder bedeutet, ist eine berufliche Benachteiligung dann denkbar, wenn ich bestimmte Ämter im öffentlichen Dienst anstreben wollte - etwa eine Hochschullehrer-Stelle oder gar ein Regierungsamt. Und so ist auch die Frage des grünen Fraktionsvorsitzenden Jordan zu verstehen: „Will ihm das Bundesamt mit diesem persönlichen ‘Sünden­register’ einen Strick für künftige politische Aufgaben und berufliche Entwicklungen drehen?“

8.  Der hessische Verfassungsschutz hatte Sie für den 9. Oktober, also nach dem Bekanntwerden Ihrer Überwachung, zu einer Veranstaltung unter dem Motto „Verfas­sungs­schutz im Wandel“ eingeladen. Was wollte er damit bezwecken?

Das hessische Landesamt für Verfassungsschutz hatte mich bereits vor dem Bekanntwerden meiner „Überwachung“ durch das Bundesamt zu dieser Veranstaltung eingeladen. Es besteht also kein unmittelbarer Zusammenhang. Selbstverständlich spielte diese Tatsache und dieser bemerkenswerte Widerspruch - einerseits Überwachung durch das BfV und andererseits Einladung durch den VS Hessen - eine gewisse Rolle bei besagter Veranstaltung im Schloß Biebrich (Wiesbaden), die dann nur wenige Wochen nach Bekanntwerden des Falles stattgefunden hat. Dem VS im „rot“-grünen Hessen geht es gegenwärtig um eine „Öffnung“ des Dienstes, um eine gewisse Transparenz. Und zur Demonstration dieser „neuen Offenheit“ sollte ich mit Hessens Innenminister Gerhard Bökel (SPD) über das Thema „Verfassungsschutz im Wandel“ debattieren. Diese höchst kontroverse Debatte fand vor „versammelter Schlapphutmannschaft“ („Junge Welt“) statt, die sich mit eisigen und finsteren Minen meine These von der Demokratieunverträglichkeit von Geheimdiensten im allgemeinen und meine Forderung nach Auflösung des VS im besonderen anhören mußte.

Der Versuch, den hessischen VS zu „öffnen“ und dann auch einen radikalen Kritiker einzubeziehen, ist zunächst zwar positiv zu bewerten. Doch dahinter scheint ein handfester Konflikt zu stecken: Angesichts eines grünen Koalitionspartners in Hessen, der nach wie vor die Auflösung des VS fordert, sind die derzeitigen Bemühungen des hessischen VS meines Erachtens pure Imagepflege und Vorwärtsverteidigung. Der Dienst sorgt sich in dieser Situation offenbar besonders stark um sein schlechtes Image als unbeliebte Behörde, notorischer Skandalproduzent und unkontrollierbarer Überwachungsapparat. Es geht also im Kern der liberal wirkenden „Öffnung“ um Vertrauens- und Akzeptanzbildung in der Bevölkerung. Kurz: Das schlechte Image stört und soll verändert werden - ohne allerdings an die geheimdienstliche Substanz zu gehen.

 

9.  Warum gibt es keine Alternative zur Auflösung der Verfassungsschutzbehörden?

Der euphemistische Begriff „Verfassungs­schutz“ ist ein Deckname - Tarnname für einen veritablen Geheimdienst mit konspirativen Strukturen und nachrichtendienstlichen Mitteln und Methoden, die gemeinhin als „schmutzig“ gelten. Demokratie und Geheimdienste, unter welchen Tarnnamen sie auch immer geführt werden, sind - was ihre Strukturen und Methoden betrifft - grundsätzlich unvereinbar. Geheimdienste, die als Schutz der Demokratie legitimiert werden, widersprechen ihrerseits selbst dem Prinzip der demokratischen Transparenz und der öffentlichen Kontrolle: Eine Kontrolle kann nur höchst eingeschränkt stattfinden gegenüber einer Institution, die geheim und abgeschottet arbeitet - davon wissen parlamentarische Kontrolleure ein garstig Lied zu singen.

 

Der VS hat selbst als „Frühwarnsystem“, das er eigentlich sein will und soll, allenthalben versagt - ob es sich um den sog. Terrorismus handelt, den Umbruch in Osteuropa, den Zusammenbruch der DDR oder den lange Zeit verharmlosten „Rechtsextremismus“ und die rechte Gewalt. (Fast) jedes politikwissenschaftliche Institut verfügt über bessere diagnostische und analytische Fähigkeiten für kompetente Politikberatung.

Der „Verfassungsschutz“ hat der Verfassung und der politischen Kultur in der Bundesrepublik wesentlich mehr geschadet, als er vorgeblich der Verfassung nützte. Eine Gesellschaft gewinnt nicht dadurch an demokratischer Kraft, daß sie extreme oder radikale politische Positionen ausgrenzt und stellvertretend dem administrativen Staatsschutz überstellt. Eine Gesellschaft gewinnt vielmehr dann an demokratischer Kultur, wenn sie sich offen und offensiv auch mit diesen Positionen auseinandersetzt, auseinanderzusetzen lernt. So gesehen ist der VS Ausdruck eines verkürzten Demokratieverständnisses in Deutschland.

Eine Institution, die nichts nützt, sondern nur schadet, gehört - nicht nur in Zeiten leerer Kassen - aufgelöst.

 

10. Gehen Sie davon aus, daß Sie immer noch überwacht werden? Was gedenken Sie weiter dagegen zu tun?

Ich weiß ja definitiv, daß ich bis hinein in 1996 erfaßt worden bin und es gibt keinen Anlaß anzunehmen, daß ich nicht weiter erfaßt werde. Ich habe mittlerweile das BfV aufgefordert, die noch offenen Fragen zu beantworten: Das BfV hatte mir - neben der Auflistung meiner inkriminierten Publikationen - auch mitgeteilt, daß personenbezogene Daten über meine angeblichen „Kontakte zu und Zusammenarbeit mit sog. linksextremistischen und linksextremistisch beeinflußten Personenzusammenschlüssen“ gespeichert seien. Da muß ich doch wissen, um welche Kontakte und welche Gruppen es sich dabei handelt. Im übrigen habe ich den Bundesdatenschutzbeauftragten eingeschaltet, der die Rechtmäßigkeit dieser Datenspeicherungen überprüfen soll; außerdem die IG Medien wegen der Registrierung von Publikationen und der Gefahr, daß bei meinen Recherchen der Informantenschutz möglicherweise ausgehebelt wird. Außerdem liegen den Landesämtern in Bremen, Niedersachsen und Baden-Württemberg ebenfalls meine Auskunftsanträge vor.

 

11. Ihre Überwachung wurde vom BfV u.a. damit begründet, daß Sie für sogenannte „linksextremistische“ bzw. „linksextremistisch beeinflußte“ Publikationen geschrieben haben. Neben dem ak, der clockwork 129a, der Deutschen Volkszeitung u.a. ist auch die SoZ aufgezählt. Würden Sie auch weiterhin für uns schreiben?

 

Wissen Sie, registriert worden sind nicht nur meine Artikel in den von Ihnen schon erwähnten Zeitungen und Zeitschriften - auch die „Blätter für deutsche und internationale Politik“, „Demokratie und Recht“ sowie Broschüren der VVN finden sich darunter -, sondern auch der Abdruck meiner Reden oder Interviews mit mir in jenen Publikationen. Das bedeutet, daß sich künftig auch dieses hier abgedruckte Interview wieder als ein Mosaikstein in meinem „Sündenregister“ finden wird. Ob ich weiterhin in Ihrer Zeitschrift schreiben werde, hängt lediglich von meinem Zeitbudget ab.

 

 

Dr. Rolf Gössner, Rechtsanwalt, Publizist, parlamentarischer Berater, Redakteur der Zeitschrift „Geheim“ (Köln). Seit 26 Jahren wird der Polizei- und Geheimdienstkritiker vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet und erfaßt. Seine neuesten Buch­publikationen: Die vergessenen Justizopfer des kalten Kriegs - Über den unterschiedlichen Umgang mit der deutschen Geschichte in Ost und West (Konkret Literatur Verlag, Hamburg 1994); Mythos Sicherheit - Der hilflose Schrei nach dem starken Staat (Hg.; Nomos, Baden-Baden 1995); Polizei im Zwielicht - Gerät der Apparat außer Kontrolle (zus. mit Oliver Neß; Campus, Frankfurt/M. 1996).



[1] Vgl.: Rolf Gössner: Risikoprofile. Die „Verkartung“ des „inneren Feindes“. In: ders.: Widerstand gegen die Staatsgewalt. Handbuch zur Verteidigung der Bürgerrechte, S. 42 - 55. Hamburg: Konkret Literatur Verlag 1988.