FRANKFURTER RUNDSCHAU 23. Oktober 2006

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Es wächst zusammen, was nicht zusammengehört

 

Mit der Anti-Terror-Datei wird das Verfassungsgebot der Trennung von Polizei und Geheimdiensten durchbrochen

             
Die Laudatio zum BigBrotherAward 2006 von Rolf Gössner

 



Die Innenministerkonferenz (IMK) erhält den Preis für ihren Beschluss vom 4. September 2006, eine gemeinsame Anti-Terror-Datei einzurichten, die von allen bundesdeutschen Polizeien und allen 19 Geheimdiensten des Bundes und der Länder bestückt und genutzt werden soll. Diese Vernetzung führt zu einer verstärkten Verzahnung von Polizei und Geheimdiensten - unter Missachtung des Verfassungsgebots einer strikten Trennung dieser beiden Arten von Sicherheitsbehörden.

Die IMK hat damit den Weg freigemacht für eine fatale sicherheitspolitische Wiedervereinigung. Sie formulierte die Eckpunkte der Vernetzung, die Bundesin­nenminister Wolfgang Schäuble (CDU) mit seinem Entwurf eines "Gemeinsame-Dateien-Gesetzes" inzwischen weitgehend übernahm (BR-Drucksache 672/ 06 v. 22.09.2006). Nachdem die Bundesregierung diesen Gesetzentwurf am 20. September 2006 abgesegnet hat, könnte jetzt nur noch der Bundestag das Projekt stoppen.

Die IMK begründete die Notwendigkeit einer zentralen Anti-Terror-Datei - ursprünglich als "Islamistendatei" geplant - nicht zuletzt mit den Anschlagsversuchen in Koblenz und Dortmund - wohl wissend, dass die beiden mutmaßlichen Täter vorher in keiner Weise auffällig geworden waren, weder geheimdienstlich noch polizeilich. Deshalb wären sie in einer solchen Datei überhaupt nicht erfasst worden.

Die IMK spricht von einer notwendigen "Verbesserung der Zusammenarbeit von Polizeien und Nachrichtendiensten gerade im Hinblick auf den Austausch von Daten über Terroristen". Diese Formulierung vertuscht, dass es sich nicht etwa um eine Datei rechtskräftig verurteilter Terroristen bzw. Straftäter handeln soll, sondern im Kern um eine Präventivdatei mit Daten von Verdächtigen - darunter auch nicht-terrori­stische, potentiell aber gewaltbereite oder gewaltgeneigte "Islamisten", etwa "Hassprediger" oder Extremisten und deren mögliche Unterstützer. "Tatsächliche Anhaltspunkte", was immer darunter zu verstehen sein mag, sollen für einen solchen Verdacht ausreichen. Aber auch die personenbezogenen Daten mutmaßlicher "Kontaktpersonen" von Verdächtigen sollen in der neuen Datei gespeichert werden. Gerade dies birgt die Gefahr, dass auch das soziale Umfeld der bloß Verdächtigen, also Familie, Kinder, Arbeitskollegen, Geschäftspartner, Anwälte, Vermieter, Sportsfreunde etc., systematisch in der Datei erfasst wird und dass auch Menschen in einen gravierenden Terrorverdacht geraten, die sich bislang nichts haben zu schulden kommen lassen. Die Erfassung in einer Terror-Datei wegen eines bloßen Verdachts ist extrem stigmatisierend.

Die Anti-Terror-Datei wird beim Bundeskriminalamt (BKA) geführt. Eingabe- und zugriffsberechtigt sollen außerdem fast vierzig Sicherheitsbehörden sein: Bundespolizei (Ex-BGS), Zollkriminalamt, Bundesnachrichtendienst (BND), Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), Militärischer Abschirmdienst (MAD), die Verfassungsschutzbehörden der Länder, die Landeskriminalämter (LKÄ); in begründeten Fällen auch andere Polizeidienststellen. Alle angeschlossenen Sicherheitsbehörden haben eine Einspei­cherungspflicht - nur im Einzelfall kann diese aus Geheimhaltungs- oder Quellenschutzgründen ganz oder teilweise entfallen oder mithilfe verdeckter Speicherungen vor Zugriffen geschützt werden.

Die Anti-Terror-Datei soll als erweiterte Indexdatei ausgestaltet werden, genauer: als eine Kombination aus Index- und Volltextdatei. Das heißt: Die beteiligten Behörden können online unmittelbar erkennen, ob zu einer verdächtigen Person, Gruppe, Firma oder Stiftung bei einer anderen Behörde etwas vorliegt. Sie sehen dabei zunächst nur die Grunddaten, also Personalien des Verdächtigen und dessen Identifizierungsmerkmale (etwa "besondere körperliche Merkmale, Sprachen, Dialekte, Lichtbilder...") sowie die Fundstellen der Erkenntnisse und Vorgänge (= Index). In einem zweiten Schritt fordert die abfragende Stelle bei der entsprechenden Behörde die Freigabe eines erweiterten Datensatzes an, der in einem verdeckten Bereich der Datei gespeichert ist und der auch sensible personenbezogene Daten über Verdächtige und gewisse Kontaktpersonen enthält - wie etwa Telekommunikationskontakte und Bankverbindungen, Schul- und Berufsausbildung, Arbeitsstellen, Fahr- und Flugerlaubnisse, "terrorismusrelevante" Fähigkeiten, Aufenthaltsorte und Reisebewegungen, selbst Angaben über Volks- und Religionszugehörigkeit und womöglich bald auch sexuelle Auffälligkeiten, wie schon von SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz gefordert (WK 30.8.06).

Dieser Datenkatalog soll, so heißt es im IMK-Beschluss, "eine zuverlässige Gefährdungseinschätzung durch die Sicherheitsbehörden ermöglichen". Darüber hinaus sollen auch "besondere Bemerkungen, ergänzende Hinweise und Bewertungen" der beteiligten Behörden aufgenommen werden. Damit ist der Weg in Richtung einer Volltextdatei beschritten, die durch diese Öffnungsklausel jederzeit erweitert werden kann. Neben der ständigen Einrichtung der Anti-Terror-Datei sollen auch gemeinsame personenbezogene "Projektdateien" legalisiert werden, die von Polizeien oder Geheimdiensten anlassbezogen und bis zu vier Jahre lang angelegt und gemeinsam genutzt werden dürfen.

Es ist zu befürchten, dass in all diese Dateien auch "giftige Früchte der Folter" Eingang finden werden - hält es doch Bundesinnenminister Schäuble mit men­schenrechtlichen Grundsätzen für vereinbar, dass deutsche Sicherheitsbehörden, etwa in Kooperation mit der CIA, von unmenschlichen Haftbedingungen und Verhörsituationen in anderen Ländern profitieren, ja möglicherweise unter Folter zustande gekommene Geständnisse und Erkenntnisse für die Gefahrenabwehr verwenden. Längst ist im Zuge des weltweiten "Antiterrorkampfes" das absolute Folterverbot des Ver­fassungs- und Völkerrechts relati­viert worden - so auch von bundesdeutschen Geheimdiensten, die sich Terrorver­dächtige in Foltergefängnissen und -lagern wie Guantànamo und anderswo vorführen ließen und verhört haben.

Einsicht in den zunächst verdeckten Datenbereich der Anti-Terror-Datei sollen die anfragenden Behörden recht problemlos im Onlineverfahren bekommen, "soweit dies zur Erfüllung der jeweiligen Aufgaben zur Aufklärung oder Bekämpfung des internationalen Terrorismus erforderlich ist": Im Falle eines Treffers wird die Freigabe auf Nachfrage, so heißt es im IMK-Beschluss wörtlich, "umgehend erteilt" - das soll wohl heißen: vollautomatisch und ohne inhaltlich-rechtliche Prüfung des Einzelfalls. Im geplanten Gesetz ist die Rede von einer Entscheidung nach den geltenden Übermittlungsregelungen. Das bedeutet, dass jede speichernde Stelle ein Ersuchen nach den für sie geltenden gesetzlichen Vorgaben zu beantworten hat. Der gewährte Zugriff erfolgt dann im Online-Verfahren. In Eilfällen, etwa zur Verhinderung eines womöglich unmittelbar drohenden Anschlags, erfolgt der Zugriff dagegen ohne vorherige Freigabe - das Bundesinnenministerium spricht insoweit von einer sekundenschnellen Datenübertragung auf Knopfdruck. Wie schnell solche Eilfälle eintreten können, zeigen die zahlreichen Terror-Fehlalarme und –Fehleinschätzungen.

Mit der Anti-Terror-Datei können also alle Polizeien des Bundes und der Länder im vereinfachten Verfahren geheimdienstliche, also auch nicht faktengesicherte Vorfeldinformationen online nutzen und umgekehrt bekommen alle Geheimdienste hochsensible polizeiliche Verdachtsdaten geliefert.

Was ist nun so problematisch an einem gemeinsamen Datenpool? Eine solche Vernetzung bedeutet letztlich die Aufhebung des verfassungsmäßigen Gebots der Trennung von Polizei und Geheimdiensten - immerhin einer historisch bedeutsamen Konsequenz aus den bitteren Erfahrungen mit der Gestapo der Nazizeit, die sowohl geheimdienstlich als auch exekutiv-vollziehend tätig war. Mit dem Trennungsgebot, das sich aus dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes ableitet und nach überwiegender Ansicht Verfassungsrang hat, sollte in Westdeutschland eine unkontrollierbare und damit undemokratische Machtkonzentration der Sicherheitsapparate und eine neue politische Geheimpolizei verhindert werden.

Die nicht allein organisatorisch-funk­tional zu verstehende Trennung hat auch unmittelbare Auswirkungen auf die informationelle Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsorganen und auf ihre Grenzen. Diese Trennung ist zwar im Laufe der Jahrzehnte schon gehörig durchlöchert worden, wird aber mit einem Online-Informationsaustausch zwischen Polizei und Geheimdiensten, wie ihn die IMK und die Bundesregierung beschlossen haben, auf elektronischem Wege praktisch ausgehebelt. Die Gefahr besteht, dass Geheimdienste tendenziell zum verlängerten nachrichtendienstlichen Arm der Polizei mutieren und diese zum verlängerten Exekutiv-Arm der Geheimdienste. Eine behördeninterne Einzelfallprüfung bei der Datenübermittlung, wie sie bislang unter Berücksichtigung des Trennungsgebots und der informationellen Selbstbestimmung weitgehend üblich war, findet jedenfalls nur noch eingeschränkt statt. Eine effektive Kontrolle der Datenströme wird damit schier aussichtslos - auch wenn jeder Zugriff auf die Datei protokolliert werden soll und die Datenschutzbeauftragten datenschutzrechtliche Kontrollen durchführen können.

Der sächsische Datenschutzbeauftragte hat bereits das Land Sachsen davor gewarnt, sich an der gemeinsamen "Antiterrordatei" zu beteiligen. Denn sonst würde das sächsische Verfassungsgebot einer möglichst weitgehenden Trennung von Polizei und Verfassungsschutz auf informationellem Wege unterlaufen - und das wäre, so der Datenschützer, "ein Bruch der Sächsischen Verfassung". Deren Artikel 83 Abs. 3 sei eine bedeutende Konsequenz, die der Verfassungsgeber aus den negativen historischen Erfahrungen mit dem Staatssicherheitsdienst der DDR gezogen habe, der Geheimdienst und -polizei in einem war.

Wir haben es bei der Errichtung einer Anti-Terror-Datei diesen Zuschnitts mit einer fatalen Strukturveränderung zu tun - oder anders ausgedrückt: mit dem Element einer neuen Sicherheitsarchitektur, mit der insgesamt das Ziel verfolgt wird, staatliche Macht mehr und mehr zu entgrenzen. Dieser Umbau des liberal-demokratischen Rechtsstaats ist schon seit Längerem im Gange. Dabei geht es im Kern um zwei Tabubrüche, die auf dem Hintergrund deutscher Geschichte von besonderer Bedeutung sind. Zum einen: die schon erwähnte verstärkte Vernetzung und Verzahnung von Polizei und Geheimdiensten. Für diese Entwicklung steht neben dem Projekt einer gemeinsamen Anti-Terror-Datei unter anderem auch das "Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum" (GTAZ) in Berlin und das "Gemeinsame Analyse- und Strategiezentrum illegale Migration" (GASiM), in denen Polizei und Geheimdienste seit 2005/2006 unmittelbar zusammenarbeiten; auch in einzelnen Bundesländern entstanden und entstehen solche übergreifenden Zentren - etwa in Hessen und Niedersachsen. Zweiter Tabubruch: die zunehmende Militarisierung der "Inneren Sicherheit", in deren Mittelpunkt der Einsatz der Bundeswehr als reguläre Sicherheitsreserve im Inland steht - obwohl Polizei und Militär hierzulande aus historischen Gründen sowie nach der Verfassung strikt zu trennen sind.

Die Anti-Terror-Datei ist darüber hinaus auf dem Hintergrund der seit dem 11.9. 2001 erlassenen Antiterror-Gesetze ("Otto-Kataloge" für die Ex-Bundesin­nenminister Otto Schily bereits zweimal mit dem BigBrotherAward ausgezeichnet worden ist) zu sehen, mit denen Aufgaben und Befugnisse von Geheimdiensten und Polizei drastisch ausgeweitet wurden und die die Kontrolldichte in Staat und Gesellschaft beträchtlich erhöht haben. Die Anti-Terror-Datei ist auch im Zusammenhang zu sehen mit dem geplanten "Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz", das die große Regierungskoalition in den Bundestag eingebracht hat und mit dem die befristeten Antiterror-Befugnisse von 2002 nicht nur um weitere fünf Jahre verlängert, sondern auch noch ausgeweitet werden sollen - ohne zuvor eine unabhängige, kritische Bilanzierung der bisherigen Antiterrorgesetze und ihrer Wirkungen vorzulegen. Jetzt sollen alle Geheimdienste noch mehr quasi polizeiliche Befugnisse bekommen und zwar nicht allein zur

Terrorabwehr, sondern auch schon zur Aufklärung verfassungsfeindlicher Bestrebungen, die Gewalt fördern könnten. Aus geheimdienstlichen Antiterror-In­strumenten mit Ausnahmecharakter werden so Regelbefugnisse des Alltags.

Fazit: Mit einer Anti-Terror-Datei als Kernstück eines neuen Antiterror-Netz­werks wächst zumindest partiell zusammen, was nicht zusammen gehört, wird eine wichtige demokratische Lehre aus der deutschen Geschichte weitgehend entsorgt, werden rechtsstaatliche Begrenzungen letztlich einer grenzenlosen Prävention geopfert. Möglicherweise landet auch die Anti-Terror-Datei deswegen vor dem Bundesverfassungsgericht, das in den letzten Jahren schon mehrfach Gesetze und Maßnahmen für verfassungswidrig erklären musste - erinnert sei nur an den Großen Lauschangriff mit elektronischen Wanzen in und aus Wohnungen, an die präventive Telekommunikationsüberwachung, die Lizenz zum Abschuss eines gekaperten Passagierflugzeugs im Luftsicherheitsgesetz sowie an die exzessiven Rasterfahndungen nach sogenannten "Schläfern". Das Verfassungsbewusstsein in der politischen Klasse scheint im Zuge der Terrorismusbekämpfung jedenfalls immer mehr zu schwinden - strenggenommen ein Fall für den "Verfassungsschutz", wenn nicht sogar für eine Aufnahme in die künftige Anti-Terror-Datei?

Der BigBrotherAward 2006 an die Innenminister des Bundes und der Länder wird von der Jury bewusst präventiv vergeben, also schon bevor ihr Beschluss in die Tat umgesetzt wird. Nun hat der Bundestag das letzte Wort, nur er könnte dieses Projekt noch stoppen. Wir betrachten diese Preisverleihung als Maßnahme der Gefahrenabwehr und als Versuch, das Bundesverfassungsgericht damit zu entlasten.

Herzlichen Glückwunsch, Herr Vorsitzender Beckstein, herzlichen Glückwunsch an die verantwortlichen Mitglieder der Innenministerkonferenz.


 

Der Autor

Rolf Gössner ist Rechtsanwalt, Publizist und seit 2003 Präsident der "Internationalen Liga für Menschenrechte" (Berlin). Er arbeitet als Sachverständiger in Gesetzgebungs­verfahren, u.a. zu den Antiterror- Gesetzen im Bundestag und ist Autor zahlreicher Bücher zur innerer Sicherheit und zu Bürgerrechten, zuletzt: "Geheime Informanten. V-Leute des Verfassungsschutzes: "Kriminelle im Dienst des Staates." (Knaur 2003). Internet: www.rolf-goessner.de.

Der "BigBrotherAward" ist ein Negativ-Preis, der von Datenschutz- und Bürgerrechtsgruppen verliehen wird an Institutionen, die in besonderem Maße den Datenschutz missachten. In diesem Jahr ging er u.a. an die Innenministerkonferenz für den Aufbau der Anti-Terror-Datai.                                                                                                              ber


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Erscheinungsdatum 23.10.2006